Eine blonde Frau verschwindet im schwarzen Wasser, während ein Elektro-Beat pocht. Die Ränder der weißen Badewanne sind bereits gezeichnet von der Schwärze. Kurz darauf sieht man die Frau mit verschmierter Wimperntusche, die nackten Brüste umklammert, umzingelt vom einsetzten des zerbrechlichen Gesangs. Das Video von „Defense Mechanism“ spricht die Ästhetik der Generation Z – und bescherte der jungen Künstlerin Benzii eine Sperrung bei Facebook.
Das Facebook zwar kein Problem mit Hass-Kommentaren, aber ein sehr großes Problem mit weiblichen Körpern hat, ist schon lange bekannt. Doch was heißt das für die Kunst von Frauen?
Wenn die Kunstfreiheit keine Freiräume findet
Für Benzii sind Videos ein grundlegender Teil ihrer künstlerischen Identität. Sie war schon immer von Musikvideos fasziniert, findet, dass das Visuelle ihr erlaubt ihre Interpretation ihres Songs den Hörer*innen nahezubringen auf einer Ebene auf der Musik allein zu viel Freiräume lässt. In den Videos ist ihr Körper das führende Instrument und das Arbeiten mit ihm und nicht gegen ihn, wie es ihr Song beschreibt, addiert tatsächlich eine vollkommen neue Dimension in ihr Werk.
Doch genau diesen Körper will Instagram und Facebook nicht sehen, denn für die Plattform sind weibliche Körper prinzipiell potentielle Schauplätze sexueller Handlungen und nicht einfach nur die naturgegebene Form eines Menschen. Als zweiteres wird der Körper nur gesehen, wenn die Darstellung etwas mit der traditionellen Rolle einer Frau zu tun hat aka der Mutterschaft. In dieser Rolle darf frau nicht nur stillend ihre Brust in die Kamera halten, nein sie kann auch ein Foto einer Geburt ohne Probleme und nur manchmal mit einem „sensible Inhalte“ Banner davor posten (wir reden hier über ein front seat Geburtsfoto…. Also kurz gesagt man sieht ALLES).
Big brother is watching you
Alles, was nicht in die Mutterrolle oder mit Gesundheitsanliegen zu tun hat, wird gewöhnlich vom Algorithmus gelöscht, wenn man versucht, es noch mal hochzuladen, wird dem*r Nutzer*in eine Nachricht angezeigt, dass der Account gelöscht werden kann, wenn erneut gegen die Richtlinien bzgl. pornografischer Inhalte verstoßen wird. Benziis Beiträge wurden nicht gelöscht. Ihr Facebook-Account sah immer noch gleich aus, das Video war für sie zusehen, – doch plötzlich konnte sie keine Anzeigen mehr schalten. Sie weiß bis heute nicht, ob ihr Beitrag gemeldet wurde oder der Algorithmus sie ausgewählt hat, doch diese Art von „Shadow Bans“, das heißt das Blockieren von Funktionen für eine*n Nutzer*in ohne das diese*r es direkt mitgeteilt bekommt, nutzen die Netzwerke immer häufiger. Für die Netzwerke lohnt sich ein „shadow ban“: Sie verlieren keine Nutzer*innen und verhindern zeitgleich die Verbreitung von ihrer Meinung nach problematischen Inhalten.
Der Fluch der Unsichtbarkeit
Diese Art von Unsichtbarkeit verstärkt die Unsichtbarkeit, die Frauen in der Kunstwelt sowieso schon erleiden. 2017 zählte zum Beispiel die Berliner Künstlerin Ines Doleschal nach, wie viele Frauen in der Alten Nationalgalerie in Berlin hingen. Das bittere Ergebnis: von 2.000 Werken waren 20 von Frauen gemalt. Seitdem hat die Nationalgalerie zwar eine extra Frauen Ausstellung gemacht, das Tate-Britain-Museum in London hängte unter großer öffentlicher Aufregung alle Männer in der Abteilung für britische Kunst für ein Jahr (bzw. bis Corona das Museum schloss) ab – dennoch weibliche Künstlerinnen haben es oft immer noch schwerer und wenn sie etwas verkaufen, dann ist es meist ca. 10 % weniger Wert, als wenn ein Mann ein Gemälde verkauft. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist es gerade für weibliche Künstlerinnen so wichtig ein eigenes Publikum für ihre Kunst aufzubauen und was ist prädestinierter für dieses Vorhaben als ein Foto basiertes Netzwerk wie Instagram vom Facebook Konzern?
Doch eben diese Plattform ist fragil für die Künstlerinnen. Noch fragiler wird sie nur, wenn die Künstlerin zudem nicht einem weißen, dünnen Schönheitsideal entspricht, denn dann werden ihre Bilder vom Algorithmus meist noch weiter in der Feedanzeige nach hinten gedrückt.
Die selbstgewählte Abhängigkeit der Musikindustrie
Benzii hat ihren Account inzwischen im vollen Umfang wieder zurück, dennoch hat sie die Erfahrung beeinflusst:
“Na klar bin ich jetzt gezwungen darauf zu achten, dass man nichts sieht. Aber ich finde es schon krass, dass das sein muss. Es ist nun mal eine Einschränkung in meiner künstlerischen Freiheit und ich finde es immer noch sehr shocking, dass selbst nackte Haut, auch ohne Nippelblitzer, von Facebook als Pornografie bezeichnet wird.”
Gibt es einen Ausweg? Wahrscheinlich nicht. Die Industrie hat sich von den sozialen Medien abhängig gemacht – durch Corona ist es praktisch unmöglich offline eine Fanbase aufzubauen. Also muss man sich beugen. Ob es den Idealen widerspricht oder nicht ist egal. So scheiße das auch ist.
Ihr könnt Benzii hier auf Instagram folgen und hier geht es zu ihrem Spotify Profil.
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