Es gibt die Grammys, die Brits, noch ein Dutzend andere wichtige Musicawards – und den Echo. Der ist wichtig, nicht nur für Deutschland. Sagt der Echo. Schauen wir mal …
Eigentlich sind es sturzlangweilige Veranstaltungen. Alles glänzt und glitzert, irgendjemand möglichst Berühmtes steht auf einer Bühne und liest von einem Zettel die Namen ab, vielleicht werden ein paar Einspieler präsentiert. Die Kamera klappert die Nominierten ab, die eine erwartungsvoll-freudige Miene aufsetzen, dann wird ein Umschlag geöffnet, alle klatschen – meist – , der Gewinner kommt auf die Bühne und erzählt irgendeinen Quatsch über seine Mutter oder den Produzenten und die Platenfirma, denen man zu ewigem Dank verpflichtet sei und ohne die das alles gar nicht möglich gewesen wäre. Die Unterlegenen – die Kamera ist natürlich wieder bei ihnen – setzen ein tapfer-anerkennendes Lächeln auf. Dann gehts wieder von vorn los.
So sehen Award-Verleihungen weltweit aus, auch Musikawards. Es ist der streng durchritualisierte Standard, naturgemäß ergänzt durch mehr oder weniger glamouröse Auftritte von Stars nach Maßgabe der Veranstaltung. Weltweit Beachtung finden Musikawards aber nur im Ausnahmefall. Genau genommen schafft es ein einziger regelmäßig in die übergreifende Aufmerksamkeit. Die amerikanischen Grammys – der Preis der “National Academy of Recording Arts and Sciences”, es ist der Interessenverband der in der Musikindustrie Beschäftigten – sind das Maß aller Dinge in der offiziellen Musikwelt. Mit knapp 100 mitunter sehr absurd anmutenden Kategorien spiegeln sie den Musikmarkt auf dem nordamerikanischen Kontinent wider, der als der wichtigste der Welt gilt. Noch lange nicht mit der gleichen Bedeutung ausgestattet und hierzulande sowieso kaum wahrgenommen, holen die Latin Grammys übrigens rasant auf, die sich den mittel- und südamerikanischen Musikern widmen und somit auch relevant für die starken Hispano-Minderheiten in den USA sind.
Einigermaßen mithalten können in Europa da nur die Brit Awards, deren Anspruch und Preisvergabepolitik sich mit dem der Grammys vergleichen lässt – allerdings auf den britischen Markt übersetzt, also prinzipiell Insel-zentriert. Weil Großbritannien und die USA aber sowieso die Lieferanten der allermeisten Hits und Stars der westlichen Welt sind, lassen sich diese auch ganz gut anderswo rezipieren. Allerdings sind die “Brits” nur die Spitze des UK-Eisbergs. Denn es gibt nicht nur eine erklärte Qualitätskonkurrenz – der Mercury Prize distanziert sich durch explizite Kritikermeinung vom Industriestandard der Brits –, nahezu jedes halbwegs einflussreiche Musikmedium vergibt darüber hinaus eigene Preise, seien es NME, Q Magazine, XFM Radio und und und. Die seit jeher popmusikalisch extrem hohe Dichte und Fluktuation der britischen Musikszene macht das sogar ohne großen Personalnotstand möglich.
Hat mit ihrem Album “21” bei den Grammys und den Brits abgeräumt. Und tritt beim Echo gegen *ähem* Helene Fischer und Rosenstolz an: Adele.
In Deutschland sieht das natürlich ein wenig anders aus. Kaum ein Mensch da draußen in der Welt interessiert sich – mal abgesehen von Kurzzeitphänomenen wie zuletzt mal wieder Tokio Hotel –für irgendwelche deutsche Bands. Wer hier berühmt ist, kommt aus dem Ausland oder ist eben auch nur hier berühmt. Deutschland ist allerdings trotzdem ein bemerkenswert starker Musikmarkt, Deutsche kaufen immer noch vergleichsweise viel Musik, deutsches Geld ist gutes Geld. Will man im Geschäft bleiben, kommt man auch als international aufgestellte Musikindustrie nicht wirklich umhin, auch Deutschland einigermaßen adäquat mit Stars zu bedienen, sei es beim Touren, bei der internationalen Promotion für neue Alben oder eben durch die schiere Präsenz bei Awards. Oder besser: bei dem Award. Denn es gibt im Wesentlichen nur einen wirklich in der ganz breiten Öffentlichkeit wahrgenommenen Preis.
Der Echo findet alljährlich im März statt – kurz nach Grammys und Brits also, die dann schonmal die Richtung vorgeben. Gern bezeichnet er sich als “zweitwichtigster Musikpreis der Welt” – was natürlich schob beim Blick über die Tellergrenzen des Landes Unsinn ist und gerade mal irgendwie Sinn ergibt, wenn man außer den Grammys nun gar nichts anderes kennt. (Natürlich gibt es auch in allen anderen relevanten europäischen Musikmärkten zum Beispiel Frankreichs oder Skandinaviens vergleichbare Awards, die wiederum hierzulande nahezu unbekannt sind.) Ansonsten spielt man beim Echo gern die Vorbilder nach. Es gibt den roten Teppich, die großen Worte, die große Bühne – und sogar die zeitversetzte Ausstrahlung im Fernsehen, weil man keinem Publikum eventuelle subversive Aktionen von vielleicht kritischen Künstlern zumuten möchte. Darüber hinaus gibt es Preiskategorien, die es wirklich nur in Deutschland vorstellbar sind: Tapfer nimmt Andrea Berg in gefühlt jedem zweiten Jahr ihren Award als „Beste Künstlerin Deutschsprachiger Schlager“ entgegen und erträgt dafür das hämische Gejohle im sonst eher gesitteten, weil ziemlich ausgewählten Publikum.
Noch ein bisschen lauter ist das Pfeifen dann sogar für die Kategorie “Volkstümliche Musik”. Die gibt es so wirklich nur im deutschsprachigen Raum. Es ist ein Alleinstellungsmerkmal, das wir allerdings wohl für immer behalten dürfen. Wundern darf man sich hingegen auch jedes Mal über die Nominierten in den gängigeren Kategorien. Zusammen hängt das mit den Regeln der Nominierung, die nur auf den ersten Bick relativ klar reglementiert sind. Ein alljährlicher Verdacht wurde sowieso noch nie bewiesen. Allerdings auch nicht überzeugend entkräftet: Die Vergabe ist nicht immer ganz objektiv und regelgerecht und richtet sich vor allem auch danach, welcher Künstler überhaupt bereit ist, am Echo auch persönlich teilzunehmen.
Augsburg
Der Echo 2012 wird am 22. März vergeben. motor.de wird bis dahin mit einem ECHO-Dossier einen genaueren Blick auf die Organisation, die Nominierten und Preise sowie die Modalitäten werfen – und auch gleich ein paar eigene Vorschläge für die “richtigen” Kategorien und Nominierten machen. Live-Lästern inklusive!
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