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From Disco to „Disco“

Vierzig Jahre „Disco“ und das kulturelle Missverständnis der deutschen Disco-Generation. 

Es hat immerhin vierzig Jahre gedauert bis zum Glitzerjackett. 

Natürlich hat er eine das Spot-Licht zurückblitzende Jacke an, mit Pailletten in Gold und Silber. Immerhin soll auch der ansonsten weniger mit den Kleidungscodes der Musikstile Vertraute mitbekommen, dass es hier um das geht, was man mit Glitzerklamotten eben ausdrückt, wenn man irgendwas mit Fernsehen zu tun hat. Es ist die in Kleidung übersetzte Spiegelkugel, es geht um – klar – „Disco“. In diesem Fall allerdings um „40 Jahre Disco“, der ebenfalls in die Jahre gekommene Herr, der sich da mit dem etwas schiefen Markenzeichen-Grinsen gerade noch so in Pose zu werfen vermag, ist Ilja Richter, den man eigentlich nur kennt, weil er elf Jahre und 133 Mal die „erfolgreichste deutsche Musiksendung aller Zeiten“ moderierte. Man kann dieser Eigenwerbung wahrscheinlich sogar glauben, denn es gab 1971 neben dem Zweiten Deutschen Fernsehen nur nach die ARD, deren „Beat Club“ sich auch aus heutiger Sicht noch ein oder zwei Deut weniger Eltern-kompatibel also mit geringerer Zuschauerbasis darstellt.

Ilja Richter jedenfalls geht jetzt auf Tour, mit einer Show zu seiner Fernsehshow von vor vier bis drei Jahrzehnten, selbstverständlich mit ausgewählt grässlichen Bands, von denen eigentlich auch nur eine erwähnenswert ist, weil sie mit ihrem Namen für all das steht, was an Popmusik hassenswert sein muss: Middle Of The Road. Das passt letztendlich natürlich zum großen Missverständnis, zu dem diese Sendung immer noch maßgeblich beiträgt. Denn nicht nur die aktuelle Tour soll ein „tolles Erlebnis für die ganze Familie“ sein, so war das damals auch schon mit der Sendung gedacht, die ja ein wirres Durcheinander von allem war, was schon damals nur im absoluten Ausnahmefall musikalisch relevant für Teenager war. Mit Disco, der Kultur, hatte das selbstverständlich nichts gemein, bis heute allerdings wirkt dieser Name unselig auf die Deutungshoheit über den nostalgisch verklärten Disco-Begriff nach, der heute nur noch ein Glitzerjackett als selbsterklärendes Symbol braucht.

Der Beweis: Fremdschämen wurde in den Siebzigern erfunden. 

Auch, wenn man mit ein bisschen gutem Willen derzeit tatsächlich die 40 als grobes Jubiläum der Discokultur feiern könnte: Als „Disco“ 1971 erstmals auf Sendung ging, dürfte keiner der deutschen TV-Macher gewusst haben, was da gerade in den New York passierte: nämlich die erstmalige Etablierung von Clubkultur, wie wir sie heute noch kennen. Zur großen Disco-Welle mit all ihren Charthits kam es erst einen Moment später. Bis dahin war „Diskothek“ einfach ein flotterer Begriff für einen Tanzschuppen. Auch dorthin nahm man zwar weniger gern die Eltern mit, genau das ist schließlich seit eh und je ein entscheidender Knackpunkt der Teenager-Befindlichkeit aller Zeiten. Das Treiben in den New Yorker Clubs überstieg allerdings das elterliche Fassungsvermögen des immer noch provinziell biederen Westdeutschlands um ein unerhörtes Maß. Explizit schwul dominiert, sexuell hemmungslos freizügig und in einem bis dato unbekannten Maßstab drogengeschwängert wurde das Wochenende erstmals als Durchtanz-Event definiert. Hier wurde auch der „DJ“ als eigenständiger Interpret von Musik für den Dancefloor-Moment erfunden, der wiederum Musik vom Singleformat loslöste, um einen ständig andauernden Flow zu erzeugen.

Brav, adrett, Schwiegersohn-tauglich – also das genaue Gegenteil von Disco. 

Seither wird Tanzmusik in Beats kategorisiert, spielt die Melodie nur die zweite Geige, arbeitet ein Set auf den Break zu, bei dem der Höhepunkt eines Tracks durch eine willkürliche Pause hinausgezögert wird – um dann um so wirkungsvoller den Jubel zu befeuern. Bis heute hat sich an diesen Grundfesten der Clubkultur nichts Grundsätzliches geändert, es ist einige musikalische Generationen später das weltweit gültige Modell für Wochenend-Ekstase. Im deutschen Fernsehen ließ sich das selbstredend nicht nachvollziehen. Denn es gab ja „Disco“. Auch dort fanden sich Disco-Stars in Reihe – nachdem aus der Subkultur in wenigen Jahren der Megatrend der Musikindustrie geworden war. Nötig dazu war allerdings der Verzicht auf alles Subversive, auf die Drogen, die Schwulen, sogar die Schwarzen. Die verließen Disco in Richtung HipHop, der schwule Underground zog weiter zum House. Die Generation „Disco“ erinnert sich heute vor allem an die BeeGees und John Travolta, an Paillettenjacken und Schlaghosen. Und an diesen spillerigen Typen mit den schon damals unglaublich piefigen Zwischendurch-Witzchen, der übrigens einen ganz normalen Anzug anhatte. Denn das offizielle Disco-Outfit kannte man ja noch nicht.

Augsburg

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