Tagesaktuell dreht sich in der Filmwelt momentan alles um die Berlinale, die am 7. Februar eröffnet wird, und natürlich um die Oscar-Verleihung, die am 24. Februar in Los Angeles stattfinden wird – oder auch nicht. Auf der Leinwand selbst allerdings findet das Tagesgeschehen so gar keinen Niederschlag, wenn die neuen Filme dieser Woche sich mit Kriegen, Mördern und singenden Deutschen beschäftigt. Anscheinend ist das Kino eben doch ein Ort der Nostalgie, an dem man bevorzugt zurückblickt.
 

Saw IV“ spielt zwar im Hier und Jetzt, aber wehmütig kann einen auch die Horror-Fortsetzung machen. Immerhin ist der durchgeknallte Killer Jigsaw mittlerweile tot und schon allein daran merkt man, wie schnell die Filmreihe gealtert ist. Zwar liegt der erste Teil gerade einmal drei Jahre zurück, aber was waren das noch für Zeiten, als der Begriff „torture porn“ noch nicht existierte und „Saw“ noch spannend war.

Ein noch besseres Beispiel für filmische Nostalgie ist „Krieg des Charlie Wilson“, denn die Politkomödie von Mike Nichols erzählt zwar vom Krisenherd in Zentralasien – aber eben in den Achtzigern. Damals konnten noch ein saufender Weiberheld aus Texas und eine zickige Society-Lady gemeinsam den Verlauf der Weltgeschichte zum Positiven wenden, und man darf davon ausgehen, dass zumindest George W. Bush bei dieser Erinnerung warm ums Herz wird.

Von längst vergangenen Tagen erzählt auch „Talk To Me“, in dem ein Stück black history erzählt wird. Ein zum Radio-DJ gewandelter Ex-Knacki wird da zum Helden der Bürgerrechtsbewegung, als er nach der Ermordung Martin Luther Kings das ausspricht, was alle denken, und doch besonnen bleibt. Starkes Kino wird das wegen Don Cheadle in der Hauptrolle, aber die funky Soulmusik von damals ist das fantastische i-Tüpfelchen.

Auch bei „Märzmelodie“ sind es die Songs, die ein wenig Nostalgie aufkommen lassen. Von Zarah Leander über Gitte Haenning bis hin zu Rio Reiser und Nena ist die gesamte Bandbreite des deutschen Pop zu hören und wird den Hauptdarstellern in den Mund gelegt. Das ist dann zwar kein waschechtes Musical, aber dass überhaupt mal ein Regisseur den Abstecher ins Melodiöse wagt, ist doch sehr erfreulich. Denn Musik im deutschen Kino ist doch immer noch allzu sehr mit dem Gedanken an Peter Alexander und Marika Rökk verbunden!

Eher auf als vor der Leinwand sind die Nostalgiker bei „Der Jane Austen Club“ zu finden. Da treffen sich nämlich fünf Frauen und ein Mann monatelang, um gemeinsam die Romane der britischen Literatur-Ikone zu schmökern und gleichzeitig Parallelen zwischen Fiktion und dem eigenen Leben zu entdecken. Das dürfte für die Protagonisten sicher spannender sein als für den Kinozuschauer, aber weil hier gleich eine ganze Reihe wunderbarer Schauspielerinnen am Start ist, wird sich niemand beschweren.

Ganz anderer Art sind die Helden in „Unsere Erde“, bei denen es sich gerade nicht um Menschen, sondern um Tiere, Pflanzen und die Natur im Allgemeinen handelt. Aus 1000 Stunden Filmmaterial ist diese Dokumentation entstanden, und bei so viel geballter Naturschönheit ist es sicher nicht verkehrt, wenn der ein oder andere daran denkt, was früher aller besser war. Hauptsache er zieht daraus die richtigen Schlüsse und fängt allmählich an, das zu schützen, was überhaupt an Tieren und Pflanzen noch übrig ist.
Nur die alten Fossilien namens Rolling Stones scheinen keinen Schutz nötig zu haben. Ihr Konzertfilm „Shine a Light“, den immerhin Martin Scorsese inszeniert hat, eröffnet die Berlinale und natürlich beehren Mick, Keith und Co. dazu die Hauptstadt. Auch das könnte, bei aller Aktualität, zu einem Moment der Nostalgie werden. Denn immerhin liegen die besten Tage dieser Herrschaften auch schon ein wenig zurück.

Text: Patrick Heidmann