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Sie werden immer unbekannter, unwichtiger und uninteressanter. Aber die Casting-“Stars” verändern unsere Wahrnehmung der Musikwelt.
Eine neue Jury. (Und man muss nicht alle kennen.)
Manchmal fragt man sich schon, ob es irgend jemanden gibt, der sich mit dem Humor der Verzweiflung gegen das wehrt, was er da auf den Sender schickt. Da stehen Nena, Xavier Naidoo, Rea Garvey – der hatte mal mit seiner Band Reamonn ein paar veritable Hits – sowie diese zwei Hutträger-Typen der Cover-Band BossHoss (die muss man sich nicht merken) auf einer unglaublich protzig-hässlichen Bühne und versuchen sich ausgerechnet an David Bowies “Heroes”. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil es sich hier um den per Trailer-Offensive verkündeten Start der neuen großen Musik-Casting-Show handelt, die gerade auf Pro Sieben und Sat 1 massiv in die TV-Aufmerksamkeit gedrückt wird. “We can be heroes, just for one day”, ist die zentrale Botschaft des Songs und man wäre fast schon geneigt, diesem offensichtlichen Zynismus ein gewisses Maß an Respekt entgegenzubringen, wenn es sich denn nicht um eine – zuverlässig erwartbar – sehr, sehr schlimme Version dieses Songs handeln würde.
Anschauen nur auf eigene Gefahr!
Dass es hier vorrangig nicht um den Sängerwettstreit der Kandidaten, sondern um die Präsentation der Jury geht, ist damit allerdings schonmal klar gestellt. Denn deren Mitglieder “streiten” sich um die erfolgversprechendsten Stimmen. Das ist die Grundidee: Es ginge um Gesang, wird behauptet, um die reinste Form von Musik also, bar jeder sonstigen Gimmicks, die alle anderen Shows auszeichnen würden. Die Jury sieht nicht, was auf der Bühne passiert – so das Grundkonzept, dessen Schlichtheit fast schon überzeugend wirken könnte. Zumindest, bis man mitbekommen hat, dass es auch hier wieder nur zugeht wie in allen anderen Shows auch: Die Kandidaten jubeln und heulen, das auf Stichwort oder Kameraeinblendung enthemmte Publikum wurde offenbar in einer Großraumdisco aufgesammelt und die Jury – nun ja … Wer Nena oder Xavier Naidoo noch ohne Geschmacksallergie-Reiz wahrnimmt, darf sich zu einer nicht ernst zu nehmenden Mehrheit zählen.
Als die größte Musikshow aller Zeiten wird “The Voice Of Germany” mit allem verfügbaren Pomp angekündigt. Es ist die Ablösung der zehn Jahre gelaufenen “Popstars”, deren musikalische Nachhaltigkeit sich sehr schön an den Namen der letzten drei Siegerbands ablesen lässt: Queensberry, Some & Any, LaVive. Es sind allesamt Projekte, die auch halbwegs Mainstream-kulturell aufgeklärten Menschen eher unbekannt sein dürften und die selbstredend unhörbar sind. Allerdings ist dieses Kriterium ist ja seit Anbeginn von Popkultur nicht wirklich relevant, wie jede durch Teenager-Kinder leidgeprüfte Elterngeneration immer wieder feststellen musste. Diese “Popstars”-Bands hatten jedoch nicht mal nach den bisher geltenden offiziellen Erfolgs-Aspekten der Musikwirtschaft etwas zu melden: die Charts-Erfolge halten sich in bescheidenem Rahmen, einzig Queensberry konnten sich gerade noch so in die Top 10 hangeln.
Auf der medialen Resterampe ist immer noch ein Plätzchen frei.
Viele “Einheiten” – das ist die harte Währung im Musikbusiness – muss man auch dafür nicht verkaufen, soll heißen, reich wird man mit einer Nummer-fünf-Single in Deutschland noch lange nicht. Aber sogar das scheint inzwischen eigentlich egal, solange sich ein betriebswirtschaftlich vertretbarer Anteil noch als medial resteverwertbar zeigt. Queensberry ist ein perfektes Beispiel: 2010 schon ein Auslaufmodell, wurden sie noch für den Komet – den Musikpreis des vorgeblichen Musiksenders Viva – als “Beste Band” nominiert. Ein Jahr später gings schon zur TV-Resterampe VOX. Die Auswanderer-“Doku” “Auf und davon” war dabei, als die Girlgroup sich den Anschein gab, zu versuchen, in Amerika durchzustarten. Es ist eine Entwicklung, die mehr oder weniger alle Casting-Sieger durchmachen müssen, egal ob sie bei DSDS, X-Factor oder sonst irgendeiner Show als Musik-Quereinsteiger etabliert wurden.
“The Voice Of Germany” wird da keine Ausnahme machen, sondern noch weiter vertiefen, was unumkehrbar scheint: Die Popmusikwelt hat sich endgültig in Paralleluniversen aufgeteilt, die sich immer weiter voneinander entfernen. Es gibt die Welt der Musiker, Labels, Clubs, Festivals und aller ihrer Hörer, Besucher, Käufer. Es ist die – aus dieser Sicht –wirkliche Musikwelt. Es ist anstrengend, sich darin wohlzufühlen, man muss sogar als Konsument viel Zeit und Liebe investieren. Auch in der geht es um Erfolg, darum, wahrgenommen zu werden, vielleicht sogar darum, den Sprung in die andere Welt zu schaffen. Die ist nämlich – und da ignorieren wir jetzt einfach mal schnöde alle historische Genauigkeit, die diese Trennung weniger exakt zieht – die deutlich verlockendere Welt. Eine mit den großen Arena-Bühnen, den eigenen Parfüm-Kollektionen und den Plätzen in der ersten Reihe bei den Prêt-à-porters dieser Welt. Eine ohne stinkige Proberäume, Nächte in vergammelten Kleinbussen auf Tour oder Auftritte in ranzigen Clubs. Eine, die ohne Gemecker von Musikkritkern auskommt und die stattdessen auf roten Teppichen vor den Kameras der Boulevardmagazine posieren darf. Nicht, dass sich irgendeiner der singenden Statisten bei “The Voice Of Germany” darauf auch nur den Hauch einer Chance ausrechnen dürfte, die länger als eine Viertelsaison währt. Aber es ist eine weitere Sendung auf dem Weg ins Ungleichgewicht der Welten. Dann wird Popmusik für die Meisten nur noch der Soundtrack zu Werbung, Bambi-Awards oder Weißt-du-noch-Shows sein. Man muss das natürlich als Chance für die Minderheit sehen. Abgrenzung ist ein Urmotiv von Popkultur.
Augsburg
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