(Foto: Universal Music)
Wir trafen die Herrschaften von Filter backstage vor ihrem Auftritt mit Blackmail im Berliner Lido um mit ihnen über ihr jüngstes Werk „The Sun Comes Out Tonight“ zu sprechen und kamen sehr schnell auf viel allgemeinere Themen zu sprechen. Die Industrialrocker erläuterten uns ihre Auffassung vom verblassten American Dream und erzählten was ihnen Geld noch bedeute. Als ich die Pressefotos von den Beiden sah schwebte mir ein Gespräch mit zwei abgehobenen, typisch amerikanischen Rockstarposern vor und mit Amis über Politik zu reden ist ja immer so eine Sache. Umso überraschender waren die Antworten des ehemaligen Nine Inch Nails-Mitglieds Richard Patrick und seines Kollegen Jonny Radtke.
Wie geht’s Euch, wie läuft die Tour bis jetzt?
Sehr gut, wir sind letzte Woche erst nach Europa geflogen und haben in der Schweiz losgelegt. Dann waren wir in Belgien und den letzten Abend haben wir in Hamburg gespielt. Wir sind wirklich aufgeregt und freuen uns wieder hier sein zu dürfen.
Habt ihr schon die Zeit gehabt die Stadt zu erkunden?
Richard: Ich will das Bauhaus Museum besuchen. Ich wollte da schon immer rein. Die Typen haben so viel Architektur neu gedacht oder erfunden. Ich glaube bei diesen quadratischen Gebäuden begann die Moderne.
Jonny: Ich bin schon über die Brücke gegangen (Anm. d. Red.: Oberbaumbrücke) und habe die Mauer wieder gesehen. Ich liebe diese Stadt, sie ist echt großartig.
Aber lasst uns über euer neues Album reden. Seid ihr mit den Reaktionen zufrieden? Es ist ja schon eine Weile released.
Doch, es lief wirklich gut für uns und wir sind sehr stolz. Es kam vor zwei Monaten heraus und wir haben seitdem fast durchgängig die Staaten betourt. Es fühlt sich auch echt gut an, wenn du neue Songs spielst und die Fans diese schon mitsingen können.
Wie ist der weitere Plan was das Touren angeht?
Wir werden den Monat über in Europa bleiben, touren und dann geht’s wieder ab in die Staaten. Dort steht eine Tour mit den Stone Temple Pilots an, bis ins nächste Jahr hinein werden wir also das Album präsentieren.
Ihr strebt ja auch eine per Crowdfunding finanzierte World Tour an…
Genau, der Plan ist es wiederzukommen. Wir genießen das Tourleben.
Ja, „we gonna tour the fucking shit out of this shit“. Zehn Tage oder so reichen uns einfach nicht, das haben wir die letzten drei Jahre gemacht und irgendwie wird es lächerlich. Ich meine, dass wir wirklich für drei Monate oder so was hier drüben sein wollen. Dieses Album soll wirklich ein zweiter Anfang für uns sein.
Also habt ihr das Gefühl mit der Band gerade auf einem neuen Level zu stehen?
Absolut! Wir haben als Booking Agent Steve Strange für uns gewinnen können. Der Typ ist der Wahnsinn, er hat uns sogar zu Reading and Leeds gebracht! Und das ist wirklich das, was wir gerade brauchen: touren, touren und touren! Das Publikum ist in Europa auch ganz anders.
Das wäre meine nächste Frage gewesen. Welche Unterschiede bemerkt ihr denn zwischen Europa und den Staaten?
Die Leute hier fangen zum Beispiel einfach viel früher an zu klatschen. Die Publikumsbeteiligung ist größer, es ist aufregender für uns. Ich will nicht unsere amerikanischen Fans diskreditieren, die brauchen nur ein bisschen länger, aber es scheint als wären die Leute hier etwas mehr bei der Sache. Gibt es in Amerika in der Location einen Balkon stehen die Leute da oben beispielsweise nur rum und sehen aus als hätten sie einen Kater. Hier stehen sie sofort auf und zeigen die gleiche ungehemmte Energie wie die Fans unten.
Vielleicht herrscht in Amerika eher die Einstellung, dass man sich halt einfach mal eine Band anguckt ohne sie wirklich gut zu kennen und hier die Fans -einfach dadurch, dass ihr eine amerikanische Band seid und nicht so oft hier sein könnt- schon länger auf das Konzert gefreut haben. Damit hätte es hier vielleicht eher diesen Event-Charakter.
Ja, genau! Es war jedenfalls so… Ich meine, guck dir mal diese ganzen Folkrock Sachen an. Ich bin mal zu Jack White gegangen und alle Leute standen einfach nur so 'rum! Vielleicht will er die Zuschauer ja gar nicht einbinden, aber bei uns geht es halt nur darum. Wie bei unserem neuen Song „What Do You Say“ , da geht es nur um dieses Call&Response Ding, ich muss nur „Hey“ schreien und die Leute antworten sofort. Viele Indie Bands wollen das nicht. Sie wollen einfach nur ihre Lieder spielen.
Ich dachte, das wäre eine amerikanische Sache gewesen, diese Zuschauereinbindung, das hätte ich nicht erwartet! Was ich auch nicht erwartet hatte war die Vielfalt der Sounds, die auf eurem Album zu hören sind. Bei einem Song erdrücken dich schwere Gitarren und im nächsten geht es total ruhig zu.
Also wir schreiben die Songs grundlegend erst im Studio. Und dann sind das einfach die Gefühle und Situationen, die wir in genau jenen Momenten durchleben. Bei „Surprise“ zum Beispiel war es dann von vorn herein klar, in welche Richtung es gehen sollte. Mein größtes Problem bleibt, dass ich bestimmte Riffs nicht sonderlich gut spielen kann. Ich hab zwar auch schon früher mit „Hey Man, Nice Shot“ wirklich was gerissen an der Gitarre, wie ich finde, aber erst seitdem Jonny in der Band ist können wir endlich die Parts umsetzen, die ich mir vorgestellt habe. „It’s My Time“ haben wir direkt für einen Regisseur geschrieben, der etwas für eine Szene haben wollte, in der eine Person stirbt und mit sich abschließt. Wir wollen uns wirklich nicht auf ein spezifisches Genre limitieren, obwohl auch gerade im Heavy Metal viele konservative Meinungen kursieren. Schon für „Nuclear Blast“ hatte ich mir vorgenommen in andere Genres auszuschweifen und ärgerte mich darüber, dass Metal so strukturiert und diszipliniert ist. Die Leute haben unter die Videos Sachen wie „Das ist kein Metal mehr!“ geschrieben. Du musst sogar einen bestimmten Look haben. Come On! Wir spielen Modern Rock und da gibt es so vieles, was man machen könnte!
Ja, ich denke auch, dass man heutzutage als Musiker größere Freiheiten als je zuvor genießen kann und es fast schon zum guten Ton gehört, diese Strukturen aufzubrechen.
Ja, es ist alles etwas erwachsener. Ich mag, dass die Leute wieder Regeln brechen wollen. Es gab immer schon vorformulierte Regeln, aber wir Künstler wollen nur darüber schreiben was wir kennen und was wir lieben. Wenn wir die nächsten zehn Jahre damit verbringen können ein Album und eine Tour pro Jahr machen zu können, dann bin ich der glücklichste Mensch auf Erden, denn das ist wirklich die schönste Sache, die man machen kann. Da ist so viel Kreativität in uns, wir haben gerade an der Oberfläche gekratzt.
Als ich bei Nine Inch Nails war hatten es Trent und ich am Ende schwierig Gitarrenparts zu finden. Dann schrieb ich den Song „Hey Man, Nice Shot“ und dachte mir „Du musst gehen! Du musst NIN verlassen!“ weil ich einfach mein eigenes Ding machen wollte. Und ich habe dann natürlich das mitgenommen, was Trent und ich zu diesem Zeitpunkt hörten, Ministry und Skinny Puppy zum Beispiel. Irgendwo habe ich auch einen Teil von Trent mitgenommen, unter anderem seine Einstellungen. Trent war ein sehr praktisch veranlagter Typ. Eines Tages hatten wir diese unglaublich kleinen GK Amps gekauft, von denen ich nicht wusste, was wir mit diesen Teilen machen sollten. Ich nannte sie Toaster, weil sie so groß waren wie ein Toaster und deine Ohren toasteten, so laut waren die. Aber Trent meinte nur: „Schau doch mal über deinen Tellerrand, man! Die Dinger sind klein, passen in den Wagen, haben solide Qualität und werden nicht kaputt gehen. Außerdem klingen sie gut!“
So haben wir damals und auch heute noch Drum Machines benutzt, obwohl es zu diesen Zeiten, in denen der Grunge wieder natürlichen Sound forderte, total unangesagt war. Es war halt das Einzige was wir kannten und konnten. „Fuck it!“ haben wir gedacht und haben die Drums einfach selber programmiert.
Also seht ihr euch nicht mehr wirklich als Industrial Band?
Wir haben diese Industrial Sache definitiv in uns, ich mein, ich war in NIN für vier Jahre! Auch davor war ich totaler Industrialfan. Trent wollte anfangs gar kein Industrial machen, er hatte Angst, dass es nicht beachtet werden würde, ich überredete ihn fast schon, wenn man so will.
Weißt du, für mich steht diese Band The Clash sehr nahe. Sie konnten Reaggae spielen genau wie straighten Punk, sogar Hip Hop Vibes konnte man auf „Radio Clash“ hören. Das ist es, worum es bei Modern Rock gehen sollte. Es ist eine Abwendung für uns, aber es bleibt trotzdem ein Teil von uns. Wir hören alles mögliche, U2, Nirvana, Soundgarden, natürlich auch Nine Inch Nails, sogar die Smiths.
Was ich außerdem sehr interessant finde ist euer Video zu „What Do You Say“. Da ist eine Gruppe von Jugendlichen, die reiche, alte Leute auf einem Golfplatz verprügeln…
Aber die Reichen fingen an! Die Kids haben nur ein bisschen Scheiß gemacht und rum geblödelt. Aber es stimmt schon, sie wollten einen Streit anzetteln…
…ja, aber das Bemerkenswerte ist meiner Ansicht nach, dass sie die Luxusgüter, die sie den Reichen stehlen nicht mitnehmen, sondern anzünden. Der amerikanische Traum ist für mich unmittelbar mit ‚Reich werden‘ assoziiert, die Jugendlichen in eurem Video scheinen jedoch nicht zu sehr an diesen Idealen interessiert zu sein, im Gegenteil. Sie vernichten diese Reichtümer sogar? Ist das für euch dichter an dem Mythos des American Dream?
Filter — What Do You Say – MyVideo
Ja, genau darum sollte es gehen! Es ist so wie das, was Michelle Obama auf dem Parteitag der Demokraten 2012 gesagt hat. Erfolg sollte nicht darauf basieren wie viel Geld man hat! So erfolgreich Mitt Romney auch ist, die Wall Street steht für mich für das Gesetz des Dschungels! Der Grund dafür, warum wir als Spezies überhaupt so erfolgreich sind, ist halt, dass irgendwann mal irgendwer in einen Fluss gefallen ist und ein anderer gedacht hat „Ich hol ihn raus!“ Und dann wurde sich revanchiert und so weiter… Ein Cro-Magnon hätte nur gedacht „Look, that fucking asshole fell into the river, more meat for me!“ Der Grund, warum wir als Spezies erfolgreich sind, ist, dass wir emotional sind und nicht weil wir rational handeln! Die Intelligenz kam danach! Und an der Wall Street herrscht wieder das Gesetz des Dschungels! Der Smarteste gewinnt. Guck mal wir sind in die Schweiz geflogen im Rahmen der Tour und da sitzen 35 amerikanische Großkonzerne. Komplett amerikanisch, Amerikaner managen Amerikaner. Nur offiziell halt in der Schweiz, um Steuern zu sparen. Und das sind die selben, die die Kongressabgeordneten überreden in den Irak einzumarschieren um das scheiß Öl zu kriegen!
Was die Steuerflucht angeht wurde hier in Deutschland auch gerade heftig diskutiert.
Kapitalismus ist weder rational noch logisch! Er ist animalisch und barbarisch! Ich hab ja selbst Erfahrung damit wie es ist, wenn man sich so benimmt. Ich hatte ein dickes Auto und das ganze teure Zeug! Aber kauf dir mal nen BMW 330xi und bau 'nen Unfall, dann ist das ganze Ding sofort kaputt, weil es ein Vierradantrieb hat und kostet direkt 30 000 $. So viel kostet fast das ganze Auto! Ist doch total unpraktisch! Man spart Geld und gibt es dann aus. Bei einem günstigeren Auto würde man sich auch nicht schlecht fühlen, wenn man es zu Schrott fährt! Natürlich ist es gut, abgesichert zu sein, aber jetzt wo ich beide Seiten kenne muss ich sagen, dass der Unterschied kaum erwähnenswert ist.
Es macht dich nicht glücklicher?
Es ist einfach nur Geld, es kommt und geht. Das Beste an meinem Job ist immer noch der Job an sich, nämlich in einer Band zu sein. Und dann war es so „Wow, es wirft ja sogar was ab! Ich kann nicht glauben, dass ich machen kann, was ich will und davon auch noch leben kann!“
(Foto: PFC. Sarah De Boise)
Meinst Du es hat sich ein Wechsel im Denken der Amerikaner eingestellt? Zum Beispiel, dass Zeit in der Wahrnehmung der Leute Geld als Luxusgut teilweise ersetzen könnte. Oder bist nur Du es, der sich über so etwas Gedanken macht?
Amerika ist […] unglaublich kompliziert. Es ist ein riesiges Land mit so vielen verschiedenen Elementen, die die Bevölkerung kontrollieren. Die meisten wollen eigentlich nur ihr Leben genießen! Sie wollen nicht die Erde verpesten und auch nicht ständig Krieg führen. Aber irgendwie machen sie genau das. Sie sind nämlich total unglücklich und äußerst militaristisch. Die Leute hinter Fox News besitzen auch die Energiekonzerne und dann heißt es natürlich: „We are oil-manic… Bla Bla…we know what we're doing… climate change is bullshit…god gave us the earth so we can fucking do what we want!“ und so was. In Wirklichkeit gibt es so viele großartige, einfach Leute, die einfach ihr Leben genießen möchten, daneben viele Aktivisten. Und Rassismus ist besiegt? Fuck, no! Diese Präsidentschaftsperiode hat bewiesen, dass es im Kongress Elemente gibt, die alles dafür tun, dass dieser black guy kein neues Gesetz durch bekommt, davon bin ich absolut überzeugt. Amerika hat noch einen langen Weg zu gehen!
Da gibt es Leute in den Staaten die sagen, dass Amerika das beste Land der Welt sei. Was ich mir denke ist dann nur: „Warst Du schon mal außerhalb der Staaten?“ Wir sind auf jeden Fall das arroganteste Land der Welt.
Ich hatte selten die Gelegenheit Amerikaner in diesem Ton über ihr Land reden zu hören!
Du musst dabei wissen, dass wir sehr liberal sind. Fast schon sozialistisch.
Dann müssen Gespräche mit anderen Amerikanern für Euch ja auch nicht so leicht sein!
Oh my god, total! Man hört so Sachen wie „Are you fucking hitler or something!?“ und ich kann dann nur sagen „Was? Wo kam das denn jetzt her?“ Wir wollen doch nur eine beschissene staatliche Versicherung für Alle! Wir wollen Medizin für Alle und eine richtige Pflege. Das soll das beste Land auf der Welt sein? Warum hat dann keiner von meinen jungen Freunden eine Versicherung? Johnny und ich können uns das leisten, ansonsten muss man in einem großen Unternehmen arbeiten um sich das leisten zu können? Wir sind das beste Land auf der Welt? Manche Leute müssen hier aus Geldmangel sterben!
Marc Augustat
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