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Eagulls im Interview

(Foto: OktoberPromotion)

Die Eagulls sind eine junge Band aus Leeds, einer Studentenstadt im englischen County West Yorkshire. Die fünf Herren fabrizieren eine ziemlich agressive, rohe und noisige Mischung aus Punk Rock und Hardcore. Mit ihrem selbstbetitelten Debut, welches im März diesen Jahres rauskam, waren sie vor allem in ihrer Heimat bereits in aller Munde. Da wollten wir doch mal etwas genauer hinschauen, ob der Hype um die kleine Kapelle berechtigt ist.
Als ich mich mit Frontmann George Mitchell am Abend des Berlin Konzerts im Magnet zum Gespräch treffe, habe ich ehrlich gesagt ein bisschen Bammel. In Artikeln wird er als divenhaft, anstrengend und rüpelhaft dargestellt. Also stelle ich mich schon einmal darauf ein, einen selbstverliebten Patron, von dem jedes zweite Wort 'Fuck' ist, zu treffen. Gottseidank tritt das Gegenteil ein: mir gegenüber sitzt ein junger Kerl, der eher bescheiden und höflich als großspurig und schwierig zu sein scheint. Nach der einleitenden Aussage, dass ich mich nicht daran aufhängen möchte, ob sie nun Punk seien oder nicht und nach welchen Bands sie klingen, scheint er mir zumindest erstmal wohlgesonnen.

Man kann sagen, es ist ein ziemlich egoistisches Album.

Nach ein paar Low-Budget produzierten Singles und einer EP wurde das Label Partisan Records auf die Band aufmerksam. Mit der Veröffentlichung des ersten Albums kamen viele, zum Großteil sehr positive, Pressestimmen auf. Auf meine Frage, ob man damit gerechnet hätte, antwortet er: "Wir haben überhaupt nichts erwartet, um ehrlich zu sein. Das Album haben wir nur für uns gemacht und mit unserem eigenen Geld finanziert. Eigentlich haben wir alles selber gemacht. Man kann sagen es ist ein ziemlich egoistisches Album- unsere eigene Errungenschaft." Das erste Album wurde also nicht aufgenommen um es anderen, sondern um es sich selbst zu beweisen, "aber klar freuen wir uns über die positiven Reaktionen. Es fühlt sich an, als ob wir etwas erreicht haben. Die Menschen kommen zu uns und sagen, dass unsere Musik sie berührt- das ist natürlich schön zu hören."

Eagulls – Possessed from Plastic Zoo on Vimeo.

Ein bisschen verschroben scheint der junge Genosse aber schon zu sein. In bisherigen Interviews hat er oft betont, dass er Menschen nicht sonderlich mag. Da drängte sich mir die Frage auf, ob er damit nur bestimmte oder Menschen allgemein meint: "Menschen generell würde ich sagen. Mich nerven sogar die anderen Typen in der Band. Wir sind zu fünft und hängen für Stunden zusammen in einem Van fest. Da nerven einen manchmal schon Kleinigkeiten." Gut, das ist legitim. Doch auch von anderen Bands scheinen die Eagulls nicht sehr angetan zu sein; die Band hat im Zuge ihres Auftritts auf dem SXSW in Austin, Texas, im letzten Jahr einen offenen Brief auf ihrem Blog gepostet, in dem Bands, die ebenfalls auf dem Festival aufgetreten sind (jedoch nicht namentlich erwähnt wurden), ordentlich ihr Fett weg gekriegt haben. Da hieß es unter anderem: "TO ALL BEACH BANDS SUCKING EACH OTHERS DICKS AND RUBBING THE PRESS' CLITS. I AM GOING TO CUT YOUR HAIR CLEAN OFF" oder "FUCK YOU AND ALL YOUR MUMS AND DADS THAT PAY FOR YOU TO DO THE BAND FULL TIME." Wie man sich vorstellen kann, sind diese Zeilen auf geteilte Meinungen gestoßen. Als ich ihn auf den berühmt berüchtigten Brief anspreche und frage, ob man ihn bereue, antwortet er nüchtern: "Die Leute, zumindest einige, haben ihn einfach falsch gelesen. Sie haben den bösen Humor darin anscheinend nicht geschnallt. Es sollte ein Witz sein. Aber natürlich hat auch ein bisschen Wahrheit drin gesteckt- wir waren zu dieser Zeit ziemlich angepisst, weil wir Bands supporten mussten, die schlechter waren als wir. Wir mussten uns alles selber hart erarbeiten. Der Brief ist eine Art Reaktion darauf gewesen."
An Selbstbewusstsein fehlt es den Eagulls also nicht. Man weiß offenbar um die eigenen Qualitäten. Die Zeiten, in denen sie unbekanntere Bands supporten mussten, sind spätestens seit Anfang des Jahres, wo sie zusammen mit Franz Ferdinand – der britischen Vorzeige-Indierock-Band – getourt sind, vorbei. Und nun die erste Headliner Club-Tour. Der Weg scheint geebnet.

Ich weiß nicht genau, was ich mache und warum ich es mache, ich mache es einfach. Ich verstehe es eigentlich selber nicht so richtig.

Bevor man sich selbst der Musik in Vollzeit zuwenden konnte, ist man noch normalen Alltagsjobs nachgegangen. Diese wurden inzwischen gekündigt, denn sie ließen sich nicht mehr mit dem exzessiven Tourplan der Band vereinbaren. "Aber wir haben schon noch unseren, nennen wir es Arbeiterklassen-Ethos", fügt Mitchell an. Den nimmt man ihnen auch durchaus ab. Es ist offensichtlich, dass die Eagulls von etlichen Dingen genervt sind. Und auch jetzt an diesem Punkt kann man anscheinend noch nicht vom großen Durchruch reden. Wirklich leben könne man von der Musik bisher nicht, aber "zum ÜBER-leben reicht es".
Der Musik haftet unverkennbar ein pessimistischer Charakter und das Gefühl von Unzufriedenheit an. Songs wie "Council Flat Blues" machen deutlich, dass die Band ein sozialkritisches Anliegen hat. Die Musik wird als Katalysator für den Umgang mit sozialer Ungerechtigkeit genutzt. Deshalb schreit Mitchell auch vielmehr seine Lyrics heraus, als dass er sie singt. Aber hilft das, die Probleme von sich wegzuschieben und sich besser zu fühlen? "Ich bin mir nicht sicher- ich will einfach kreativ tätig sein. Wenn ich frustriert bin, setzte ich mich hin und schreibe. Ich glaube schon, dass ich mich durch das Spielen und Singen besser fühle. Es ist schwer zu erklären- ich weiß nicht genau, was ich mache und warum ich es mache, ich mache es einfach. Ich verstehe es eigentlich selber nicht so richtig. Es hilft einem jedenfalls den Ärger aus seinem System zu bekommen. Und auch den Menschen, die zu unseren Shows kommen, hilft es, glaube ich, ihre Frustration rauszulassen."

Das Video zur Single „Nerve Endings“ zeigt ein sich zersetzendes Gehirn. Im Gespräch erklärt Mitchell, dass es sich um das Gehirn von einem Schwein handele, das man für Wochen im hauseigenen Keller vor sich hin verrotten ließ. Das Ganze wurde mit einer Kamera dokumentiert. „Der Gestank war bestialisch“, erinnert er sich. Außerdem rückte die Polizei an, um das Haus zu durchsuchen. Doch der Aufwand hat sich gelohnt: für das Video gab es den Preis für das Best Music Video bei den NME Music Awards 2014.

Der Rubel rollt also. Auch über den großen Teich hat es die Band schon geschafft. Bei der Late Show with David Letterman gaben sie ihren Song "Possessed" zum Besten. Der Autritt blieb nicht folgenlos: als die Band erfuhr, dass Bill Murray ihr Co-Gast sein würde, gab es für Bassist Tom Kelly kein Halten mehr- der eingefleischte Bill Murray-Fan hat sich am Abend vor der Show den Namen des Schauspielers auf den Arm tätowieren lassen. "Aber Bill Murray mochte es- er hat es sogar geküsst! Tom wurde also von einem Ghostbuster geküsst.", witzelt George über die Aktion.
Der spezielle Humor der Band kommt erneut zum Vorschein, als ich danach frage, warum zum Geier sie in der Vergangenheit als 'Peter Sutcliffe and his Victims' aufgetreten sind. Peter Sutcliffe ist ein als Yorkshire Ripper bekanntgewordener Frauenmörder, der zwischen 1975 und 1980 mindestens 13 Frauen in Leeds und Umgebung umgebracht hat. Anscheinend handelte es sich dabei um einen Gag zu Halloween. "Da macht man ja schonmal irgendetwas Ekliges. Und das Widerlichste, was uns eingefallen ist, war Peter Sutcliffe. Also hatten wir uns als er verkleidet." So so, na gut, das ist dann wohl der etwas schwarze britische Humor mal wieder.

Es ist offensichtlich, dass sich mein Gesprächspartner nicht unbedingt durch eine positive Weltsicht auszeichnet. Ein wenig schwarzmalerisch und neurotisch scheint er veranlagt zu sein, was ihn aber irgendwo auch wieder symphatisch macht. Der junge, schlaksige Mann wirkt ein wenig exzentrisch und gefrustet, aber keinesfalls bösartig, wie eingangs befürchtet. Zum Schluss interessiert mich, was hinter dem Song "Soulless Youth" steckt und wieso genau die heutige Jugend in seinen Augen seelenlos ist: "Die Sache ist, ich glaube nicht an eine Seele. Darum geht es auch in dem Song. Ich denke, dass eher so etwas wie ein Trieb oder Verlangen in uns steckt- irgendetwas Gefräßiges, Gieriges. Du willst etwas haben, kannst es aber nicht kriegen. In der Schule, im Job- man will immer mehr, schafft es aber nicht, es zu bekommen. Man ist nie zufrieden. Das ist, was ich in der heutigen Jugend sehe- sie hat diesen Hunger nach Erfolg, kann ihn aber nicht stillen, weil es keine Optionen gibt. Und am Ende steht man mit Nichts da."

Juliane Haberichter

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