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Im Vorfeld der Veröffentlichung des sechsten Foo Fighters-Albums “Echoes, Silence, Patience & Grace” hatten wir Gelegenheit, Dave Grohl einige Fragen zu stellen. Der ehemalige Nirvana-Schlagzeuger über die erneute Zusammenarbeit mit Erfolgsproduzent Gil Norton nach “The Color And The Shape” (1997), über Rick Rubin und die besondere Herangehensweise beim Schreiben der Texte für das neue Werk.
Dave, nachdem ihr zuletzt immer wieder betont habt, wie sehr ihr die absolute Kontrolle, die ihr euch über die Jahre erarbeitet habt, schätzt, wurde nun mit Gil Norton nicht nur ein Außenstehender hinzugezogen, sondern gleichzeitig ein Rückgriff in die eigene Vergangenheit getätigt. Wie kam es dazu?
Grohl: Ein Album aufzunehmen sollte nicht so sein wie ein Zahnarztbesuch. Das kann es sein, muss es aber nicht. Deshalb hat sich bei uns über die Jahre eine simple, lockere Arbeitsweise in gewohnter Umgebung und mit einem überschaubaren Stab enger Vertrauter etabliert, mit der wir uns alle wohl fühlen konnten und die uns absolute Kontrolle über die Ergebnisse garantiert. Wir hätten sicher noch fünf oder zehn Jahre so weitermachen können, merkten allerdings, dass wir uns zunehmend in Routinen verfingen. Deshalb wollten wir dieses Mal wieder mehr Experimente wagen, uns außerhalb der gewohnten Kreise bewegen. Und dafür brauchten wir jemanden, der wirklich von außen kommt. Der uns in neue Bereiche abseits der ausgelatschten Wege führt und auch über die Autorität verfügt, dass wir uns von ihm etwas sagen lassen würden. Dafür war Gil genau der richtige Mann. Davon abgesehen ist er natürlich schlicht und ergreifend ein wahnsinnig erfahrener und toller Produzent mit einem fantastischen Melodiegefühl und Musikverständnis.
Wäre nicht jetzt der richtige Zeitpunkt für euer erstes Rick Rubin-Album gewesen? Du und Rubin – das wäre auf dem Papier die perfekte Kombination.
Grohl: Aber eben nur auf dem Papier. Tatsächlich haben wir darüber schon vor längerer Zeit nachgedacht, es gibt aber ein Problem. Die Frage ist: Würde Rick nach Virginia in meinen Keller oder in unser Studio nach L.A. kommen, um mit uns zu arbeiten? Natürlich nicht. Wir müssten zu ihm gehen, in sein Studio, und unter seinen Bedingungen arbeiten. Damit wäre die Sache gestorben. Rick ist toll, er macht fantastische Platten. Aber er steht für eine ganz besondere Herangehensweise und einen bestimmten Sound. Du hörst eine seiner Platten und denkst sofort: Das ist eine Rubin-Produktion. Nun erfinden wir sicher nicht das Rad neu, aber ich finde schon, dass wir ebenfalls für einen bestimmten Sound, eine eigene Herangehensweise stehen. Und ich möchte nicht, dass die Leute beim Hören unserer Musik zuerst an einen Produzenten denken, sondern sie sollen erkennen, dass das eben eine Foo Fighters-Platte ist, die sie da hören.
The Pretender
Textlich scheinst du dich in den neuen Songs vornehmlich introspektiven Betrachtungen zu widmen. Der überwiegende Teil der Songs verhandelt Betrachtungen des Lebens aus einer intimen, emotionalen Perspektive. Es geht um ständigen Wandel, zweite Chancen und solche Dinge.
Grohl: Ich schrieb die Texte in einer sehr überschaubaren Phase von anderthalb Wochen während der Vorproduktion. So arbeiten wir sonst nie. Normalerweise nehmen wir die Demos rein instrumental auf und die Texte und Gesangsmelodien kommen erst bei den eigentlichen Aufnahmen im Studio dazu. Aber dieses Album sind wir wie gesagt in jeder Hinsicht anders angegangen, weshalb ich auch die Gesänge vorher fertig haben wollte. Ich zog mich also zurück und schrieb meine Texte. Und wenn du sieben Tage die Woche zwölf Stunden am Stück isoliert in einem Raum sitzt, mit nichts als einem weißen Blatt Papier und einem Haufen Musik, kriegst du ein sehr klares Bild davon, wie dein Herz und dein Verstand funktionieren. Deine Gefühle – von Vergnügen über Wut, Frustration, Liebe und Trauer -, werden gebündelt in dieser kurzen Phase freigesetzt und finden sich schließlich in den Songs wieder. Es ist gar nicht so leicht, das zuzulassen, da es sich ja um etwas sehr Intimes handelt. Die Vorstellung, all diese Dinge später mit Millionen von Menschen zu teilen, hat etwas Beängstigendes. Ich würde nicht nackt über die Straße laufen, aber genau das ist es, was ich im übertragenen Sinne Abend für Abend auf den Bühnen dieser Welt tue.
Du sagst, es handele sich vor allem um persönliche Betrachtungen und weniger um klassisches Storytelling. Eine Ausnahme dürfte indes der Song “Road To Ruin” sein. Das du dich auf einer solchen jemals befunden hast, ist zumindest nicht überliefert.
Grohl: Das ist eher metaphorisch gemeint. Es geht um die romantische Idee, vor seinen Problemen die Flucht zu ergreifen. Aber manchmal ist das der falsche Weg. Man kann sich nicht immer vor allem verschließen, das ist nicht gesund. Manchmal ist es besser, sich der Realität zu stellen. Dieses Thema zieht sich wie ein roter Faden durch alle unserer Platten. Zu verschwinden, sich in Luft aufzulösen, hat ja durchaus etwas Reizvolles. Das Problem ist nur, dass man früher oder später immer wieder auf die Probleme, die man umgehen wollte, zurückgeworfen wird. Die Realität lässt sich eben nicht komplett leugnen. Als Musiker, Slacker, Berufsjugendlicher oder wie immer man uns alle in diesem Geschäft bezeichnen will, versucht man ja sein ganzes Leben lang mehr oder weniger die Realität auszublenden. Aber irgendwann holt sie einen eben doch ein und da ist es doch besser, ihr zuvorzukommen und sich ihr zu stellen.
In Nirvana warst du vor allem der Schlagzeuger im Schatten von Cobain und hast dich kreativ nicht ausleben können. Es scheint, als sei Taylor Hawkins heute bei euch in einer ähnlichen Position. Auf seiner MySpace-Seite bezeichnet er sich selbst als “Mitglied der Band Foo Fighters und frustrierten Songwriter…”
Grohl: Bei Nirvana hatte ich nie den Eindruck, dass mein Platz der eines Songwriters sein sollte, denn wir hatten ja bereits einen unvorstellbar guten in der Band. Es gibt doch diesen Witz: Was hat der Schlagzeuger als Letztes gesagt, bevor sie ihn gefeuert haben? – Ich hätte da eine Idee für einen Song. Ich hielt mich also zurück und war zufrieden damit. Meine Aufgabe war, Kurts Songs mit meinem Schlagzeugspiel anzutreiben. Natürlich kann es passieren, dass man an einen Punkt kommt, an dem einem das nicht mehr reicht. Das ist auch absolut verständlich und dann muss man sich eben ein Ventil suchen. So wie Chris das zum Beispiel mit Jackson United macht oder Taylor mit seinen Projekten. Dort können sie sich dann austoben und anschließend wieder frisch zurück zu den Foo Fighters kommen.
Das heißt dann wohl, dass etwaiger Input diesbezüglich von dir explizit nicht erwünscht ist, oder? Wir sprachen eben mit Taylor darüber und er meinte, es falle ihm nicht besonders leicht, dir seine Ideen vorzustellen.
Grohl: Dazu musst du wissen, dass Taylor und ich praktisch wie Brüder sind. Es ist immer schwer, jemand anderem seine Ideen vorzustellen, selbst wenn es jemand aus der eigenen Band ist. Da haben wir ja vorhin schon drüber geredet: man zieht praktisch vor den Anderen die Hosen runter. Songs zu schreiben bietet eine Möglichkeit für Männer, tief liegende Dinge auszudrücken. Ich meine, wenn Jungs zusammensitzen, unterhalten sie sich ja nicht darüber, wie ihnen das Herz gebrochen wurde, sondern über Pussys und Bier. Taylor ist ein fantastischer Songschreiber. Er hat definitiv seinen eigenen Sound. Das macht es aber gleichzeitig sehr schwer für uns andere, uns in seine Sachen reinzufühlen.
Was fehlt jemandem wie Dave Grohl noch auf seiner persönlichen To-do-Liste?
Grohl: Was sich jeder wünscht: Ein glückliches Leben führen mit meiner tollen Familie – hoffentlich bleiben alle gesund. Ein bisschen relaxen, guten Kaffee trinken, das Leben genießen – nichts Besonderes, ich habe ganz einfache Bedürfnisse.
Text: Torsten Groß
Interview: Torsten Hempelt & Torsten Groß
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