Die Straßenmusiker Guaia Guaia veröffentlichen ihr erstes Album mit Label und Vertrieb im Rücken. Außerdem wurde kürzlich ein Kinofilm gedroppt, der das Künstlerduo Elias und Luis zum Gegenstand hat. Dachten wir uns also, fragen wir mal nach: nach Straße, Glaubwürdigkeit, Musik, Eltern, Musik, Politik, Schule, Musik und nach freier Liebe.

(Fotos: John Sauter)

 

motor.de: Euer Album heißt „Eine Revolution ist zu wenig“

 

Luis: „VIEL zu wenig“

 

motor.de: Wo liegt denn die Betonung? Bei „eine“?

 

Luis: Haha, bei VIEL.

Elias: Wo man will. Wir haben letztens Sticker gemacht mit den Köpfen von bekannten Leuten drauf und je nachdem, wer da so drauf ist, bekommt das Ganze eine komplett andere Bedeutung.

Luis: Wenn zum Beispiel Gaddafi zu sehen ist, und es steht dazu „Eine Revolution ist viel zu wenig“, kriegt es eine andere Bedeutung, als wen Che Guevara zu sehen ist.

Elias: Für uns ist es ein zentraler Satz und eine ziemlich treffende Aussage, weil man es einerseits sehr direkt und wörtlich verstehen, es aber auch in die komplett andere Richtung gedeutet werden kann. Wenn man in die Weltgeschichte schaut: Wie viele Revolutionen wurden denn durchgeführt, doch am Ende hat sich nichts geändert? Es gab nur Machtwechsel und für die Menschen hat sich nichts geändert.

Luis: Oder eben nur ein bisschen, und deswegen ist EINE Revolution zu wenig. VIEL zu wenig.

 

motor.de: Bei so ner Revolution…

 

Elias: Ja?

 

motor.de: Wen würdet ihr euch denn vorknöpfen?

 

Luis: Am ehesten erstmal sich selbst.

Elias: Das ist nämlich der andere Aspekt der Geschichte. Also, wir beziehen das sehr stark auf uns selbst, nicht nur auf die Gesellschaft, eine innere Revolution.

motor.de: Euer Titeltrack „Eine Revolution ist viel zu wenig“ ist lyrisch wie musikalisch eine brutalere Nummer – verglichen mit den Songs auf dem restlichen Album. Ist er deswegen ganz hinten auf der Platte oder hat das andere philosophische Gründe?

 

Elias: Ne, das war nicht der Grund.

Luis: Wir haben auch nicht viel philosophiert.

Elias: Es gibt einen direkten Grund. Das letzte Wort der Platte ist durch diese Anordnung „Utopie“. Das fand ich ganz cool. Wie geht der Satz nochmal… „Wir könnten der Anfang sein von einer…“

Luis: Wie geht das?

Elias: „…Könnten der Anfang sein, von einer besseren Utopie.“

 

motor.de: Der erste Track heißt „Absolute Gewinner“. Wie sehr seid ihr denn von Hamburger Rap beeinflusst?

 

Elias: Uh, haha.

Luis: Ja, wir haben das hin und wieder gehört. Vielleicht auch öfter, in der Jugend. Wir haben selbst mit klassischem Rap angefangen…

 

motor.de: Weiter?

 

Luis: Desweiteren…

Elias: Da hießen wir Flow Fanatics.

 

motor.de: Ein grandioser Name.

 

Elias: Ja… haha. Wir hatten keinen guten Namen. Ein Writer-Kumpel von uns wollte uns „World Famous Flow Fanatics“ nennen. Den Anfang haben wir gestrichen. Das war zu Schulzeiten: Die Texte gingen sehr um Themen wie über die Schule frustriert zu sein, Hass auf die Schule.

 

motor.de: Habt ihr die Schule fertig gemacht?

 

Luis: Nein.

Elias: Ich hab noch meinen 10. Klasse-Abschluss gemacht.

 

motor.de: Luis, und du hast das abgebrochen, warum?

 

Luis: Wir waren ja beide am Gymnasium. Ich hab die zehnte abgebrochen, weil es halt nix gebracht hat. Wozu muss ich mich anstrengen, für ein Papier, was mich eh kein Stück weiterbringt. So war es zumindest für mich, ich habe diesen Weg nicht mehr angestrebt. Ausbildung oder Studium, irgendwo, wo man mich ausbildet. Ich wollte das eher autodidaktisch, mich weiterentwickeln. Dass es natürlich Menschen geben kann, die einen fördern oder die man fragen kann, das ist klar. Ich bin jemand, der direkt zum Handwerker hingeht, wenn er was über ein Handwerk wissen will.

motor.de: Auf eurer Platte geht es viel um Glücklichsein, Lebenssinn. Was braucht ihr denn zum Glücklichsein?

 

Luis: Was wir zum Glücklichsein brauchen… Fangen wir doch einfach mal im Jetzt an. Früher brauchten wir überhaupt erstmal die Möglichkeit, mit Musik die Menschen zu erreichen. Das haben wir mit der Zeit geschafft. Und jetzt brauchen wir… Was mich sehr glücklich macht, ist Natur. Ein kleiner Bach, der nicht von der bescheuerten Landwirtschaft schon an der Quelle vergiftet wird, das macht mich glücklich. Aber brauche ich das? Ich weiß nicht, wenn ich das sehe, macht es mich glücklich, aber brauchen…

Elias: Ich glaube, Zeit ist eine ganz elementare Sache. Wenn man genug davon hat, Zeit, die man frei gestalten kann, ist das wunderbar. Was mich nicht glücklich macht, ist die Welt, wie sie aussieht. Da kann ich nicht komplett glücklich sein, wenn ich die ganze Zeit feststelle, dass ich grundlegende Widersprüche mit der Welt habe und mich nicht als Teil der Gemeinschaft fühle. Ich müsste mich aus der Gesellschaft rausklinken und versuchen, sie fern von mir zu halten. Es ist sonst eine harte Übung, in dieser Gesellschaft zu leben und trotzdem glücklich zu sein.

 

motor.de: Seid ihr wirklich so Out of Orbit, oder geht ihr zum Beispiel wählen?

 

Elias: Ich hab das letzte Mal…

Luis: Wir waren schon wählen.

 

motor.de: Darf man fragen, was ihr wählt, ich weiß, das macht mal nicht, warum auch immer, deswegen frag ich mal.

 

Luis: Was haben wir damals gewählt? Also…

Elias: Das letzte Mal hätte ich die Piraten gewählt, aber da waren wir in Berlin nicht gemeldet.

Luis: Ich glaube, ich würde nicht wählen gehen.

 

motor.de: Ihr seid nicht gemeldet, weil ihr umgezogen seid?

 

Elias: Ja, von Frankfurt nach Berlin.

Luis: Ich glaube auch, dass wir, was das Wählen betrifft, nicht hingehen würden. In Frankfurt war Bürgermeisterwahl. Und da gab es einen Kandidaten, der sehr krass war. Bei so jemanden könnte ich mir vielleicht vorstellen, zu wählen. Das hängt bei mir von Personen ab, ob jemand da ist, den man wählen möchte. Bei den Bundestagswahlen weiß ich nicht, wen ich wählen möchte.

Elias: Ich habe lange nicht darüber nachgedacht. Es heißt ja, wenn du nicht wählst, gibst du deine Stimme den Rechten. Aber letzten Endes ist nicht zu Wählen ja auch…

 

motor.de: Eine Aussage?

 

Elias: Eine Aussage. Die aus einem großen Teil der Gesellschaft kommt. Ich kann mir vorstellen, Teil dieses Blocks zu sein, der dann in der Statistik erscheint. Es ist wahrscheinlich so, dass die gebildeteren Milieus wählen gehen – für die macht dann die CDU Politik und holt sich die Stimmen. Die anderen in den ganzen Vororten, denen es Scheiße geht, die gehen eh nicht wählen. Ich bin mir noch nicht sicher, wie ich mich da entscheide.

 

motor.de: „Ich zahl keine Miete“ ist eine programmatische Aussage auf eurem Album. Ist das immer noch so?

 

Luis: Das ist so. Wir zahlen keine Miete.

motor.de: In welchen Verhältnissen lebt ihr denn?

 

Elias: Wir haben seit drei Jahren keine Wohnung mehr, oder?

Luis: Ja. Das ist dann unser Verhältnis, keines. Kein Mietverhältnis.  

Elias: Im Sommer fahren wir halt durch die Gegend und schlafen mal hier, mal dort. Mal draußen, mal bei irgendwelchen Leuten, die wir kennenlernen. Das ist dann unsere Art des Verhältnisses. Haha. Im Winter haben wir Häuser besetzt, hier in Berlin.

Luis: Wir haben mal von Leuten gehört, die eine Villa geheiratet haben. Das war dann deren Verhältnis. Sieben Männer. Und die Villa. So machen wir das auch, aber nicht so fest, eher freie Liebe mäßig.

 

motor.de: Wie habt ihr denn euer Album aufgenommen, wenn ihr so viel on the Road seid?

 

Elias: Wir haben für das aktuelle Album das erste Mal im Studio aufgenommen. Vorher würde ich unsere Situation nicht als „Studio“ bezeichnen.

Luis: Nein, haha.

Elias: Das war eher ein Laptop, das war unser Studio.

 

motor.de: Sind auf dem Album denn viele echte Instrumente, oder habt ihr da viel mit dem Laptop programmiert?

 

Elias: Ich glaube, man hört ganz gut, dass ein großer Teil programmiert ist. Aber ich würde sagen, bei der Hälfte ungefähr haben wir auf echte Instrumente zurückgegriffen. Die Streicher, außer da, wo sie synthetisch klingen, sind echt. Mein Vater spielt im Orchester Kontrabass. Daher haben wir gute Kontakte. Er hat seine Kumpels gefragt, ob sie uns was einspielen können. Posaune ist von Luis, Gitarre von mir.

Luis: Das Schlagzeug haben wir teilweise einspielen lassen.

Elias: Da, wo es sich nach echtem Schlagzeug anhört, ist es auch echt, dort, wo es nach Drum-Machine klingt, ist es eine. Das war uns wichtig, das hörbar zu halten. Auf drei Stücken habe ich noch E-Bass eingespielt. Die Synthies sind alle programmiert. Es ist auch so, dass, wenn wir die Stücke entwickeln, erstmal alles programmieren, um zu hören, und um zu fühlen. Erst dann kommen die Instrumente.

 

motor.de: Ihr habt viel Straßenmusik gemacht. War das die einzige Möglichkeit, um Spritgeld zu verdienen, und von Stadt A nach B zu kommen?

 

Luis: Wir haben kein Auto.

 

motor.de: Zugtickets?

 

Elias: Nein.

motor.de: Wollt ihr mir erzählen, ihr fahr echt mit dem Fahrrad?

 

Elias: Letztens hatten wir gefälschte Zugtickets. Sonst fahren wir Fahrrad. Wir hatten Filmpremiere in Leipzig. Da fuhren wir von Braunschweig nach Leipzig, abends noch ne Mucke auf der Sachsenbrücke. In unserem Film sieht man, dass wir alles mit dem Fahrrad machen. Luis hat so große Lastenräder gebaut, wo vorn zwei Räder sind. Da haben wir das ganze Equipment drauf. In den ersten Jahren ist das nicht so gut gelaufen. Da waren auch die Songs noch bescheuert. Mittlerweile sind wir aber sehr happy mit der Musik. Die Leute auch. Unser Vorgängeralbum ist ausverkauft. Da haben wir immer ein paar Spenden eingenommen.

Luis: Davon haben wir dann den Sommer überlebt.

 

motor.de: Was war denn das Verrückteste im letzten halben Jahr?

 

Luis: Also eine Sache war sehr geil. Die Bullen haben uns geräumt und unser gesamtes Equipment und unsere Fahrräder beschlagnahmt. Das wurde uns in den letzten vier Jahren immer wieder angedroht. Dann ist es halt passiert. Geräumt und beschlagnahmt. Ab in die Asservatenkammer. Das war echt super…

Elias: Die Fahrräder wurden in einen Feuerwehrbus reingefahren. Das war vor einem knappen Monat in Köln.

Luis: Eine große Befreiung eigentlich. Wir wollen, dass die das noch öfter machen, haha.

 

motor.de: Gab es denn auch schöne Erlebnisse?

 

Elias: Das war wunderschön. Endlich nicht mehr diese doofen Fahrräder.

Luis: Das war schon echt… äh befreiend. Es war auch ein lustiges Konzert. Wir haben einfach angefangen an der einer Straßenecke in der Kölner Südstadt am Chlodwigplatz. Beim ersten Song blieb fast niemand stehen. Zwei, drei andere Obdachlose haben uns zugehört. Dann haben wir ein bisschen aufgedreht und es waren dann doch hundert Leute. Schließlich kamen die Bullen, die haben alles eingepackt.

Elias: Also es ist aber auch toll, wenn man nette Menschen kennenlernt. Am selben Abend hat uns der Haumeister eines Studentenwohnheimes ein Zimmer und Matratzen besorgt, weil wir ja wirklich nichts mehr hatten.

 

motor.de: Wie verträgt sich denn dieses unkapitalistische Ding damit, dass ihr jetzt einen Deal mit Vertrieb und Label habt?

 

Elias: Inhaltlich verträgt sich das natürlich erstmal kaum. Weil es ein Widerspruch ist, mit diesen Inhalten bei einem Großkonzern verwertet zu werden. Aber… Ich denke dieser Widerspruch wird nie weggehen. Irgendwo bringen wir halt trotzdem unsere Musik raus. Die Vorgänger-CD gab es auch beim Großkonzern, bei iTunes beziehungsweise Apple, Amazon und so weiter. Wir haben auch vorher unser Essen bei Großkonzernen eingekauft. Deswegen kommen wir aus der ganzen Geschichte nicht so einfach raus. Nur jetzt wird es klarer, dass wir in dem ganzen System drin hängen und nicht ausgekapselt sind, obwohl manche Leute sicherlich gehofft hätten, dass wir da komplett frei sind…

 

motor.de: Müsst ihr euch oft rechtfertigen?

 

Luis: Nein.

Elias: Ich denke schon, ein bisschen.

 

motor.de: Ich meine konkret, dass jemand ankommt und sagt: „Dass könnt ihr doch jetzt nicht machen. AUSVERKAUF!“

 

Elias: Ja. Auf Facebook. Da kommen auch schon krasse Kommentare wie „Der Jude und der Neger“

Luis: Man muss sich ja immer rechtfertigen. Auch auf der Straße. Plötzlich kommt jemand und meint, es wäre eine Jam-Session und er müsste jetzt ans Mikrofon.

Elias: Und ihm ist es egal, dass wir gerade mitten im Song sind. Aber bei der Label-Sache hatten wir eher Bedenken, dass uns musikalisch reingeredet wird, was nicht passiert ist.  

motor.de: Ein Song, „Neues Land“, erinnert mich sehr an Peter Fox. Ist das Absicht oder eine zufällige Reminiszenz?

 

Elias: Das ist eher Zufall. Bei dem Song haben wir eher versucht, wegzugehen und uns nicht so nah daran zu orientieren. Es sind einfach Streicher. Der Song ist schon etwas älter und ich habe zu einer ähnlichen Zeit wie Peter Fox den Wunsch gehabt, Streicher so einzubauen. Das kommt bei mir aus der Familie. Durch meinen Vater habe ich einen starken Zugang zu Streichinstrumenten. Dieses stakkatomäßige Riff ist nichts, was Peter Fox erfunden hat, aber es klingt ein bisschen ähnlich, ja.

 

motor.de: Welches Verhältnis habt ihr denn zu euren Familien?

 

Elias: Ich habe ein sehr gutes Verhältnis. Meine Eltern haben mich sehr geprägt. Immer war Musik um mich herum, schon als ich noch nicht einmal geboren war. Meine Mutter spielt Harve. Auch weil die Eltern für sowas offen sind, war nichts ganz Neues, als ich anfing Musik zu machen. Wenn die Mutter an der Kasse arbeitet und der Vater auf dem Bau, ist das ja etwas komplett anderes.

 

motor.de: Ihr habt also Eltern, die euch nicht auf den Senkel gehen, damit aufzuhören und euch endlich einen ordentlichen Beruf zu suchen?

 

Luis: Nein. Davon sind wir verschont geblieben. Das ist vielleicht einer der Gründe, warum wir in unserem Lifestyle schon ein  bisschen weitergekommen sind. Wir mussten uns nicht auflehnen. Wir haben Sachen gemacht, die unsere Eltern gern gemacht hätten.

Elias: Wenn man Eltern hat, die eher normal und bürgerlich sind, dann versucht man es auch mit Musik, aber man macht nebenher etwas ganz normales, wie Studium oder Job, ist in der Gesellschaft drin. Daraus mussten wir uns nicht frei kämpfen. Weshalb wir vielleicht schon ein Stück weiter sind. Aber es ist nicht so, dass sie sich gar keine Sorgen machen.

Luis: Sie sehen aber, dass wir nicht abkacken, traurig sind und rumhängen, sondern, dass wir unser Ding machen.

 

John Sauter