!doctype
Categories: Interview

Der Blick aus dem “Elfenbeinturm” – ein kluger.

Ein innovatives Distributionsmodell geht in die nächste Runde: “Alles Wieder Offen” ist das dritte so genannte Supporter-Album der Einstürzenden Neubauten. Das Wort Experiment – in diesem Zusammenhang längst unangebracht, es funktioniert ja vortrefflich. Weswegen es auch müßig wäre, hier nun zum x-ten Male die Vorreiterrolle der Industrial-Pioniere in Sachen effektiver Selbstvermarktung jenseits klassischer Arrangements herauszustellen oder abermals sämtliche Details des interaktiven Supporter-Systems aufzulisten. Auch wenn ein Gespräch mit Blixa Bargeld natürlich auch 2007 nicht ganz ohne Business-Hintergründe auskommen kann: Der hellste Fixstern im Neubauten-Universum ist auch und vor allem jetzt die Musik. Denn “Alles Wieder Offen” ist gut, sogar sehr gut.

  “Alles Wieder Offen” – ein beeindruckendes Dokument der musikalischen Potenz einer der besten deutschen Bands aller Zeiten. In der dritten Dekade ihres Bestehens wollen die Neubauten nicht nur nicht schweigen oder gar gehäufte Besitzstände und hochkulturelle Privilegien verwalten. Das Werk dokumentiert eine immer noch erstaunlich offene und neugierige Band. Zumindest die eröffnenden Stücke, das sprachmächtige “Die Wellen” und das dynamisch effiziente, harmonisch traumwandlerische “Nagorny Karabach“, gehören zum Besten, was die Neubauten je produziert haben. Mit beißendem Sarkasmus und kluger Analyse – nicht nur im Titelsong, aber da besonders – gelingt Blixa Bargeld zudem zu gleichen Teilen ein kluger Kommentar zur Zeit wie auch eine treffliche Systemanalyse. Klarer war er selten. Den Luxus, nicht verstanden zu werden, will sich der 48-Jährige offenbar nicht mehr leisten. Auch in seinem angeblichen Elfenbeinturm aka Pekinger “Exil” kriegt der im Interview zwar Jet-Lag-geplagte, aber alles andere als abgehobene Bargeld immer noch mehr mit als manch anderer hier Wohnender.

Das Interview

Blixa Bargeld, du bist gestern am späten Abend erst aus San Francisco gekommen, gibst nun bereits am frühen Morgen Interviews – gewöhnt man sich nach beinahe 30 Jahren im Geschäft an ständige reisebedingte Zeitumstellungen und lange Interkontinentalflüge?
Blixa Bargeld: Schon ein bisschen, man lernt, damit umzugehen. Amerika geht halbwegs. Am schlimmsten waren früher stets die Flüge nach Australien mit den Bad Seeds mit dieser extrem langen Flugzeit, der massiven Zeitumstellung und dem abrupten Wechsel der Jahreszeit. Da hat man immer eine Woche gebraucht, bis man sich davon erholt hatte.

Du hast vor nicht allzu langer Zeit Bezug nehmend auf die Neubauten gesagt, “Ich erwarte von einer Band das Unerwartete, Unwägbare, das sich nicht kontrollieren lässt”. Nun besingst du in “Die Wellen” aus dem neuen Album deine Faszination auf diese “unwägbare Kraft, die sich vom Menschen nicht bändigen lässt”, haderst aber auch mit ihr. Ist der Text als metaphorisches Bild auf jene immer noch aktuelle Philosophie der Neubauten zu verstehen?
Blixa Bargeld: So habe ich das bislang noch nicht gesehen, man könnte es aber so deuten. “Die Wellen” ist einer der wenigen Songs in unserer Geschichte, bei dem der Text vor der Musik geschrieben wurde. Ich schrieb ihn bereits vor längerer Zeit. Die Musik hingegen war ursprünglich für eines jener Musterstücke vorgesehen, die wir parallel zu den Plattenaufnahmen für die Supporter produziert haben. Ein Klavierstück, das mir sehr gut gefiel und auf das dieser Text perfekt passte.

Geht es in “Nagorny Karabach”, das nach “Armenia” aus “Die Zeichnungen Des Patienten OT” abermals reichlich abstrakt Armenien thematisiert, tatsächlich um den Ort oder ist das auch so eine Art Metapher, vielleicht für dein selbst gewähltes “Exil” in Peking?
Blixa Bargeld:
Mit Peking hat das wenig zu tun, die Stadt eignet sich kaum als die im Song besungene Enklave. Viel zu betriebsam. Natürlich war ich noch nie in Nagorny Karabach, einer armenischen Enklave. Ich mag aber den Klang des Namens und fand, dass er als Metapher für eine Art inneres Exil oder Refugium ein gutes Bild abgab. Das von dir angesprochene “Armenia” ist ja ein immer noch sehr beliebtes Lied von uns und das hatte ich durchaus auch im Kopf.

Mit dem System der interaktiven Beteiligung durch die so genannten Supporter, die durch Zahlung eines Mitgliedsbeitrags per Webkamera an euren vorher zeitlich genau vorgegebenen Aufnahmesessions in gewisser Weise teilhaben können und die schließlich, neben einer Premium-Version des Albums auch noch die eben von dir angesprochenen Musterhaus-Stücke, bei denen es sich um experimentellere Arbeiten von euch handelt, sowie im Verlauf des letzten Durchgangs insgesamt 15 so genannte “Juwels” zugestellt bekommen, die dann ihrerseits ein eigenes Album ergeben, habt ihr euch unter einen gewissen Produktionszwang gesetzt. Zumal Du ja inzwischen in Peking wohnst, und immer nur für zeitlich streng limitierte Arbeitsphasen nach Berlin kommst.
Blixa Bargeld: Ja, damit haben wir schon einen gewissen Druck auf uns selbst ausgeübt. Als ich den anderen von meinen Plänen erzählte, eben parallel zur Platte auch noch die von dir genannten anderen Werke zu produzieren, waren sie auch gar nicht so begeistert, sondern fragten sich, wann wir denn dann die eigentliche Platte aufnehmen sollten. Die Zeit war schon knapp, es hat aber dann alles ganz wunderbar funktioniert und die einzelnen Aspekte unserer Arbeit haben sogar voneinander profitiert.

In solchen Phasen ist es oft hilfreich, auf Routinen zurückgreifen zu können. Wie verträgt sich das mit deiner eingangs erwähnten Forderung, als Band unkalkulierbar zu bleiben bzw. wie schafft ihr es, euch selbst die dafür nötige Frische zu erhalten?
Blixa Bargeld: Zunächst würde ich nicht von Routine, sondern eher von Erfahrung sprechen. Wir alle machen das nun bereits so lange, natürlich weiß man da, wie gewisse Dinge funktionieren, wie man zu den gewünschten Ergebnissen kommt. Man beherrscht sein Metier. Abgesehen davon überraschen wir uns aber auch immer noch, da wir nach wie vor sehr spontan arbeiten. Zum Beispiel mithilfe einer Art kreativen Kartenspiels, das ich mir überlegt habe. Einer zieht eine Karte, und auf der steht dann eine Vorgabe zur Erzeugung eines Klangs mithilfe verschiedenster Elemente. Und von diesem Punkt aus gucken wir dann wo die Reise hingeht – so sind sehr viele Sachen entstanden.

Unbedingt erwähnenswert ist ja, dass ihr dabei sämtliche Sounds und Collagen nach wie vor analog erzeugt, oder?
Blixa Bargeld: Ja, alles. Und nicht nur das, wir nehmen auch nach wie vor alle gemeinsame live auf. Insbesondere dabei ist die oben erwähnte Erfahrung enorm hilfreich. Viele Songs auf der Platte sind First-Takes, in einem Fall handelt es sich sogar um eine Live-Aufnahme aus dem Palast der Republik vom letzten Jahr, die wir kaum verändert haben.

So arbeitet ja heute kaum noch einer, es macht die Aufnahmen aber natürlich viel lebendiger, frischer und dynamisch interessanter. Deinen Gesang fügst du aber schon per Overdub hinzu, oder?
Blixa Bargeld: Natürlich. Wir arbeiten auch sonst viel mit Overdubs, aber die so genannten Basic Tracks werden komplett live eingespielt.

Zur letzten Supporter-Runde gab es keine offizielle Veröffentlichung, nun wird ein Teil der Aufnahmen auch wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, gibt es dafür spezielle Gründe?
Blixa Bargeld: Nicht unbedingt. Erstaunlicherweise scheint die Art der finalen Veröffentlichung gar keinen Einfluss auf die Zahl der Supporter zu haben. Wir dachten eigentlich, dass deren Zahl sprunghaft ansteigen würde, wenn klar ist, dass die Aufnahmen auf keinem anderen Weg erhältlich sind. Es haben dann aber bei der letzten Runde ziemlich genau so viele Leute mitgemacht wie bei der ersten oder auch jetzt. Offenbar kommt es den Leuten gar nicht so sehr auf ein am Ende des Weges stehende Produkt an, sondern vielmehr um die Teilnahme am kreativen Prozess an sich. Und jetzt wollten wir halt einen Teil der Aufnahmen auch wieder der Öffentlichkeit zugänglich machen.

Bei den Bands eurer Generation, den so genannten Post-Punk-Bands…
Blixa Bargeld: Ah, bin ich also schon Post-Punk? Und die Toten Hosen, die gleichzeitig gestartet sind, sind Punk, oder was. Wie geht das denn zusammen?

Nun, die Toten Hosen waren ja in gewisser Weise Nachzügler, wie ja allgemein Punk zeitlich verzögert in Deutschland angekommen ist. Generell spricht man aber bei allem, was nach 1977 kam und sich nicht explizit an The Clash oder den Pistols orientierte schon von Post-Punk. Ihr werdet in diesem Kontext ja auch international immer wieder als wichtige Vertreter genannt und gewürdigt. Jedenfalls, wie immer wir das jetzt nennen wollen, ging es bei den Bands eurer Generation immer auch um eine gewisse Radikalität im künstlerischen Ausdruck. Um ein Anderssein, das Schaffen von etwas Neuem abseits des Mainstream, um Haltung und Nonkonformismus. Seit einigen Jahren beziehen sich insbesondere britische Bands zumindest klanglich wieder verstärkt auf jene damalige Aufbruchsphase, aber siehst du heute inhaltlich im Pop noch eine vergleichbare Radikalität oder zumindest überhaupt irgendeine Haltung, einen Veränderungswillen?
Blixa Bargeld: Ich versuche zwar, auf dem Laufenden zu bleiben, vor allem, indem ich viel in Musik-Blogs lese, aber vieles kriege ich natürlich auch gar nicht mehr mit. Ohne denen jetzt etwas zu wollen oder sie dafür zu verurteilen, sehe ich aber bei Bands wie Arcade Fire oder den Arctic Monkeys eindeutig nicht den Willen, etwas Neues oder Anderes zu schaffen. Kennst du “Electric Funeral”, diese Black Sabbath-Neubearbeitung von Venetian Snares? Das ist ganz fantastisch! Auf der Basis alter Sabbath-Tracks aus der “Paranoid”-Zeit werden da alle möglichen Sounds durch den Sequenzer gejagt. Obendrein hört man Ozzys Stimme vermischt mit Sprachfetzen aus dieser MTV-Geschichte, die so collagenhaft eingesetzt werden. Das ist toll. Auch wenn mir völlig schleierhaft ist, wie man so was lizenziert kriegt.

Du hast selbst Black Sabbath erwähnt. Die meisten Leute würden sich angesichts Deines öffentlichen und sicher in Teilen auch zutreffenden Bildes vom kunstsinnigen Intellektuellen sicher wundern, dass du durchaus ein Faible für diese Art von Musik hast. Ich kann mich an eine gemeinsame Nacht vor vielen Jahren im Berliner Niagara erinnern, in deren Verlauf wir fast ausschließlich über die britische Hardrockband Thin Lizzy sprachen.
Blixa Bargeld:  Das ist natürlich die Musik, mit der ich aufgewachsen bin. Meine musikalische Sozialisation fand ja lange vor Punk durch solche Bands, aber auch durch Progressive-Rock und sogar Blues und Jazz statt.

Deine eher konventionelleren Vorlieben hast du lange Zeit bei Nick Caves Bad Seeds ausleben können – obgleich die natürlich keinen Hardrock machen.
Blixa Bargeld: Nick ist zwei Jahre älter als ich und es gibt sehr viele Gemeinsamkeiten in unserer frühen musikalischen Prägungsphase. Auch mit ihm kann man sich stundenlang und durchaus kompetent über sämtliche Versionen und Variationen von (dem T. Rex-Song, Anm. d. Autors) “Children Of The Revolution” unterhalten.

Vermisst du die Arbeit mit den Bad Seeds vielleicht auch manchmal, seitdem du vor einigen Jahren dort ausgestiegen bist?
Blixa Bargeld: Eigentlich nicht. Ich war beinahe 20 Jahre dabei, eine unfassbar lange Zeit. Am Ende wurde es Zeit für etwas Neues. Das war auch für die Bad Seeds gut und wichtig, etwas frischen Wind reinzubringen.

Die Band ist seitdem beinahe komplett umgekrempelt worden und klingt heute sehr engagiert und vital.
Blixa Bargeld: Ja, sie sind toll. Sie waren vor einiger Zeit alle bei mir zum Barbecue und spielten anschließend zusammen im Garten.

Dann versteht ihr euch also immer noch gut?
Selbstverständlich.

Du lebst seit einiger Zeit hauptsächlich in Peking. Im Westen wird China vor allem wirtschaftlich ja oft als Bedrohung wahrgenommen. Allerdings hat man mitunter den Eindruck, dass die meisten gar nicht so richtig wissen, wovon sie sprechen, wenn es um China geht. Da sind auch viele Klischees im Spiel. Wie ist dein Eindruck als dort Lebender?
Blixa Bargeld: In meinem täglichen Leben nehme ich China natürlich nicht als wirtschaftliche Bedrohung war, da kann ich auch nicht viel zu sagen. Dieser Aspekt spielt für mich keine Rolle. Aber ich kann nur jedem empfehlen, einmal herzukommen und uns zu besuchen. Es lohnt sich!

Text: Torsten Groß

Recent Posts

There is a crack in everything, that’s how the light gets in

“There is a crack in everything, that's how the light gets in”, sang einst der…

2 Jahren ago

Zwischen Pop und Experiment

Seit September veröffentlichen Yule Post und Tom Gatza gemeinsame Singles. Mit BYE erscheint nun die…

2 Jahren ago

Never Mind Modus Mio, Here’s the »NEW SILK«

Spätherbst 2022. Deutschrap TikTok-tänzelt zur zweihundertsten lieblosen Drill-Attrappe. Es wird höchste Zeit für neuen Druck…

2 Jahren ago

No time for losers with toxic desires

Sofia Portanet veröffentlicht am 2. November 2022 ihre neue Single Unstoppable, die dritte Single aus…

2 Jahren ago

Eine Geschichte von der Spannung zwischen Freundschaft und der Sehnsucht nach Intimität, untermauert von euphorischem Techno

Mit ihrer neuen Single “Mess Me Up” erzählt die junge Berlinerin benzii eine Geschichte von…

2 Jahren ago

MS DOCKVILLE 2022 – FESTIVAL FÜR MUSIK & KUNST

Ein Festival ist mehr als nur viele Konzerte – ein Festival ist eine Einladung, sich…

2 Jahren ago