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Eine kalte, raue und steinige Natur beeinflusste die Aufnahmen zum neuen Efterklang-Album “Piramida“. Zurück auf europäischem Festland, erzählt uns die Band im motor.de-Interview von einem Ort, der so lebensfeindlich ist, dass er sie unweigerlich fasziniert.
(Foto: Rasmus Weng Karlsen)
Gut gelaunt und mit ordentlich Hipster-Charme ausgestattet, sitzen die beiden in einem Hotel nahe der Berliner Mauer und genehmigen sich obskure Drinks: “Kokoswasser steht hier auf der Dose und machte mich wirklich neugierig”, kommentiert Frontmann Casper Clausen den ersten Schluck, “gar nicht so übel, auch wenn ich nun wirklich keinen halben Liter davon brauche”, ergänzt er schnell und weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass weitere Büchsen an diesem Tag folgen werden. Mit Efterklang lief es für ihn ähnlich: Vor knapp 12 Jahren in Kopenhagen gegründet, war das Konzept der Band vornehmlich kein Konzept zu haben und bescherte Clausens Truppe bald große Aufmerksamkeit. “Es gab schon immer einen festen Kern”, erinnert sich Kollege Mads Brauer, “doch stets suchten wir neue Leute, fragten sogar Fans auf unserer Website, ob sie nicht Lust haben, bei Efterklang einzusteigen und ein paar Tourtermine mitzunehmen.”
Das Kuriose daran: Es funktionierte ohne große Reibungspunkte – “natürlich musst du deinen festen Mitgliedern schonend beibringen, dass wieder jemand Neues Input bringt und sich niemand davor zu verschließen hat. Anderseits ist das doch das Spannende, Sachen auszuprobieren und zu sehen, wo dich fremde Hilfe hinbringt.” Nach Spitzbergen zum Beispiel, wo Efterklang vor einem Jahr Kurzurlaub buchten und massive Kreativitätsschübe vernahmen. 1000 Kilometer vor dem Nordpol gelegen, wohnen auf der norwegischen Inselgruppe mit sommerlichen Höchsttemperaturen von fünf bis acht Grad über 2.500 Menschen. Einst für Bergbau und Forschung gegründet, ist die Region heute frei zugänglich für Touristen – bis auf einen kleinen Teil namens Pyramiden: “Hier hat die ehemalige Sowjetunion Hoheitsrecht und nach deren Zusammenbruch wurden von jetzt auf gleich die Siedlungen geräumt und wirken inzwischen wie eine Geisterstadt – welche sogar von zwei russischen Soldaten rund um die Uhr bewacht wird.”
Erinnert sich Brauer und ist immer noch fasziniert von den Erlebnissen dort – so sehr, dass nicht nur das neue Efterklang-Album “Piramida” als Titel trägt, sondern er die Geschichte rund um deren Entstehung wieder und wieder erzählt. Eine spannende und gruselige zugleich, wie wir im motor.de-Interview erfuhren.
motor.de: Manche fahren auf die Kanaren, andere nach Südostasien und Efterklang verbringen den Urlaub mit Eisbären.
Casper Clausen: Kann man so sagen. (lacht) Als wir im Sommer letzten Jahres dort waren, herrschte gerade Tag und die Sonne ging von April bis August nicht unter – selbst abendliche Dämmerungen gab es keine und mit zehn Grad Außentemperatur hatten wir Touristen sogar Glück, sonst ist es wesentlich kälter.
Mads Brauer: Als Dänen kennt man solche Temperaturen, aber als der Herbergsvater uns mit dünnem T-Shirt und leichter Windjacke vom Hafen abholte, wunderte ich mich schon.
motor.de: Die Bilder bei Google sehen einigermaßen gruselig aus – scheinbar besteht die ganze Insel nur aus wuchtigen Gesteinsbrocken.
Mads Bauer: Das war auch das Erste, was uns auffiel: Wie Menschen-unfreundlich die Region ist – als würde sie dir sagen: Dreh um, hier gibt es keinen Grund für deinen Halt. (überlegt) Trotzdem scheinen die Leute dort oben ausgelassen und fröhlich.
Casper Clausen: Genau, als hätten sie sich mit der Natur arrangiert. Find ich sehr beeindruckend.
motor.de: Laut Wikipedia ist es verboten, dort Tote zu begraben – warum?
Casper Clausen: Weil sich durch die vielen Eisschichten die Erde nach der Polarnacht selbstständig umgräbt und es somit passieren kann, dass das, was im Sommer begraben wurde, durch den harten Winter und leichten Tauprozess im Anschluss wieder nach oben kommt. Plötzlich hast du eine Leiche zwischen deinen Füßen, eine eklige Vorstellung.
Mads Brauer: Aus dem Grund dürfen dort keine Kinder geboren werden, denn das norwegische Recht sagt: Wo du zur Welt kommst, darfst du auch begraben werden. Das geht hier nicht und die achten da sehr penibel darauf. Als Rentner musst du Spitzbergen verlassen und deinen Lebensabend woanders verbringen.
motor.de: Euer Album trägt allerdings den Namen des Speergebiets: “Piramida”.
Casper Clausen: Ein Geisterdorf, das teilweise bewohnt wirkt und im Kommunismus ein Vorzeigeort war – alles politisch sauber kontrolliert. Die Sowjetunion schickte generell nur Regierungs-treue Anhänger dort hin, die dann für Bergbau und Forschung zuständig waren.
motor.de: Also gibt es noch möblierte Wohnungen?
Casper Clausen: Ja, die gibt es zuhauf und ein deutsches Kamerateam schleuste uns dort ein. Wir gingen in die leerstehenden Hütten und fanden alles, was die Leute vor Jahrzehnten liegen ließen.
Mads Brauer: Ein Klavier zum Beispiel, dass durch die Kälte zwar total verstimmt war, aber trotzdem auf dem Album als Sample zu hören ist – wir erkundeten die Region quasi auf unsere Weise und hielten die Richtmikrophone überall dran, wo es Sinn ergab.
motor.de: Gutes Stichwort, denn “Piramida” klingt weit reduzierter als eure vorangegangen Alben – hat Spitzbergen damit was zu tun?
Mads Brauer: Selbstverständlich. (stockt kurz) Es war bei Efterklang bislang immer so, dass wir Songs schrieben wie andere Leinwände bemalen: Du packst die Bridge rein, ein kurzes Solointermezzo und ansonsten lässt du den Track durch allerhand verschiedene Sounds leben. Dieses Mal geschah Folgendes: Die Leinwand wurde so weiß wie möglich gelassen und es ist wie mit der Natur auf Spitzbergen, sie ist minimal und doch reicht das, um die Anwohner glücklich zu machen.
motor.de: Die finalen Aufnahmen fanden hingegen in Berlin statt, euer neuen Heimat.
Casper Clausen: Wir gehören natürlich zu der Sorte Musiker, die hier leben, weil es finanzierbarer als die eigene Heimatstadt und ein kreativer Schmelztiegel zugleich ist. Es wohnen inzwischen einfach viele meiner Freunde hier – auch wenn man ab und an merkt, dass die Leute genervt sind, so Marke: Nicht schon wieder ein Indiemusiker, der die Stadt total hip findet. (beide lachen)
motor.de: Wer den Sommerurlaub am Nordpol verbringt, kann doch gar nicht so verkehrt sein – wollt ihr da eigentlich noch einmal hin?
Mads Brauer: Für meinen Teil könnte ich gut mit den Erinnerungen leben. Obwohl man schon darüber nachdenkt, wie es wäre, dass Album den Leuten da oben vorzuspielen. Dafür würde ich auf jeden Fall zurückgehen.
motor.de: Was spricht dagegen?
Casper Clausen: Abgesehen von dem hohen logistischen Aufwand, natürlich die Tatsache, dass die meisten mit Indiemusik, wie wir sie machen, nichts anfangen können. Ich schicke unseren Herbergsvater auf jeden Fall die Platte und bin gespannt auf seine Kritik!
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