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25 Jahre auf dem Buckel und kein Stück leiser – mit “Blurry Blue Mountain” zeigen Giant Sand, dass der Motor läuft wie geschmiert und erklären im Interview, warum zwischen Band und Publikum seit jeher ein “Verständnisproblem” herrscht.
Ohne Terminplaner sei er aufgeschmissen, meint Giant Sand-Mastermind Howe Gelb zur Begrüßung und kramt wie wild in seinem Koffer herum: “Irgendwo muss das Ding doch sein”, beschwert er sich und wirkt nicht wie ein Musiker, der eigentlich recht entspannt sein dürfte. Immerhin feiert seine Band ihr 25-jähriges Jubiläum und kann auf eine wahrlich beeindruckende Karriere zurückschauen, hat sie doch mehrere Genreklassiker des Alternative-Country geschaffen und auch sonst allerhand Staub hinterlassen. “Mag sein, ich blicke nicht zurück. Die Vergangenheit interessiert mich nicht – nach Vorne schauen, immer weitermachen, das ist meine Devise.” Gut zu wissen, denn so erklären sich auch die vielen Unwegsamkeiten, die Gelb seit dem Debüt der Band – “Valley of Rain” von 1985 – wohl oder übel hinnehmen musste und sich trotzdem nie beirren ließ.
Angefangen bei den Mitgliederwechseln über die vielen Phasen, in denen er niemanden an sich heran ließ und aus Giant Sand sein persönliches Ein-Mann-Projekt machte, bis hin zu diversen Zwangspausen und wilden Trennungsgerüchten, die stets für Schlagzeilen sorgten, ist der US-Amerikaner aus Tucsan/Arizona nun endlich angekommen und freut sich, dass die neue Platte “Blurry Blue Mountain” allerorts wohlwollend empfangen wird. Er sei ziemlich stolz auf sich und seine Jungs, betont Gelb zudem und lässt keinen Zweifel daran, dass die Zeit der unkontrollierten Ego-Trips erst einmal vorbei sei.
Gut getan hat der Combo dieses Umdenken ohne Frage: Bereits der Vorgänger “ProVisions” aus dem Jahre 2008 konnte die alte Magie wieder einfangen und bekommt nun einen würdigen Nachfolger, der vor allem von gediegenen Folkmomenten lebt, weite Soundflächen offenbart und immer dann in härtere Rockgefilde abdriftet, wenn es auch thematisch zur Sache geht. Doch genau da liege auch das größte Problem, meint Howe Gelb ohne eine Miene zu verziehen: “Wenn du kein Muttersprachler bist”, erklärt er freundlich und überlegt kurz bevor er fortfährt, “dann hast du kaum eine Chance zu verstehen, worum es in den Songs geht.” – Warum dem so ist und wie Giant Sand ihr Jubiläum feiern, erzählt Howe Gelb im motor.de-Interview.
motor.de: Klären wir zu Beginn den aktuellen Status Quo in Sachen Giant Sand: Würdest du sagen, dass es sich inzwischen um eine echte Band handelt?
Howe Gelb: Der Eindruck, ich würde alles alleine machen und niemanden an die Songs heranlassen, entstand vor einigen Jahren mehr oder weniger unfreiwillig: Als ich zwischen zwei Alben fast die komplette Besetzung von Giant Sand austauschte und mit neuen Leuten an meiner Seite fortfuhr.
motor.de: Triffst du solche Entscheidungen, weil du nach neuen Einflüssen suchst? Anders lässt es sich nicht erklären, dass die Liste derer, die irgendwann mal mit dir zusammen Musik gemacht haben, länger als die Bill Of Rights ist.
Howe Gelb: (lacht) Das trifft die Sache ganz gut. Mit Musikern ist es wie mit Jahreszeiten, du arbeitest in gewissen Zyklen. Einmal ist dir nach einem sehr ruhigen Album, dann soll es wieder ein lautes, dreckiges sein und danach entscheide ich mich als Chef von Giant Sand für den Personenkreis im Studio. Es geht um das gemeinsame Ziel, ein tolles Werk aufzunehmen und über einen Zeitraum von 25 Jahren ist dies mit ein und denselben Leuten nur schwer möglich.
motor.de: Wobei es zwischen dem neuen Werk “Blurry Blue Mountain” und dessen Vorgänger “ProVisions” (2008) wenig Veränderungen gab – woran liegt das?
Howe Gelb: Man muss sich das so vorstellen: Ich sitze zuhause, schreibe Songs, rufe die Jungs an und dann treffen wir uns zu den Sessions. Probieren uns an den Demos aus und schauen, ob jeder mit den ersten Ergebnissen zufrieden ist. Manchmal funktioniert das, manchmal eben nicht. Es sind keine Streitereien oder Eitelkeiten, die Personalentscheidungen mit sich bringen, sondern immer künstlerische Aspekte.
Giant Sand – “Shiver”
motor.de: Auffallend an den neuen Stücken ist ein unterschwelliger Mellow-Charakter. Als hättet ihr die Songs auf bewusstseinserweiterten Drogen aufgenommen, so gelassen wirkt die Platte am Ende.
Howe Gelb: (freut sich) Ich erzähle dir das Geheimnis: Die Aufnahmen starteten meist gegen frühen Mittag und jeder brauchte eine gewisse Zeit um warm zu werden. An einigen Tagen entwickelten wir einen derartigen Flow, dass niemand abends nach Hause gehen wollte – auch wenn Müdigkeit aufkam. Also stellten wir einen Sessel in den Aufnahmeraum und sobald jemand schläfrig war, machte er ein kurzes Nickerchen und der Rest der Band einfach weiter. Man darf also behaupten, dass “Blurry Blue Mountain” zwischen Einschlafen und Aufwachen entstand und deswegen diesen speziellen Charakter besitzt.
motor.de: Inhaltlich geht es um Rückschau: Du reist an Orte, an denen du früher warst und schaust in die Zukunft bzw. was da wohl kommen wird – richtig?
Howe Gelb: Auch wenn ich mich jetzt unbeliebt mache: Bei Plattenkritiken im Ausland merke ich immer wieder, wie schwer es für einen nicht-englischsprachigen Redakteur ist, meine Texte zu verstehen. Deine Interpretation stimmt zu weiten Teilen, allerdings blicke ich weder zurück noch nach vorne – ich versuche vielmehr die zeitliche Ebene außer Acht zu lassen. Ansonsten passt das aber, ich verarbeite gewisse Einflüsse auf mein Songwriting – wie zum Beispiel den von Thelonious Munk.
motor.de: Aber weswegen verstehen nur Muttersprachler deine Platten?
Howe Gelb: (überlegt) Wenn du die Sprache als Muttersprache im Kindesalter erlernst, merkst du dir viele Worte über deine Gefühle – beispielsweise, wenn deine Eltern mit dir schimpfen, benutzen sie Redewendungen, die sich dann über die Situation hinweg bei dir einprägen. Die Lyrics von Giant Sand funktionieren ähnlich: Es geht um Stimmungen und für die ist jemand, der mit einer ganz anderen Sprache aufwächst, schwerer empfänglich.
motor.de: Sind 25 Jahre Giant Sand für dich ein Grund zu feiern?
Howe Gelb: Vor zweieinhalb Jahrzehnten erschien unser Debüt, aber die Band selbst gab es bereits drei Jahre zuvor und deswegen war “ProVisions” eher ein Jubiläumsalbum und “Blurry Blue Mountain” weniger. Allerdings habe ich auch damals kein Fass aufgemacht, weil Giant Sand keine Firma sind, sondern ein Kollektiv verschiedener Musiker und wie könnten die besser einen Geburtstag angehen, als mit neuer Musik?!
motor.de: Du bist inzwischen 53 Jahre alt und tourst mehr als zu deinen Anfangstagen, woher kommt dieser Eifer?
Howe Gelb: Die Zeiten haben sich geändert. In den Achtzigern warst du drei Monate unterwegs und hast Interviews gegeben – weil die Plattenfirmen mit den Verkauf von Alben noch Geld verdienen konnten. Inzwischen ist der Absatzmarkt überschaubar und man muss selbst mehr von den Kosten übernehmen, die bei den Aufnahmen oder der Produktion eines Albums anfallen. Dafür sind Tourneen besser geeignet als alles andere: Zum einen macht es mir Spaß auf der Bühne zu stehen und andererseits ist das inzwischen meine Haupteinnahmequelle.
motor.de: Kannst du dir vorstellen irgendwann Rentner zu sein und nur noch mit den Enkelkindern durch den Garten zu toben?
Howe Gelb: Leidenschaft hat kein Ablaufdatum. Ich werde vielleicht weniger feiern, meine Shows mit Giant Sand eingrenzen, aber ganz aufhören, gar keine Songs mehr schreiben – das ginge überhaupt nicht. Entschuldigung, aber ihr müsst mich wohl noch eine Weile ertragen.
Interview und Text: Marcus Willfroth
VÖ: 29.10.10
Label: Fire Records/Cargo Records
Tracklist:
1. Fields Of Green
2. Chunk Of Coal
3. The Last One
4. Monk’s Mountain
5. Spell Bound
6. Ride The Rail
7. Lucky Star Love
8. Thine Line Man
9. No Tellin’
10. Brand New Swamp Thing
11. Erosion
12. Time Flies
13. Better Man Than Me
14. Love A Loser
Giant Sand auf Tour:
15.11. Münster – Gleis 22
16.11. Hamburg – Übel & Gefährlich
18.11. Frankfurt – Das Bett
19.11. Dresden – Beatpol
20.11. Schorndorf – Manufaktur
21.11. München – Feierwerk
22.11. Nürnberg – Künstlerhaus K4
23.11. Leipzig – Moritzbastei
24.11. Berlin – Lido
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