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“Bei allem Übel geht es mir darum, Hoffnung zu vermitteln” – Einar Stray im motor.de-Interview

Ob laut oder leise, puristisch oder symphonisch – der 21-jährige Einar Stray brilliert mit einer fein ziselierten Opulenz zwischen artifiziellem Pop und experimentellem Songwriting. motor.de traf den Norweger kurz vor dem Release seines Debüts “Chiaroscuro”.

(Foto: Alexander Klich, UT Connewitz)

Nach dem vergangenen Jahr dürfte nicht nur die Presse, sondern auch der Ottonormalhörer müde sein, von ewig neuen Wunderkindern überzeugt zu werden. Das Gute: Die Persuasion von Einar Stray übernimmt seine Musik von ganz allein. Der Norweger ist gerade einmal 21 Jahre jung und veröffentlicht am 13. Januar sein Debütalbum “Chiaroscuro”, das mit einer fein ziselierten Opulenz zwischen artifiziellem Pop und experimentellem Songwriting zu überzeugen weiß. Lauscht man den üppigen Songstrukturen, so ist die Orchester-Vermutung nicht weit. Umso erstaunlicher ist es, das wir am Freitagabend dem Soundcheck der Band beiwohnen und gerade einmal fünf Musiker auf der Bühne zählen.

Anschließend sitzen wir mit dem jungen Skandinavier beisammen und werden das Gefühl nicht los, hier einen Menschen zu treffen, der trotz seines jungen Alters einiges zu sagen hat. Stray ist ein Romantiker, ein geheimer Weltverbesserer, der Musik nicht nur aus reinem Selbstzweck betreibt. Er wirkt nachdenklich, nicht in sich gekehrt, doch mit einer besonnenen Ruhe ausgestattet, berichtet er von den Arbeiten seines Erstlingswerks, das mit seinen kontrastreichen Antonymen Bewunderung auslöst. Vor seinem Auftritt im UT Connewitz hat motor.de mit dem Norweger über seine Heimat, das Label Sinnbus und dem Dualismus zwischen Gut und Böse gesprochen.

motor.de: Einar, du bist gerade am Anfang deiner ersten Deutschland-Tour. Was waren deine bisherigen Eindrücke?

Einar Stray: Heute ist Tag Drei der Tour. In Hamburg haben wir im Thalia Theater gespielt und es war wirklich unglaublich, viele Menschen sind gekommen, das hat uns alle gefreut. Das Konzert gestern fand in Rostock auf einem Boot statt – eine völlig neue Erfahrung (lacht).

motor.de: Auch wenn es noch etwas früh ist, doch hast du bereits Unterschiede feststellen können zwischen dem norwegischen und deutschen Publikum?

Einar Stray: Auf jeden Fall. Die Deutschen sind freundlicher während des Auftritts. Sie sind sehr ruhig und hören bedächtig zu. Es macht wirklich Spaß, die Songs vorzutragen, wenn die Zuschauer aufmerksam sind.

motor.de: Dein Debütalbum umfasst sieben Songs und wird demnächst über Sinnbus veröffentlicht. Wie kam die Zusammenarbeit mit dem Label zustande?

Einar Stray: Ich glaube, wir haben uns das erste Mal auf der Popkomm kennengelernt. Damals waren sie sehr an Norwegen sowie der dortigen und skandinavischen Musikszene im Allgemeinen interessiert. Und ja, sie sagten mir, dass sie meine Musik mögen.

motor.de: Sinnbus steht im deutschen Independent-Bereich für große Qualität. In deinen Augen, was ist das Besondere an Sinnbus?

Einar Stray: Das sind wirklich tolle Menschen. Sie geben immer ihr Bestes und stellen die Musik in den Vordergrund. Sie machen wirklich außerordentlich gute Arbeit – ob es um Video-Shootings oder die ganze Abwicklung des Merchandisings geht. Sie sind wirklich fantastisch.

motor.de: Im vergangenen Jahr hast auch am Hundreds-Album “Variations” mitgearbeitet und deren Song “Little Heart” neu interpretiert. Wie kam es dazu?

Einar Stray: Das war die Idee des Labels. Doch Hundreds kannte ich bereits vor der Zusammenarbeit, weil wir bereits einige Konzerte zusammengespielt haben. Es hat wirklich Spaß gemacht, gerade weil “Little Heart” einer meiner Lieblingssongs von ihrem Debüt ist.

Hundreds – “Little Heart” (Einar Stray Cover)

motor.de: Du bist in Norwegen geboren und lebst dort. Gib uns einen Eindruck von deiner Kindheit in Skandinavien!

Einar Stray: Geboren wurde ich in Sandvika, einer kleinen Gemeinde südwestlich von Oslo. Die Stadt liegt direkt am Oslofjord, sodass ich in meiner Kindheit immer am Meer war. Es ist ein idyllischer Ort, doch als eines Tages ein großes Shopping-Center gebaut wurde, hat es mich nach Oslo gezogen, wo ich nun lebe. Dort gibt es wirklich eine tolle Community, um Musik zu machen. Es ist eine äußerst spannende Zeit gerade, weil viele Bands entstehen, die sich gegenseitig inspirieren. Viele Freunde von mir wie Moddi oder Team Me, die ich nur wärmstens empfehlen kann, habe ich früher über Myspace kennengelernt und es freut mich, dass auch sie in Europa Konzerte spielen und ihre Musik mit vielen Menschen teilen können.

motor.de: Lass uns über dein Debüt “Chiaroscuro” sprechen. Benannt nach der Hell-Dunkel-Technik in der Malerei stechen auch auf dem Album die krassen Gegensätze hervor. Auf der einen Seite ist die Platte laut, rau und opulent. Auf der anderen Seite arbeitest du viel mit Zärtlichkeit, Ruhe und Klarheit. Was steckt dahinter?

Einar Stray: Ja, diese Dualismen – Gut und Böse, Hell und Dunkel – wollte ich darstellen. Wir alle wissen von der Grausamkeit auf dieser Welt. Wir töten. Wir machen schlimme Dinge, nicht nur mit Menschen, sondern auch mit der Natur. So kommt es, dass mein Album durchaus depressive oder sagen wir lieber melancholische Züge aufweist. Dennoch geht es bei allem Übel auch darum, Hoffnung zu vermitteln.

motor.de: Was sind die Hauptthemen des Albums, das Böse und Gute im Allgemeinen. Gibt es etwas, dass du aussprechen wolltest, eine Botschaft?

Einar Stray:
Weißt du, ich will gar nicht zu sehr über meine Texte und die Intentionen dahinter sprechen. Das sollte jeder für sich selbst ausmachen. Für mich war es letztlich wichtig, dass beides eine Einheit darstellt, die Musik und die Lyrics. Das Eine geht nicht vollends ohne das Andere. Deswegen veröffentliche ich auch meine Texte nicht. Im Großen und Ganzen handelt “Chiaroscuro” über das Gefühl, das in der Jugend entsteht. Nämlich, dass diese Welt einfach derartig groß und komplex ist, dass sie für den Einzelnen nur in ihrer Unbegreiflichkeit existiert.

motor.de: Nimm mich mit ins Studio, wie darf ich mir den Produktionsprozess vorstellen. Hast du Arrangements bereits geschrieben und danach Freunde eingeladen, die restlichen Instrumente zu übernehmen?

Einar Stray: Am Anfang habe ich das noch so gemacht, aber das hat sich schnell geändert. Zwar hatte ich bereits jede Melodie und alle Strukturen beisammen, in meinem Kopf (lacht). Doch ich bin mit der Band gemeinsam ins Studio. Dort haben wir an den Ideen gearbeitet und zusammen umgesetzt.

motor.de: Wie etwa beim letzten Track des Album: “Teppet Faller”. Dieses zehnminütige Instrumentalstück ist ein Vulkanausbruch von divergierenden Zuständen und Gefühlen: Angst, Freude, Glück, Trauer, Lust, Chaos, Schmerz. Wie gelingt euch diese Üppigkeit?

Einar Stray: Dieser Song ist im Kontrast zu den restlichen Songs auf dem Album entstanden. Es ist der einzige Track ohne Text, deswegen steht er auch hinten an. Für mich spiegelt der Song das Ende der Welt wider. Die Welt wie wir sie kennen, bricht zusammen.

motor.de: Und obwohl sie kollabiert, bleibt etwas Gutes zurück. Ist es die Hoffnung?

Einar Stray: Ja, möglicherweise. Das ist das Schöne am Musizieren, du hast die Möglichkeit über die Songs mit deinem Publikum zu kommunizieren. Doch du bestimmst dabei nicht was sie denken.

Einar Stray – “Chiaroscuro” (live 2011)

motor.de: Das sind Eindrücke, die auch auf deine Einflüsse übertragbar sind. Auf deiner Facebook-Seite hast du einige Künstler angegeben, die dich beeinflusst haben. Zum Beispiel Sufjan Stevens, mit dem du unter anderem verglichen wirst. Was denkst du über ihn und seine Musik?

Einar Stray: Das Faszinierende an ihm ist sicherlich seine Furchtlosigkeit. Er übertritt Grenzen und verbindet beinahe Unmögliches, wie auf seinem letzten Album. Und natürlich die Texte. Sie weisen einen klaren Pfad, so als ob die Stimme Gottes zu einem sprechen würde (lacht).

motor.de: Hast du ihn bereits live gesehen?

Einar Stray: Ja, zweimal. Vor einigen Jahren bin ich mit Paul Moddi neun Stunden unterwegs gewesen, um ihn live zu sehen. Er und seine Akustik-Gitarre, das war bereits herausragend. Und bei seiner letzten Tour fehlten mir einfach die Worte.

motor.de: Komplett abgefahren, oder?

Einar Stray: Die Definition der kompletten Reizüberflutung (lacht). Doch zwischen den Songs war er ein normaler Typ, sehr sensibel und aufrichtig.

motor.de: Doch du hast nicht vor, alle Bundesstaaten von Norwegen bzw. die 19 Provinzen zu vertonen, oder?

Einar Stray: (lacht) Ich glaube, das sollte ich nicht tun.

Sebastian Weiß

motor.de präsentiert:
Einar Stray & Me And My Drummer – Live 2012:

10.01. Nürnberg – Neues Museum
11.01. Magdeburg – Projekt 7
12.01. Hannover – Feinkostlampe
13.01. Köln – Theater @ Die Wohngemeinschaft
14.01. Haldern – Haldern Pop Bar
16.01. Göttingen – Apex
17.01. Dresden – Societätstheater
18.01. Chemnitz – Weltecho
21.01. Berlin – hbc-Club
19.02. Bochum – Christuskirche
21.02. Potsdam – Waschhau

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