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Erlend Øye ist ein Vertreter des „Moment mal, diese Stimme kenne ich doch“-Genres. Der gebürtige Norweger mit den gigantischen Brillengläsern hat schließlich schon unterschiedlichstes Liedgut mit seiner entspannt-lethargisch und trotzdem sonnig klingende Stimme bereichert. Von Kollaborationen mit Röyksopp oder Dntel über die Bandprojekte The Whitest Boy Alive und Kings of Convenience bis zu seinen Soloalben hat Øye in den letzten Jahren eine ordentliche musikalische Bandbreite bedient.
In diesem Jahr hat Øye zwei Dingen wohl besonders viel Platz in seinem hypothetischer Weise existierenden Tagebuch gewidmet: Einmal haben sich mal eben The Whitest Boy Alive aufgelöst. Das war, gelinde gesagt, traurig. Songs wie Burning haben sich in unsere Tanzmuskulatur eingebrannt; nach dem minimalistischen Schlagzeug-Intro weiß eigentlich jeder, was zu tun ist. Dann war da aber auch noch etwas positives: Die Veröffentlichung des zweiten Soloalbums, Legao.
Doch wie klingt das? Es gibt da den elektronischeren Pol innerhalb der Musik Øyes, der sich beispielsweise im ersten Soloalbum Unrest von 2003 bemerkbar macht. Kings of Convenience klangen schon nach urbanem Kaffeegenuss, bevor es überhaupt in ausreichender Anzahl Locations dafür gab, The Whitest Boy Alive wie schon gesagt tanzbar, aber vor allem gegen Ende auch sehr analog. Was kommt also als nächstes?
Die Antwort lautet – Achtung – Reggae. Ja, Reggae. Wie das passt? Im Anfang steht das Tanzen: „Ich tanze einfach gerne. Zu Musik“, stellt Øye erstmal fest. „Egal, ob es zu Techno, Funk oder Hip-Hop passiert – alles ist super, wenn sich die Leute dazu bewegen“. Okay, bis hierhin können wir folgen. Aber seit wann ist Reggae erste Wahl, wenn es um’s Tanzen geht? Erlend muss erstmal ausholen. Er findet, dass „gute Songs“ eigentlich immer traurig sind, wahrscheinlich weil sich einfach weniger Menschen für fröhliche Musik begeistern können. Dann ist es aber gut, diesen Songs „gute Energie“ mitzugeben. Genau das ist bei Legao passiert: „Auf diesem Album hatte ich viele Lieder geschrieben, die eigentlich sehr langsam waren. Ich hatte nun also die Wahl: Entweder mache ich ein reines Balladen-Album, oder ich arbeite mit einer Reggae-Gruppe zusammen“. Genauer bot sich die isländische Reggae-Formation Hjalmar an, dem ruhigen Songmaterial die gewisse Dosis Leben einzuhauchen: „Die wussten einfach, wie das gemacht werden muss, ohne dass es klischeehaft wird. Ohne diesen White-Guy-Reggae, also Ar, Ar, Ar, Ar, Ar… (Øye versucht mit eleganten Bewegungen, den Klang von „White-Guy-Reggae zu imitieren, Anm. d. Red.)“
Der Reggae stand bei der Produktion von Legao also nicht von Beginn an im Zentrum, sondern war fast eine Art Notbehelf. Solche Entscheidungen sind sicher erst dann möglich, wenn man sich als Musiker in mehreren Genres auskennt. Und wer könnte das besser als Erlend Øye? Neben dem Wechsel der Genres fällt aber auch der zwischen Solo- und Band-Projekten auf. Bei beidem scheint sich der Norweger gleichermaßen Wohl zu fühlen:
„In einem Jahr willst du der Diktator und der Boss sein, im nächsten ist das dann langweilig geworden. Dann möchtest du wieder mit Leuten zusammenarbeiten und die Entscheidungen gemeinsam fällen, quasi demokratisch. Nach einiger Zeit wird auch das wieder ein wenig frustrierend und du möchtest wieder alleine arbeiten. Das geht einfach immer hin und her. Es gibt kein eines Ich; es gibt nicht die eine Sache, die ich unbedingt machen möchte. Es gibt nur das, was ich gerade jetzt machen möchte.” Ein Leben im Moment also. Langjährig aufgebaute Bandprojekte scheinen Øye irgendwann einfach zu langweilen, warum also zu viel Energie in sie stecken? Und wer hat überhaupt festgelegt, dass eine mehrköpfige Band der optimale Weg ist, musikalische Kreativität zu entfesseln?
Doch wozu das Ganze? Erlend sagt – zugegeben etwas pathetisch – er möchte mit seiner Musik „einen Funken in der Vorstellungskraft der Leute zünden“. Auf Legao gelingt das durchaus: Die Musik lädt dazu ein, zurückgelehnt im Sessel zu versinken – und wieder einmal ist es die Stimme, die alles perfekt macht. Der bereits sehr umfangreiche Klangkosmos des Norwegers wurde durch Legao um einen äußerst interessanten Raumsektor erweitert. Und wenn Erlend auftritt, spielt er auch Songs von The Whitest Boy Alive. Quasi The Best of Both Worlds. Und beide gehen total in Ordnung.
(Titelfoto: hyperismo.com)
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