Immer das gleiche: Der stete Wandel begleitet auch die neue Veröffentlichung der englischen Pop-Sensation Goldfrapp.

Im Goldfrapp-Kosmos gehen Fortschritt und Verwandlung Hand in Hand. Wenig verwunderlich also, dass auch “Head First” wieder ganz anders klingt als der Vorgänger. Im Interview erzählt Sängerin Allison Goldfrapp von ihrer Vorliebe für Gorgio Moroder, ihrem Nebenjob als Filmkomponistin und dem Problem, mit dem britischen Radio alt zu werden.

motor.de: Allison, “Head First” geht musikalisch schon wieder in eine ganz andere Richtung als zuletzt “Seventh Tree”. Wart Ihr im Rückblick nicht zufrieden mit dem letzten Album?

Allison: Oh doch, und es war auch wirklich wunderbar, diese Songs live zu spielen. Sie waren so sanft und durchdacht, geradezu aufwändig instrumentiert. Manchmal sind wir mit einem Orchester aufgetreten oder auch mal mit einem Chor, den wir dann auch noch in herrliche Kostüme gesteckt haben. Das hat alles sehr viel Spaß gemacht, aber danach stand mir der Sinn einfach nach etwas anderem. Man sucht ja immer nach einem Sound, der die eigene Stimmung spiegelt, und als wir an “Head First” arbeiteten, musste es eben wieder elektronischer und poppiger werden.

motor.de: Habt Ihr denn grundsätzlich schon ein bestimmtest Konzept im Kopf, bevor Ihr mit einem neuen Album anfangt?

Allison: Gar nicht unbedingt. Dieses Mal haben wir zu Beginn durchaus versucht, wieder Balladen oder generell Akustisches zu schreiben. Aber das passte einfach nicht zu dem, was ich fühlte und zu sagen hatte. Stattdessen musste etwas Flottes und Knackiges her, das ohne Umschweife direkt auf den Punkt kommt. Zarte Gitarrenklänge waren da schlicht fehl am Platz.

motor.de: Die neuen Songs erinnern manchmal an Giorgio Moroder, manchmal an Olivia Newton-John. Benutzt Ihr selbst eigentlich auch die Musik anderer Leute als Referenz oder machen nur wir das von außen?

Allison: Es gibt immer wieder Momente, wo wir uns über Musik austauschen, die uns vorschwebt. Erstaunlicherweise haben Will und ich sehr oft ähnliche Einflüsse, die uns inspirieren. Moroder zum Beispiel fanden wir immer schon toll. Aber letztlich können das die unterschiedlichsten Dinge sein. Wir hören uns auch ganz konkret zusammen Songs an und picken uns dann beispielsweise aus einer Pat Benatar-Nummer eine bestimmte Drumline heraus, an der wir uns orientieren wollen. Im Grunde stellen wir uns eine Palette verschiedener Elemente zusammen, die als Basis unserer eigenen Songs dient.


motor.de: Wie bei so vielen anderen Künstlern tauchten auch eure neuen Songs unerlaubterweise vorab im Internet auf. Ist das nicht extrem frustrierend?

Allison: Zumindest in der Hinsicht, dass man sich zusammen mit der Plattenfirma wirklich Gedanken macht um das Veröffentlichungsdatum eines Albums. Darauf arbeitet man dann ja ganz gezielt hin und trifft allerlei Vorbereitungen, die mehr oder weniger überflüssig werden, wenn doch schon alles vorher im Netz zu finden ist. Mittlerweile habe ich mich aber fast damit abgefunden, denn es passiert wirklich jedem und man kann schlicht nichts dagegen tun. Selbst mit den umständlichsten Vorkehrungen, die die Labels treffen, kann man das nicht kontrollieren. Außerdem sollte man die Sache vielleicht positiv sehen: Wenn die Songs nicht im Internet leaken, heißt das womöglich, dass sich niemand dafür interessiert.

motor.de: Der Albumtitel “Head First” klingt nach eine mutigen Sprung ins Ungewisse. Habt ihr nie Zweifel, was die musikalische Richtung angeht?

Allison: Ich zweifle eigentlich immer, an allem in meinem Leben. Ich weiß nie, ob ich gerade das richtige mache. Oder besser gesagt: Am Anfang bin ich immer voller Begeisterung und Überzeugung, aber das wandelt sich dann immer zu einem “Ach du Scheiße, was tue ich denn hier?

motor.de: Woher dann der Titel?
Allison: Ein Song auf dem Album heißt so. Dazu wurde ich von einem engen Freund inspiriert, der sich im Urlaub in New York Hals über Kopf in einen Typen verliebt hat, obwohl er wusste, dass er den nie wieder sehen wird. Außerdem habe ich eine Weile viel Nützliches darüber gelesen, dass es doch der Sinn des Lebens ist, sich mit Haut und Haar und vor allem ohne Angst darauf einzulassen. Alles andere ist halbherzig und sinnlos.

motor.de: Das ist leichter gesagt als getan.

Allison: In der Tat. Aber der Versuch ist es unbedingt wert. Selbst wenn man sich manchmal für das Falsche entscheidet.

motor.de: Goldfrapp feiern in diesem Jahr das 10jährige Jubiläum. Hättest Du damals gedacht, dass es Euch so lange geben würde?

Allison:
Was für eine Frage! Eigentlich habe ich nie weiter gedacht als bis zum nächsten Album. Im Hinterkopf hatte ich in all den Jahren immer den Plan, vielleicht doch mal die Musik an den Nagel zu hängen und ein Café aufzumachen. Oder eine Reinigungsfirma! Hätte ich vor zehn Jahren gewusst, dass das mit Goldfrapp so lange und so gut laufen würde, hätte ich vielleicht mal ein bisschen Geld in eine richtige Wohnung investiert. Aber so bin ich eben. Immer noch übrigens, denn auch für die nächsten zehn Jahre habe ich keine Pläne. Außer irgendwie mit dem Altwerden klarzukommen.

motor.de: Ist das ein Problem für Dich?

Allison: Zumindest werden wir in England von Radio One nicht mehr gespielt. Denn die finden, wir sind zu alt für ihr Programm und ihre Hörer. Die sind da ganz schön diskriminierend, wenn es ums Alter geht. Wer über 25 ist, hat eigentlich keine Chance mehr!

motor.de: Ihr habt “Head First” innerhalb eines halben Jahres aufgenommen. Ziemlich schnell für Euer Verhältnisse, oder?

Allison: Ja, denn normalerweise brauchen wir eigentlich immer ein gutes Jahr. Gegen Ende wurde es dieses Mal auch ein bisschen verrückt: Das Mastern und Mischen des Albums, was ohnehin nicht mein liebster Prozess ist, war ziemlich stressig. Aber irgendwie war der Zeitdruck, den wir uns gemacht haben, auch hilfreich, denn dadurch hatte man nicht so viele Gelegenheiten, jede Entscheidung zu Tode zu analysieren. Parallel zu “Head First” haben wir ja auch noch an einem Film-Soundtrack gearbeitet. Wir hatten uns dieses Mal wirklich einiges vorgenommen.

motor.de: Der Film “Nowhere Boy” (erst ab Dezember in den deutschen Kinos), zu dem ihr die Musik geschrieben habt, handelt von John Lennons jungen Jahren. Das klingt musikalisch jetzt erst einmal nicht nach eurer Baustelle.

Allison: Warum denn nicht? Seit “My Summer of Love” hatten wir darauf gewartet, dass man uns mal wieder für einen Film anfragt, der auch wirklich zu uns passt, und dieses Projekt war genau das richtige. Die Regisseurin Sam Taylor-Wood und ich haben gemeinsame Freunde, und auch die Cutterin kenne ich gut. So kam der Kontakt zustande. Am Anfang haben wir nur ein paar kleine Sachen für sie gemacht, aber irgendwann war dann klar, dass wir auch den gesamten Score übernehmen könnten. Das war eine dieser Gelegenheiten, die man sich einfach nicht entgehen lassen kann.

motor.de: War es denn dann auch wirklich den Stress wert, das noch neben der Arbeit am Album auf sich zu nehmen?

Allison: Auf jeden Fall! Außerdem hatten wir Glück, denn unser Zeitplan ging unglaublich gut auf. Zwischenzeitlich hatte ich da ein paar Bedenken, denn von anderen Filmkomponisten hört man ja immer wieder Horrorgeschichten, weil man ihnen ständig neue Änderungswünsche aufs Auge drückt und sie am Ende ein Jahr und länger an so einem Projekt arbeiten. Aber bei uns lief alles sehr harmonisch.

Interview: Patrick Heidmann