Bruno Kramm wurde Anfang der neunziger Jahre vor allem als musikalischer Mastermind der Darkwave-Kultband Das Ich bekannt. Darüber hinaus war und ist er als Kolumnist für die Musikzeitschrift Zillo, als Produzent im Gothic/Electro/EBM-Bereich sowie als Betreiber seines eigenen Labels Danse Macabre tätig. Kramm ist Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen und engagiert sich mit seinen Praxis-Erfahrungen sowohl dort als auch bei der Piratenpartei vor allem für Reformen im Bereich Urheberrecht, Verwertungsgesellschaften und für die Belange der Musikwirtschaft abseits der Majorindustrie. Ein Interview über die Mühen der Partei-Programmarbeit zwischen Krise und Vision, über Forderungen und Streitpunkte – und natürlich über die aktuelle Rolle und die Zukunftsfähigkeit der GEMA. Teil 2 von 2. 

motor.de: Dann reden wir mal über die GEMA: Hältst du das Prinzip GEMA für noch zeitgemäß?

Kramm: Man muss natürlich sehen, dass das Prinzip Verwertungsgesellschaft für Urheberrechte aus einer anderen Zeit stammt, keine Frage. Aber es werden auch in Zukunft Abrechnungsmodelle benötigt. Und da stellt sich die Frage, wer das administrativ schultern kann. Die große Gefahr ist, wenn du das den bisherigen Verwertern übergibst, dass die einfach bei ihrem feudalen Abrechnungssystem bleiben, bei dem der einzelne Urheber immer auf der Strecke bleibt.

motor.de: Ist diese GEMA überhaupt zukunftsfähig?

Kramm: In der aktuellen Form nicht wirklich. Das fängt damit an, wie sich die Gremien zusammensetzen, die über den Abrechnungsschlüssel befinden. Das sind ja in erster Linie Verlagsvertreter oder besonders erfolgreiche Urheber. Die werden primär immer ihr eigenes Interesse sehen und eine Lösung bevorzugen, die besonders einträglich für sie selbst ist.

motor.de: Der Vorwurf ist also – ganz simpel formuliert –, dass diejenigen, die eh schon bevorzugt werden, sich immer mehr zuschaufeln werden.

Kramm: So könnte man es sehr verkürzt ausdrücken. Das würde die GEMA natürlich sofort abstreiten. Es gibt ja auch eine sehr clevere Argumentation der GEMA für das so genannte Pro-Verfahren. Ganz viele Coverbands würden vor allem ihre ganz wenigen eigenen Werke melden und die ganz vielen – so heißt das – Standardwerke unterschlagen, um besser dazustehen. Also müsste man davon ausgehen, dass diese Standardwerke, die häufig im Radio laufen, also Dieter Bohlen und Co, weitaus stärker gewichtet werden müssten, als jeder Alternative-Titel. Und das, obwohl es heutzutage praktisch möglich sein sollte, jeden einzelnen Titel punktgenau abzurechnen. Es ist doch schockierend, wenn du dir mal die Tour einer mittelmäßigen Independent-Band anschaust. Die spielen zehn Konzerte, die kosten im Schnitt 400 Euro GEMA, also insgesamt 4.000 Euro. Auf der Abrechnung stehen dann aber vier oder fünf Euro pro Konzert für die Band. Das kann nicht sein! Aber so schauts aus im Moment. Also muss dieses Pro-Verfahren abgeschafft werden. Das gilt ja auch für die Geräteabgaben, Leermedienabgaben, auch zukünftige Flatrate-Pauchalabgaben. Beschlossen wird das von Vorständen, die allesamt zur besserverdienenden Musikelite gehören. Statt dessen müsste man einfach alle Mitglieder befragen, so wie das andere Verbände auch tun. Sogar die FDP!

motor.de: Das System, das nur die 3.000 “ordentlichen Mitglieder” die Entscheidungen für alle 64.000 Mitglieder fällen, ist also das hauptsächliche Problem?

Kramm: Das ist ein komplett unfaires Verfahren, bei dem letztendlich immer der kleine Urheber auf der Strecke bleibt. Oder sogar um seine Entlohnung gebracht wird.

motor.de: Aber es gibt ja eine Aufsichtsbehörde, das Patent- und Markenamt, die das nicht so kritisch zu sehen scheint, sonst würde sie ja einschreiten.

Kramm: Die sind auch relativ überfordert. Das ist damals historisch so entstanden, das im Urheberrechtswahrnehmungsgesetz relativ schwammig drin steht, dass die diese Schlüssel der Verwertungsgesellschaften beaufsichtigen müssen. Es ist ja klar, dass eine Patentbehörde keinerlei Ahnung hat, wie Werk-Aufführungen funktionieren. Außerdem hat die GEMA es geschafft, unglaublich viele Dinge zu verschleiern und zu verkomplizieren und durch statistische Taschenspielertricks den Anschein aufkommen zu lassen, dass doch alles relativ richtig berechnet ist. Die letzte große Absegnung war in den neunziger Jahren, als das Pro-Verfahren eingeführt wurde.

motor.de: Die stimmberechtigten Mitglieder haben also kein Interesse an grundsätzlichen Änderungen, die Aufsichtsbehörde offensichtlich auch nicht. Was nun?

Kramm: (seufzt) Das ist eine gute Frage. Es bleibt die Hoffnung, dass es einen Paradigmenwechsel in der Gesellschaft gibt, in dem Urheber und User einen so großen Druck auf die GEMA ausüben, dass das System auf lange Sicht geändert werden muss, weil der GEMA gar nichts anderes übrig bleibt.

motor.de: Es stünde ja jedem offen, eine alternative Verwertungsgesellschaft zu gründen, die total gerecht agiert.

Kramm: Es gibt ein, zwei Gesellschaften … das ist ein so kompliziertes Unterfangen, wenn du halt wirklich Abrechnungen für Radio-Airplay und alles andere bekommen möchtest, dass es sich letztendlich dann doch nicht lohnt. Eigentlich geht es eher darum, diesen ganzen Bereich auszutrocknen. Es gibt viel zu viele Töpfe, wo Geld reinfließt, das eigentlich Urhebern gehört. Es gibt viel zu viele Verwertungsgesellschaften, die sich zwischen Urheberrecht und Leistungsschutzrecht tummeln und die Hand aufhalten. Lieber die Instanzen, die es gibt, reformieren.

motor.de: Im Kleinen scheint sich doch etwas zu bewegen. Die Bemessungsgrundlage für Konzertveranstalter wurde geändert, es gibt jetzt einen Deal über das Streaming von Songs …

Kramm: Im Kleinen findet auch was statt, weil immer wieder Kritik an die GEMA herangetragen wird. Die GEMA ist ja sehr gut vernetzt in der Politik, hat ein Lobbybüro in Berlin, sitzt in der Enquete-Kommission zum Urheberrecht. Das heißt aber auch, dass sie einem gewissen Druck ausgesetzt ist. Wir sind aber noch lange nicht in einem Bereich, wo es wirklich fair zugeht. Prinzipiell sind ja zum Beispiel solche Einigungen wie mit der Bitkom richtig. Aber es kommt ja drauf an, wie am Ende abgerechnet wird. Solange sich die Verteilungsschlüssel dafür nicht grundsätzlich ändern, bringt es nicht wirklich viel.

motor.de: Du bist auch ein Gegner der Unterscheidung in E- und U-Musik, die bei der GEMA gehandhabt wird.

Kramm: Natürlich. Das ist auch ganz einfach zu erklären. Schau dir eine Kunstform wie die Operette an. Das war damals auch eine leichte Kunstform, in erster Linie zur Unterhaltung gedacht. Die wird heute unter “ernst” abgerechnet. Wenn aber ein Industrial-Künstler eine moderne Bach-Adaption macht – ist das “Unterhaltungs”-Musik? Eigentlich nicht. Wird aber von der GEMA so eingeteilt. Oder nimm Punk: Aus heutiger Sicht hatte Punk einen enorm wichtigen Einfluss in der kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklung. Das kannst du doch nicht auf “Unterhaltung” reduzieren. Solche Dinge fallen immer erst im Rückblick auf. E und U sind kulturkonservative Begriffe, die Kunst werten – das geht nicht.

motor.de: Nochmal Butter bei die Fische: Was wären aus deiner Sicht ganz konkret die nächsten ein oder zwei Dinge, die bei der GEMA passieren müssten?

Kramm: Zuerst müsste es eine offene Mitgliederabstimmung über den Verrechnungsschlüssel geben, wo wirklich jedes Mitglied beteiligt ist. Da gäbe es natürlich schon ganz schön viel zu ändern, damit das überhaupt machbar ist. Und dann müsste als zweiten Schritt ein neues Abrechnungsverfahren installiert werden, was der heutigen Marktsituation gerecht wird, dem sehr diversifizierten Markt. Früher gab es ja einen klaren Hit-Markt, dem das Pro-Verfahren sicher noch etwas mehr gerecht wurde. Aber heute gibt es einen Longtail-Markt, der aus ganz vielen kleinen Stücken besteht und horizontal wie vertikal diversifiziert ist.

Interview: Augsburg

Lest »hier den ersten Teil des Interviews. 

motor.de hat es sich zur Aufgabe gemacht, in Zukunft mit einem Dossier: GEMA das Thema speziell unter die Lupe zu nehmen, Player und ihre Interessen deutlich zu machen, Probleme zu analysieren, Meinungen zum komplexen Thema und zu den Perspektiven zu sammeln.

Weitere Texte zum Thema:

» Interview mit der GEMA:  Teil 1 | Teil 2 | Teil 3

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