(Fotos: Beggars)

 

Cameron Mesirow ist schüchtern und ruhig. Auf der Bühne trägt sie ihre Ansagen so flüsternd vor, dass man denkt, da spräche das Mädchen, das sich in der Schule nie gemeldet hatte, bei ihrer mündlichen Prüfung. Totzdem ist das, was sie sagt, gezielt. Nicht konstruiert, aber bedacht. Mit dem Debut Ring hatte sie sich 2010 den Weg durch die Blogosphäre gebahnt, um im Herbst dieses Jahres mit Interiors nachzulegen. Das anspruchsvolle Artwork um das Release herum deutete bereits das an, was sich im Interview bestätigen sollte, nämlich die fortschreitende Verschmelzung von Popmusik mit ihren Ausflügen in die bildenden Künsten. 

 

Du hast ja so wenige Stationen auf deiner Europatour!

Ich probiere mich ein wenig aus. Es wird eine neue Show und ich habe eine neue Schlagzeugerin mit und wir versuchen uns an einem neuen visuellen Konzept. Es ist schwierig, mit dieser Show zu reisen, das wollen wir jetzt testen. Ich bin kein „Rocker“, der das Leben auf Tour braucht, ich bin eigentlich lieber im  Studio. 

 

Du arbeitest sehr eng mit deinem Produzenten zusammen (Anm. d. Red.: Van Rivers). Könnte man sagen, dass der Text aus deiner Feder und die Musik aus seinem Computer kommt? 

Nein, Ich bringe unfertige, aber grundlegende Ideen mit, die ich auf meinem Computer kreiert habe. In diesem Sinne bin ich auch Produzentin, aber auf andere Art wieder überhaupt nicht. Ich hab eigentlich nicht die Ohren für den perfekten Sound oder so etwas. 

 

Du hast die Visuals angesprochen, wird es sich thematisch an dem Layout von Interiors und dem Video zu Design orientieren?

Ja, es führt den Stil weiter und ist dabei immer in Veränderung, es ist unfertig! Wir variieren ständig!

 

Glasser "Design" from Nnika on Vimeo.

 

Wie weit bist du in die Konzeption des Artworks involviert?

Sehr, ich bin so ziemlich in alles involviert, ich bin ein Kontrollfreak. 

 

Das ist fast zwangsläufig so als Independentmusikerin, oder?

Oder generell als Künstlerin! Wenn du eine Leidenschaft auslebst, dann will man auch so viel wie möglich davon in die Hand nehmen und steuern, trotzdem gibt es genügend Leute, denen ich einfach vertrauen muss. Ich habe eine gute Crew!

 

Seit deinem letzten Album Ring sind drei Jahre vergangen. Was hast du die Zeit über getrieben? Hast du künstlerische Seitensprünge unternommen?

Ich habe nur an Interiors gearbeitet! Es war ein wirklich langer Prozess. 

 

Das kann ich mir vorstellen! Da passiert so viel in deiner Musik.

Und ich war auf Tour, währenddessen hat man kaum Zeit für irgendetwas anderes. Deswegen möchte ich in Zukunft nicht mehr so viel unterwegs sein. Ich will mehr Zeit haben, um mit Glasser weiterzukommen. 

 

Also ist das nächste Album schon in Sicht?

Jetzt noch nicht, ich habe nur schon so viele Ideen!

 

Was können wir erwarten?

Alles! Manchmal vergessen Musiker, dass sie alles dürfen, sie müssen nicht gefangen sein in dem stumpfen Release-Rhythmus. Ich denke, dass ich weitere Kunstprojekte erst mal vorziehe. 

 

In der Zwischenzeit bist du von L.A. nach New York gezogen. Bist du eigentlich ursprünglich aus L.A. ?

Nein, geboren bin ich in Boston.

 

Also bist du das Dreckswetter hier gewohnt?

Geht so, ich habe die längste Zeit meines Lebens in Kalifornien gelebt, aber in San Francisco. Da ist es nicht wirklich kalt, aber auch nicht wirklich warm. So wie der Frühling in Deutschland. Dann bin ich nach L.A. gezogen und habe Glasser gegründet. Drei oder vier Jahre habe ich dort gewohnt. 

Und wie denkst du hat der Umzug deine Musik beeinflusst?

Das hat er tatsächlich auf vielerlei Weise! Es hat vor allem mein Denken beeinflusst. L.A. ist auf eine Weise wie Berlin, jeder hat sehr viel Raum. Es ist auch eine Großstadt, New York fühlt sich aber viel urbaner an. Die Leute sind sich so eng wie in Hong Kong, aber die überfülltesten Orte sind oft die einsamsten! Und ich glaube das war eine inspirierendes Thema für mich. Das erinnerte mich an Metropolis, wo die Leute auch eine Art „Innerlichkeit“ (sagt es auf deutsch) entwickeln. Als würde man nur an sich denken.

Du meinst die vielzitierte Anonymität der Großstadt?

Ja, dadurch findet so etwas wie eine gesellschaftliche Fragmentierung statt, die menschlichen Bindungen brechen und jeder ist zunehmend mit sich allein. Es ist ultimatly capitalist. Meine Musik hat sich also ein wenig von der Selbstbetrachtung abgewendet, hin zu der Beobachtung der Menschen. 

 

Deine Texte erscheinen mir sehr persönlich. Ist das, wenn man auf der Bühne steht, nicht eine hohe Anforderung, den Leuten so viel Einblick zu gewähren, oder ist das Mittel der Selbsttherapie? Ich denke, das ist eine sehr grundlegende Frage an Kunstschaffende.

Beides! Ich glaube die Antwort ist sehr komplex. Es fühlt sich gut an, ehrlich zu sein, mit dem was ich fühle. Auf der anderen Seite kann ich immer öfter Reaktionen sehen, die mir ein wenig Angst machen. Manche verhalten sich, als würden sie über meine Texte Besitz von mir ergreifen, als wären die Reaktionen der Zuhörer emotionaler geworden. Das ist an und für sich eine gute Sache, aber manchmal werde ich ein wenig überrumpelt, wenn ich jemanden treffe, der denkt, er würde mich kennen, weil er meine Musik kennt. Die meisten die ich treffe sind cool, aber manchen gebe ich etwas und sie wollen mehr und mehr. Es fäll mir schwer, damit umzugehen. Ich will dann nicht unhöflich sein, aber ich kenne diese Leute gar nicht. Ansonsten sind die Reaktionen wirklich gut gewesen. 

 

Ist es so, dass du auf der Bühne nach manchen gesungenen Zeilen denkst „Glasser hat das gerade gesungen, nicht ich“?

Diese beiden Ichs verschmelzen mit dieser Platte zunehmend. Bei meinem letzten Album bin ich nicht so offen mit mir selbst umgegangen.

 

Ich habe gelesen, dass dir dieses Album schwer gefallen sein soll. Hat das damit zu tun, dass du offener geworden bist, wie du sagst?

Ich denke schon, ich wusste nie, ob ich zu viel preisgebe. Es war überwältigend. Aber ich glaube ich habe nicht zu viel preisgegeben. 

 

Themawechsel: Wie du weißt, lieben es Journalisten alles zu labeln und zu kategorisieren. In den meisten Fällen sind die Künstler nicht sehr glücklich damit, wenn du es selbst in den Händen hättest, deiner Musik ein Label zu geben, welches wäre das dann?

Ich denke, dass die Künstler sich nicht mit den falschen Genres gelabelt sehen, sondern überhaupt nicht gelabelt werden wollen! Ich könnte das jedenfalls nicht. Ich bin außerdem viel zu involviert um ein objektives Urteil über meine eigene Musik fällen zu können. Sie klebt auf meiner Haut!

 

Man sollte also generell aufhören Popmusik zu kategorisieren?

Es ist nun mal eine menschliche Gegebenheit, nicht eine rein journalistische. Ich wünsche mir oft, dass die Leute aufhören, allem einen Namen geben zu wollen, trotzdem weiß ich, dass das niemals passieren wird und was die Alternativen wären. 

 

So arbeitet das Gehirn nun mal.

Genau, es ist wie Sprache. Man hat nur so begrenzte Möglichkeiten, ein Gefühl abzubilden, dabei ist das Gefühl hat viel mehr Farbe und Tiefe. 

 

Wörter können das Gesagte zerstören.

Es ist wie Fotos machen vom Sonnenuntergang oder der Versuch, das Gefühl über den Wolken im Flugzeug zu sitzen, einfangen zu wollen. Das Foto kann nie dieses Gefühl widergeben. Eine der großen Ironien des modernen Lebens, denn wir interpretieren heute einen hohen Wert in diese Aufnahmen. Das hat mit Labeling zu tun und mit dem ebenfalls schon angesprochenem Besitzergreifen durch Musik. Wir bilden uns ein, etwas von dem zu besitzen, was wir definieren oder zum Beispiel fotografieren und mit nach Hause nehmen können. Machst du auch Musik?

Ja, aber nicht sonderlich erfolgreich.

Was ist schon erfolgreich? Das sollte egal sein!

 

Naja, ich toure zum Beispiel nicht um die Welt, so wie du! Ein gutes Leben haben!

Ja, das macht mich wirklich glücklich, aber das heißt auch nicht, dass es für immer so weitergehen wird. Du weißt also als Musiker genau, warum du das tust. Und ich nehme an, du machst das nicht um jemanden zu besitzen.

Es gibt einen Unterschied zwischen den Leuten, die selbst Kunst machen und denen, die es nicht tun. Leute, die keine Kunst machen, haben kein Verständnis dafür, warum man das tut. Unglücklicherweise sind viele von ihnen Journalisten. Sie wollen oder müssen beschreiben, wie und warum du etwas tust, doch das kann man nicht beschreiben, wie gesagt, das ist viel zu komplex.

 

Aber das ist ja auch das Schöne an Kunst, nämlich dass man nie aufhören wird interessant zu sein, weil man nie die treffenden Worte gefunden haben wird. Es gibt sie einfach nicht.

Genau!

 

(Marc Augustat)