"We are everyday robots on our phones,
 In the process of getting home,
 Looking like standing stones,
 Out there on our own."

 

Blur Frontmann Damon Albarn ist zweifellos eine der umtriebigsten Gestalten der britischen Musikszene. Zusammen mit Jamie Hewlett schuf er die ikonischen Gorillaz, komponierte eine chinesische Oper und produzierte das Comeback Album des alternden Soulsängers Bobby Womack. 

Was es in all den Jahren seit dem Ende von Blur jedoch nicht gab, war ein Damon Albarn Soloalbum. Mit „Everyday Robots“ schafft er nun Abhilfe für all die Albarn-durstigen Anhänger. Und da eine Meinung zu so viel Thema einfach nicht ausreicht, haben wir zwei  befragt. Für euch folgt Er so – Sie so #1

 

Sie so:

Modern Life Is Rubbish“, so hieß das zweite Studioalbum von Blur vor 21 Jahren, „We’re everyday robots in control“ heißt es nun 2014 im Song „Everyday Robots“ des gleichnamigen ersten Soloalbums von Damon Albarn. Das Moderne ™ ist also immer noch blöd, beziehungsweise ist es offensichtlich noch schlimmer geworden – könnte man zumindest meinen, wenn man die nicht zu überhörende Melancholie wahrnimmt, welche sich durch die 12 Songs zieht.

Irgendwo las ich etwas von „Albarn zieht Bilanz“, irgendwo anders etwas von „er blickt zurück“, ich glaube irgendjemand hat sogar den Begriff „Spätwerk“ verwendet. „Moment mal!“, dachte ich nur. Wir sprechen hier von einem 46-jährigen Genie, das mit Blur, Gorillaz, unzähligen Nebenprojekten und zuletzt einem Ausflug in die Welt der Opern gleich mehrere Fanbases hat, aus der Wiege des Britpop stammt und damit ein lebenslanges Coolheits-Abo genießt. Also, mal langsam. Es ist schon mal ein gutes Gefühl, dass die Helden der britischen Musikszene der neunziger Jahre uns weiterhin auf Trab halten. Erst letztens entflammten erneut die Gerüchte über eine Oasis-Reunion, Blur segneten uns letztes Jahr bereits mit ein paar Live-Auftritten. Und jetzt das!

Nach mittlerweile fast 25jähriger Karriere haut Damon Albarn sein erstes Soloalbum raus, während man sehnsüchtig auf ein neues Blur-Album wartet und merkt: Es ist einerseits total egal, denn es könnte genau so gut ein neues Blur-Album sein, andererseits ist es gut, dass es genau das nicht ist. Denn dadurch spürt man umso deutlicher wie persönlich und tiefsinnig dieses Werk ist. Es ist kein Album voller Hits, sondern wirkt durch sein stimmungsvolles Gesamtkonzept. Albarns Stimme wie immer unverwechselbar und eindrucksvoll, die Songs minimalistisch, aber sehr liebevoll arrangiert. 

Und tatsächlich scheint er mit diesem Album zurückzuschauen. Es geht um seine Kindheit, um Erinnerungen, um Melancholie und um eine Zeit vor der Technologisierung jedes Lebensbereiches. Er wuchs im Londoner Osten, in Leytonstone auf, wohin er zur Inspiration für sein Album zurückkehrte. Der Gospelchor der Pfingstkirche seines Geburtsortes hat er gleich für seinen Song „Mr. Tembo“ eingespannt. In „Lonely Press Play“ wurde  das Geräusch eines Musikkassettenfachs eingebaut und versetzt einen in Zeiten zurück, in denen man noch liebevoll Tapes aufgenommen hat und jeder Song gesammelt wurde wie eine seltene Münze. Jeder Moment auf dem Album ist ein Mosaiksteinchen aus Erinnerungen. Es sind Erinnerungen "eines neurotischen Mannes mittleren Alters" wie Albarn es selbst sagt. Für die Gegenwart zieht er eher eine ernüchternde Bilanz: „We are everyday robots at our phones, looking like standing stones“. Da kann man schon mal melancholisch werden und sich an Tage erinnern, an denen alles noch aufregend war, weil man nach Abenteuern suchen musste. In dieser Melancholie kann man sich verlieren. Oder man tut es Damon gleich und begibt sich auf die Spuren von früher und an Orte voller Erinnerungen. Am besten mit „Everyday Robots“ auf den Ohren.

Und dann kann man auch weitermachen. So wie Albarn, der definitiv nicht vorhat, sich zur Ruhe zu setzen, sondern noch eine ganze Menge Pläne in der Schublade hat. So liegen beispielsweise noch eine ganze Menge halbfertige Songs für ein Blur-Comeback rum und ein zweites Soloalbum ist auch schon in Planung. Es soll ganz anders werden. Man kann also auch mal zurückblicken ohne gleich irgendwelche metaphorischen Kapitel zu schließen. Manchmal entsteht daraus einfach ein sehr gutes Album. 

Paula Irmscher

Er so:

Der gleichnamige erste Song des Albums gibt die Richtung vor. Langsame,von elektronischen Einflüssen nur so strotzende Beats treffen auf Damon Albarns Gesang und sein Gespür für großartige Pop Melodien. "Mr Tembo", das vierte Stück des Albums beweist, dass Albarn trotz all der elektronischen Klänge auch weiterhin klassisches Songwriting beherrscht. Ein Song wie ein sonniger Sommertag. Paul McCartney und die Beatles lassen grüßen. Experimentierfreude beweist er in "Lonely Press Play", in dem das Geräusch eines sich schließenden Musikkassettenfachs gesampelt wird. 

Textlich dreht es sich wie so oft bei Albarn um die eigenen Befindlichkeiten.Trotzdem schafft er es, seine eigenen Probleme auf eine so universelle Art und Weise zu verarbeiten, dass der Hörer Empathie entwickelt. "You and Me" – mit knapp sieben Minuten der längste Song des Albums – ist eines der lyrischen Highlights des Albums. Albarn verarbeitet hier seine Drogenprobleme. Sachlich und nie belehrend schildert er die negativen Folgen, die eine Sucht mit sich bringt.

"Somedays I look at the Morning trying to work out how I go here
 Cause the distance between us is the glamours cost
 Late night on the shop floor what language was i speaking
 Not sure I remember the thrill and fall Always."

Damon Albarn hat genau das Album gemacht was man von ihm hören wollte.Wie kaum einem Anderen gelingt es ihm, experimentellere Einflüsse mit seinem untrüglichen Gespür für wundervolle Popmelodien zu verbinden. Das Einzige, was man Albarn ankreiden könnte, ist die sehr ruhige, melancholische Stimmung, die sich durch das ganze Album zieht. Manchmal wünscht man sich vielleicht ein zwei energetisch,tanzbare Songs im Stile von "Boys and Girls" oder "Song 2" – aber das ist Meckern auf sehr hohem Niveau. "Everyday Robots" ist ein Album, das man von vorne bis hinten durchhören kann. Es lädt zum Träumen ein, ohne auch nur einen Augenblick beliebig zu klingen. Vor allem weckt es eine enorme Vorfreude darauf, mit was uns Damon Albarn als Nächstes begeistert!

Thoralf Kuhnt