Das war eine schöne Erkenntnis anno 2004. Nach Jahren der Ungewissheit über die eigene Bandzukunft veröffentlichten Naked Lunch mit ‘Songs For The Exhausted’ ihr bis Dato stärkstes Album und machten allen Gerüchten um eine vorzeitige Trennung ein jähes Ende. Obwohl nun, knapp drei Jahre später, mit ‘This Atom Heart Of Ours’ das nächste große Werk vorliegt, lässt Sänger Oliver Welter und Kollege Herwig Zamernik die Vergangenheit nicht in Ruhe.
Aus diesen Jungs soll einer schlau werden! Da lümmeln sie gemütlich auf einem Sofa, schlürfen kaltes Bier und trotzdem wird man das Gefühl nicht los, einiges ist innerhalb der Band auch vier Jahre nach dem Supergau noch nicht so ganz verdaut. Gemeint ist die Zeit, die sie nach ihrem dritten, 1999 veröffentlichten Album ‘Lovejunkies’ durchmachen mussten. Begonnen hatte alles damit, dass das Album kommerziell auf der ganzen Linie floppte. Doch weniger der zuckersüße Pop war daran Schuld, als vielmehr die Tatsache, dass die Band kurz vor Veröffentlichung vom Label im Stich gelassen wurde.
Von nun kümmerte sich keiner mehr um die Band, und dies führte innerhalb der Gruppe zu harten Umstellungen. So musste Oliver Welter aus Geldsorgen seine Wohnung aufgeben und zeitweise bei Freunden bzw. im eigenen Auto Unterschlupf suchen. “Das war für uns schon sehr übel! Ich frage mich heute noch, wie wir uns damals so verarschen lassen konnten. Wir waren am Boden und es hat allen sehr viel Kraft gekostet, sich da wieder aufzurappeln”, erklärt Oliver recht routiniert, jedoch nicht ohne Zusatz. “Aber im Vergleich zu dem, was sonst noch so passiert ist, war die Labelgeschichte ein Scheißdreck. Plötzlich sind Leute von deiner Seite gewichen, bzw. du hast andere so verletzt, dass sie nichts mehr mit dir zu tun haben wollten – und standest so ziemlich für dich allein da! Das klingt verdammt pathetisch, war aber wirklich so.”
Aufgerappelt haben sich Naked Lunch mit einem Album, das 2004 einiges in den Schatten stellte. ‘Songs For The Exhausted’ war der ausgestreckte Mittelfinger ins Gesicht derer, die die Band schon abschrieben hatten. “Es gab für uns damals einfach nicht zu verlieren und nichts zu gewinnen. Außerdem dachten wir sowieso, dass ist jetzt unser letztes Album. Endzeitstimmung, das war es!”, resümiert Herwig die letzten Jahre.
Nun stellt sich natürlich die Frage, wie kann man nach solch einem Erfolg, der einige Kraft kostete, weitermachen?
Oliver: Es ist einfach wichtig, dass du über Dinge schreibst, von denen du auch Ahnung hast. Ich meine, ich kann auch über den Welthunger in Nicaragua schreiben, aber da würde mir einfach das nötige Wissen zu fehlen. Was ich sagen will, ist: Tagtäglich passiert genug, was der Nährboden für dein Songwriting sein kann. (Pause) Und egal, um was es sich dreht – es kostet immer Kraft.
Was war denn der Nährboden für euer neues Album “This Atom Heart Of Ours”?
Oliver: Alles, was die menschliche Darstellung anbelangt. Nur weil ich jetzt Familie mit Kind habe, heißt das ja noch lange nicht, dass ich plötzlich mit Scheuklappen durch die Gegend renne und nichts mehr empfinde. (Überlegt) Auffallend an der neuen Platte ist allerdings, dass sie großzügiger instrumentiert wurde und fast nur positive Inhalte transportiert!
Herwig: Damit kann man sich aber auch schnell zum Deppen machen. Negative Gefühle sind
dahingegen einfach sicherer. Wenn ich zum Beispiel durch die Welt gehe und alles toll finde,
dann halten mich die Leute eben für deppert.
Oliver: Darum sind negative Gefühle textlich für ein Album von Vorteil! Umso schwerer ist es uns gefallen für “This Atom Heart Of Ours” auch einmal positive Songs zu verfassen. Lieder, die sich nicht nur um das eigene Elend drehen, sondern den Eindruck vermitteln, dass wir mit dem, was wir machen, zufrieden sind! ‘Into Your Arms’ zu schreiben war für mich zum Beispiel eine innere Notwendigkeit: Dieser Song befasst sich mit der Liebe und ist durchgehend positiv, ohne – in meinen Augen – peinlich zu klingen.
Der Rest des Albums ist ebenfalls durchgehend “positiv” zu bewerten. ‘This Atom Heart Of Ours’ darf mit Fug und Recht als nächstes Meisterwerk der Band Naked Lunch gelten. Die Songs klingen befreiter als beim Vorgänger, die Hymnen sind voller großer, zerbrechlicher Gefühle und am Ende steht eines fest: Die Österreicher können entspannt in die Zukunft schauen – mit solch einer weltumarmenden Pop-Platte werden sie nie wieder völlig alleine dastehen!
Text: Marcus Willfroth
Naked Lunch auf Tour:
25.1.07 Zürich – Hafenkneipe *** 28.1.07 München – Tams Theater *** 29.1.07 Wien – Radiokulturhaus
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