Melancholie auf höchstem Niveau, entzündete Stimmbänder und viel zu komplizierte Texte. Womit sich Dry the River herumschlagen müssen, erzählten sie uns im Interview.

(Fotos: Sony Music)

Nein, Dry the River sind keine weitere Folk-Band, die wie Fleet Foxes oder Mumford & Sons klingt. Obwohl dies auf den ersten Blick wie eine Einschränkung erscheint, ergibt sich die Besonderheit dieser fünf Londoner aus ihrem Hang zur Melancholie und zur aufs Äußerste ausgereizten Emotionalität. Nun, da sich die Band voll und ganz dieser Stimmung hingibt, hat sie diesen Sound perfektioniert und demonstriert das auf ihrem lang erwarteten Debütalbum “Shallow Bed“. Am Ende ihrer Europa-Tour und just bevor sich die Band nach Amerika verabschiedet, traf motor.de Bassist Scott Miller und Gitarrist Matt Taylor im Berliner Magnet Club zum Interview.

motor.de: Als ich euch das letzte Mal live gesehen habe, war das auch in diesem Club. Damals wart ihr Vorband von The Antlers. Ein halbes Jahr später seid ihr selbst der Hauptact. Wie fühlt sich das an?

Scott: Ziemlich cool und aufregend. Das war unsere erste Headlining-Tour durch Europa.
Matt: Viele der Shows sind wieder an den gleichen Orten wie damals mit The Antlers. Das ist eine coole Erfahrung.
Scott: Aber jetzt haben einige Leute auch das Album gehört und kennen die Songs.

motor.de: Damals hattet ihr nur einige Singles veröffentlicht. “Shallow Bed” klingt plötzlich viel zahmer als diese ersten Songs. Wieso?

Scott: Ja, das stimmt. Wir haben diese Entscheidung für das Album getroffen. Wir wollten, dass es zurückhaltender klingt.
Matt: Es gibt einige Teile, wo wir harte Gitarren wollten. Aber Pete [Sänger und Gitarrist Peter Liddle, Anm. d. Red.] wollte auch, dass der Sound in sich geschlossen ist. Dann hat er alles ein wenig gebändigt. Aber auf eine gute Weise.
Scott: Das ist für das Album definitiv so geplant gewesen. Die Liveshows sind dafür härter und mehr Punkrock.

Dry the River – “Lion’s Den”

motor.de: Ihr habt alle sehr unterschiedliche Hintergründe. Wie habt ihr menschlich und musikalisch zueinander gefunden?

Scott: Wir haben alle in Bands aus der DIY-Szene in Großbritannien gespielt. Wir hatten alle Jobs und mit unseren kleinen Bands zu spielen, war ein Hobby. Ich war in einer Postrock-Band und Jonny [Schlagzeuger Jon Warren, Anm. d. Red.] hat Punkrock gemacht. Wir sind aufeinander getroffen als wir Gigs zusammen spielten und so was.
Matt: Wir hatten die gleichen Freunde. Als Pete die Band gründete, rief er uns an und bestellte uns ins Studio.
Scott: Am Anfang war das nur ein Studioprojekt. Er wollte einige seiner Akustiksongs aufnehmen und brauchte Musiker dafür. Dann dachten wir, dass es schade wäre es dabei zu belassen und begannen Konzerte zu spielen. So hat alles angefangen, wir haben uns einen Namen gegeben und nun sind wir eine Band.

motor.de: Jetzt hast du es schon angesprochen. Warum denn Dry the River?

Scott: Die erste Session, die wir als Band machten, war in einem Haus inmitten vom Nirgendwo auf dem Land und da floss auch ein Fluss lang. Irgendwie gelangte das wohl in unser Unterbewusstsein.
Matt: Nach den Aufnahmen hat Pete uns viele Bandnamen per SMS geschickt. Auch viele wirklich schlechte Namen. Dann hat er Dry the River geschickt und wir meinten: “Auf keinen Fall, das ist schrecklich!” (lacht)

motor.de: Wie passt diese emotionale, zerbrechliche Musik, die ihr macht, zusammen mit solch harten, tätoowierten Kerlen?

Matt: Das sagen viele Leute…
Scott: Aber eine Erklärung gibt es nicht. Manchmal ist man leiser, mal lauter, mal bricht man aus. Keine Ahnung. Man bekommt mehr Mädchen ab, wenn man solche Musik macht! (lacht)

motor.de: Das Cover von “Shallow Bed” zeigt einen ziemlich gruseligen Hai. Was hat es damit auf sich?

Matt: Die Idee kam von mir, ich bin ein wenig fasziniert von Haien. Als Kind hatte ich immer den Albtraum, in einem Swimmingpool mit einem großen Weißen Hai gefangen zu sein. Dann hab ich die Künstler, die unser Artwork machen, gebeten unbedingt einen großen Weißen Hai zu malen.
Scott: Die gleichen Leute haben auch das Artwork für die Singles gemacht, diese wirklich dunklen Bilder. Da hatten wir schon Pferde und Hirsche. Als wir entscheiden mussten was auf das Cover des Albums soll, war klar, dass es der Hai ist. Der ist schließlich das coolste Tier, das es gibt.


motor.de: Petes Gesang wird oft mit dem von Justin Vernon von Bon Iver verglichen. Findet ihr den Vergleich angemessen?

Scott: Ja, er ist vielleicht ein bisschen höher.
Matt: Petes Stimme ist ebener. Er hat eine viel lautere Stimme, wenn er redet.
Scott: Ich glaube er hat als Kind viel rumgebrüllt und das ist jetzt was dabei herausgekommen ist.

motor.de: Das klingt manchmal aber nicht gesund.

Matt (lacht): Er hat das vom Arzt checken lassen – der meinte er hätte entzündete Stimmbänder und dürfe nie wieder singen. Also ja, das ist nicht gesund.
Scott: Er hat das aber schon sein ganzes Leben lang und genauso lang singt er auch. Sein Körper scheint einen Weg gefunden zu haben, damit umzugehen. Also klopfen wir mal auf Holz (klopft auf die Tischplatte), dass das so bleibt.

motor.de: Der Streit zwischen Wissenschaft und Religion ist vielleicht einer der ältesten. Pete hat Medizin studiert. In euren Texten finden sich sowohl Verweise darauf als auch viele biblische, religiöse Anspielungen. Wie passt das zusammen?

Matt (lacht): Er hat zuerst Anthropologie studiert, dann Medizin. Daraus schöpft er auch viel.
Scott: Früher hat er oft im Kirchenchor gesungen und wurde sehr durch dieses ganze Hymnensingen beeinflusst. Aber er ist viel cleverer und mag es religiöse Inhalte und wissenschaftliche Sprache nebeneinander zu stellen. Das stellt eine Mischung seiner Persönlichkeit da, so wie er eben ist.

motor.de: Pete schreibt die Texte allein?

Matt: Ja, wir schreiben die Musik zusammen, dann geht er weg und schreibt den Text dazu. Dafür nimmt er sich immer extrem viel Zeit.
Scott: Die Texte sind sehr durchdacht und auf einem hohen Niveau.
Matt: Manchmal gibt’s so lange Wörter! Ich glaube, er schließt sich da zwei Tage mit einem Wörterbuch ein.
Scott (lacht): Und Wikipedia! Manchmal muss er uns das erstmal erklären und uns Gesangshilfen geben. “Phrygian Lion” – was ist das? [“Of the Phrygian Lion” ist eine Zeile aus “Shield Your Eyes”, Anm. d. Red.]
Matt: Wir haben geprobt und versucht Harmonien hinzuzufügen und alle so “Phrygian Lion? Was ist das wieder für ein Wort?”

Dry the River – “No Rest”


motor.de: Wenn ich eure Musik höre, frage ich mich manchmal, ob ihr wirklich nur diesen einen Sound draufhabt. Wann schreibt ihr mal fröhliche Tanzmusik?

Matt: Wir haben sogar einen fröhlichen Tanzsong, aber es stellte sich heraus, dass wir ihn hassten. Deshalb spielen wir ihn nie.
Scott: Wir sind einfach sehr melancholische Menschen und immer traurig. Siehst du die Träne über mein Gesicht laufen?
Matt: So einen Scheiß hab ich ja noch nie gehört… (lachen beide).
Scott: Nein, diese Art Musik scheint einfach zu passen. Wenn man uns spielen sieht, merkt man hoffentlich, dass wir uns selbst nicht so ernst nehmen. Das Album ist durchaus sehr deprimierend und erschafft sicher dieses Bild von uns beim Hören. Aber live haben wir echt Spaß.
Matt: Unabhängig von der Band hören wir viel deprimierende Musik, das hat natürlich Einfluss auf uns.

motor.de: Also muss ich mir keine Sorgen um euch machen?

Scott (lacht): Nein, nein, wir sind okay. Uns geht’s gut, keine Sorge!

Interview & Text: Laureen Kornemann