Gisbert zu Knyphausen über den Zwiespalt von Euphorie und Melancholie und warum er keine Lust hatte einen zweiten “Sommertag”-Kracher nachzulegen.
Der deutsche Singer/Songwriter Gisbert zu Knyphausen veröffentlichte 2008 sein selbstbetiteltes Debütalbum. Als musikalische und lyrische Einflüsse nennt Knyphausen neben Ton Steine Scherben und Element of Crime auch Sven Regener und Reinhard May. Nun sind die Arbeiten seines zweiten Albums “Hurra! Hurra! So Nicht!” fertiggestellt und werden ab dem 23. April erhältlich sein. Im Interview mit motor.de verrät der Wahlhanseat, ob er sich dem Druck, einen erfolgreichen Zweitling nachzulegen, gebeugt hat, ob Melancholie Teil seines Alltags ist und ob er DIE Ausnahme des Pop ist.
motor.de: In einer schnelllebigen Zeit, in der Hypes ähnlich flink verschwinden wie sie aufgekommen sind, hast du es kurioserweise geschafft im Gespräch zu bleiben.
Gisbert zu Knyphausen: Ich hatte keine genauen Erwartungen als mein Debüt veröffentlicht wurde und was im Anschluss passierte, konnte niemand ahnen. So wirklich geschnallt habe ich die ganze Situation erst, als mein Telefon eines Tages klingelte und mich jemand zum Haldern Pop Festival einlud. Das war verrückt, weil ich dort selbst gern hingefahren bin und plötzlich stand mein eigener Name auf dem Line-up. Nach dem Auftritt dachte ich: “Geil, jetzt hast du alles erreicht”, und trotzdem erstaunt es mich immer noch.
motor.de: Normalerweise werden Bands im Internet populär – du scheinst da etwas aus der Reihe zu fallen, oder?
Gisbert zu Knyphausen: Das hatte vor zwei Jahren viel mit Mund-zu-Mund-Progaganda zu tun, keine Frage. Ich erfuhr sehr oft, dass Leute sich mein Debüt kauften und es ihren Freunden weiter brannten – schon unkonventionell, aber auf demselben Weg habe ich Bands wie Wilco kennengelernt. Verstärkt kam hinzu, dass bald mehr und mehr Medien Interesse an meiner Musik bekundeten. Ein Knall-Effekt Marke ‘Hier bin ich!’ war das aber gewiss nicht. Eigentlich ganz gut so.
motor.de: Wann entstand aus der Bewunderung heraus- auch in Anbetracht der Aufnahmen zu deinem neuen Studioalbum “Hurra! Hurra! So Nicht.” – ein gewisser Druck?
Gisbert zu Knyphausen: Es war ein wenig wie bei einer Prüfungssituation: Du schaffst den ersten Test, bist zufrieden und willst dir dann beweisen, dass das nicht nur aufgrund einer guten Tagesform zustande kam. Gedanken wie: “du musst jetzt noch eine Schippe drauflegen und noch mehr geben”, kamen mir sehr oft und so richtig freimachen konnte ich mich davon nie. Deswegen bin ich extrem erleichtert, dass die Platte jetzt fertig ist.
motor.de: Mit deinem ersten Album hast du wahnsinnig viel Zeit verbracht und verglichen damit, ging es diesmal schneller. War es schwierig mit der Deadline und dem Veröffentlichungsdatum zurechtzukommen?
Gisbert zu Knyphausen: Das kann ich nicht sagen, denn es handelt sich bei “Hurra! Hurra! So Nicht.” erst um mein zweites Album. Aber die Deadline, die man sich selbst setzt, kann eine blockierende Wirkung haben – hatte es in meinem Fall kurzzeitig auch. Anderseits erkannte ich, dass, wenn ein Song fertig ist, ich ihn loslassen kann und mich nicht daran kaputt schreibe.
motor.de: Der Albumtitel fällt zuerst ins Auge. Wie bist du auf “Hurra! Hurra! So Nicht.” gekommen?
Gisbert zu Knyphausen: Ehrlich gesagt, ist es für mich immer schwer einen Namen zu finden und so suche ich nach Textfragmenten in meinen Liedern, die als Titel passen könnten. Es standen diesmal einige zu Auswahl – “Ich Bin Ein Freund Von Klischees Und Funkelnden Sternen” war zeitweise mein Favorit und doch gefiel mir am Ende “Hurra! Hurra! So Nicht.” am besten: Weil er alles und nichts bedeuten kann. Im Nachhinein finde ich sogar, dass er den Zwiespalt in meinen Songs gerecht wird – einerseits total euphorisch und dann wieder wie “nee, nee so nicht, echt nicht!”.
motor.de: Erstaunlicherweise leistet du überhaupt keinen Dienst nach Vorschrift, sondern klingst sperriger und düsterer als noch beim Debüt von 2008.
Gisbert zu Knyphausen: Dass die Platte so ist wie sie ist, kam von ganz allein. Ich saß nicht zu Hause und dachte mir: “Du musst jetzt aber noch mal einen Song wie “Cowboy” schreiben”. Obwohl ich mir zwischenzeitlich Sorgen machte, ob das Ganze nicht ein wenig zu melancholisch ist und vielleicht ein “Sommertag”-Kracher fehlt. Totaler Quatsch natürlich, denn genau das waren die Lieder, die ich in den vergangenen zwei Jahren gesammelt hatte und weswegen sollten irgendwelche Beiträge auf Biegen und Brechen hinzugefügt werden – ergibt ja keinen Sinn.
motor.de: Siehst du die Texte der Platte als eine Art Tagebucheintrag?
Gisbert zu Knyphausen: Der Ansatz meiner Lyrics ist autobiographisch, dem würde ich zustimmen. Anderseits gefällt es mir Geschichten zu erzählen und fiktionale Zusammenhänge herzustellen – was am Ende dazu führt, dass die Songs eben nicht mehr als Tagebucheinträge durchgehen. Zumindest spiegelt die Platte nicht komplett mein Privatleben wieder.
motor.de: Also ist es nicht deine Melancholie von der du im gleichnamigen Song singst?
Gisbert zu Knyphausen: In diesem speziellen Fall schon. Ich erinnere mich noch, wie ungewohnt es für mich war nach der letzten Tournee einfach erstmal nichts zu machen. Ich saß in meinem Wohnzimmer und fühlte mich melancholisch – was total absurd war, denn alles lief hervorragend. Also kam mir der Gedanke: “Verpiss dich mal bitte, Melancholie, ich habe gerade keinen Bock auf dich”.
motor.de: Bist du jemand, der die Dinge auf sich zukommen lässt oder gerne im Vorfeld plant?
Gisbert zu Knyphausen: Einen Fünf-Jahres-Plan? Nein, den gibt es nicht, aber zu wissen, was demnächst passiert, ist mir wichtig. Falls du diese Frage jedoch auf das Musikerdasein projektierst, dann lebe ich schon im Moment. Da darf man sich keine falschen Hoffnungen machen, denn so schnell wie es nach oben geht, kann es auch wieder hinab gehen. Mir fehlt einfach die Naivität zu glauben, dass ich eine Ausnahme bin. Die Antwort lautet also: Gisbert zu Knyphausen ist ein Genussmensch, was den Erfolg angeht.
Interview: Marcus Willfroth
Keep on working, great job!