Arbeitstier Damon Albarn fühlte sich auf seiner Herbst-Tour nicht ganz ausgelastet und kreierte nebenher ein Album. “iPad statt Studio!” heißt die Kampfansage von “The Fall” an die Zukunft der Musik.

Mit dem Mac schrieb Apple Computer-Geschichte, mit dem iPod mischte das Unternehmen die Welt der Musikplayer auf, mit dem iTunes-Store den Musikvertrieb. Der Konzern steht für Style, Qualität und Innovation. Als das iPad im April 2010 auf den amerikansichen Markt kam, wurde eine neue Ära der Computernutzung prognostiziert: Laufwerke? Unnötig, Informationen kommen via Äther von A nach B. Tastatur? Hinfällig, der Touchscreen ersetzt die Tasten. Ein Tonstudio und massig Equipment um ein Album aufzunehmen? Total überholt!

Damon Albarn, Mastermind der Gorillaz, nutzte die neue Technik aus dem Hause Apple um das nunmehr vierte Album seiner Band zu produzieren. Pünktlich zu Weihnachten präsentierte er mit „The Fall“ das erste kommerzielle Album weltweit, das mit dem iPad komponiert, eingespielt und abgemixt wurde. Mitte November tönte er: “Ich liebe mein iPad, seit ich es habe, und ich habe eine komplett andere Art von Album damit gemacht”.

Gorillaz – “Feel Good Inc.” (iPod-Werbung)

Ohne die moderne Technik wäre dies neben den Konzerten nicht möglich gewesen. Denn um zu beweisen, dass es sich ausschließlich um ein auf Tour geschriebenes Werk handelt, wollte er es noch vor deren Ende veröffentlichen. Was wir hier erleben ist nicht nur gelebter Fortschritt, sondern auch das gewohnt geschickte Markting und Productplacement von Apple. Unter anderem in den Filmen WallE, Forrest Gump oder Fight Club platziert, konnte der Windows-Konkurrent schon in der Vergangenheit punkten. Nun ist es Damon Albarn, der die neueste Generation der schon in den frühen 1990ern eingeführten Tablett-PCs promotet.

Der Coolnessfaktor der Gorillaz und der Hypeaspekt von Apple paaren sich auf “The Fall“. Man hätte erwartet, dass das Kind dieser Vereinigung vor Innovation strotzend ein weiterer unumgänglicher Monolith auf dem Gorillaz-Werdegang wird. Der kurzen Entstehungszeit verschuldet, ist das neue Albarn-Produkt jedoch eher eine nette Belohnung für die Fanclubmitglieder dafür, dass sie den Jahresbeitrag überweisen. Zwar wurde es medial als Gratis-Album angekündigt, letztendlich waren die Song-Dateien jedoch nur für die Mitglieder des “Sub Division”-Clubs legal erhältlich. Noch in diesem Jahr soll es physisch auf den Markt kommen. Bis dahin haben geneigte Hörer auch die Möglichkeit, das Album auf verschiedenen Internetseiten im Stream zu rezipieren. Genauso wie die Gratis-Ankündigung, ist auch die Ansage, das Werk wäre “komplett” auf dem Apple-Produkt und auf Reisen entstanden, nicht ganz richtig. Gemastert wurde es bespielsweise in den Abbey Road Studios in London.

Gorillaz – “Phoner To Arizona”

In nur einem Monat, auf der namensgebenden Herbsttour durch Nordamerika vom 3. Oktober bis zum 2. November nahm Albarn das Album in verschiedenen Städten auf. Auch wenn der Produzent Stephen Sedgwick als Filterinstanz zu Rate gezogen wurde, ist “The Fall” ein Experimentierfeld mit vielen Füll-Tracks und obskuren Samples ohne Ziel und Richtung. Die Platte lebt weniger von Gastauftritten namhafter anderer Künstler als das Features-gefütterte “Plastic Beach“. Drei Musiker findet man dennoch: Den Bass im Instrumentalstück Aspen Forest bedient die Punklegende Paul Simonon von The Clash und in “Bobby in Phoenix” singt der Soulkünstler Bobby Womack.

Um „The Fall“ zu kreieren benutzte Albarn neben Korg Vocoder, Ukelele, Microkorg, Omnichord, Moog Voyager, Melodica, Gitarre, Piano und Korg Monotron außerdem 19 Apps. Entstanden ist ein Album, das, für sein Bandprojekt typisch, sehr synthielastig und Mixtape-ähnlich daher kommt. Um nicht nur auf Wände zu starren und bei Laune zu bleiben, war die iPad-Platte laut Albarn ein guter Weg, der Monotonie des Reisens zu entfliehen. Die Soloaufnahmen und gemeinsamen Arbeiten entstanden in den auf Touren üblichen Wartezeiten. Albarn selbst beschreibt es als sein „Liebesbrief an Amerika“. Statt sich um die mittlerweile breit getretene Geschichte der 3D-Comic-Charaktere der Gorillaz zu drehen, beschäftigt sich „The Fall“ anders als die regulären Aufnahmen mit dem ganz eigenen Sound der US-Metropolen, in denen der Brite Albarn mit seinem Gefolge auftrat.

Zwei Bands in einer: Die Gorillaz bei ihrem Konzert am 29. April 2010 im Londoner Roundhouse.

Der letzte Langspieler der Gorillaz “Plastic Beach” kam erst 2010 heraus und erreichte Platz drei der deutschen Charts. Die bisherigen Alben der Gorillaz erlangten mehrfachen Platin-Status. „The Fall“ kann bislang nicht an seine Vorgänger anknüpfen, steht aber mit allen 15 Tracks in der Garillaz-Tradition: Als erfolgreichste virtuelle Band mit einem Eintrag im Guiness-Buch ausgezeichnet, sind sie es auch, die das erste Album unter der Flagge des abgebissenen Apfels erstellten. Auch wenn die Innovation etwas zu Lasten der Qualität geht, finden die Fans der Band hier trotzdem ein paar Schönheiten.

Julia Kindel

VÖ: 25.12.2010

Label: EMI

Tracklist:

1. Phoner To Arizona
(aufgenommen am 03.10.2010 in Montreal)
2. Revolving Doors
(aufgenommen am 05.10.2010 in Boston)
3. HillBilly Man
(aufgenommen am 10./11.10.2010 in New Jersey und Virginia)
4. Detroit
(aufgenommen am 13.10.2010 in Detroit)
5. Shy-town
(aufgenommen am 15.10.2010 in Chicago)
6. Little Pink Plastic Bags
(aufgenommen am 16.10.2010 in Chicago)
7. The Joplin Spider
(aufgenommen am 18.10.2010 in Joplin)
8. The Parish of Space Dust
(aufgenommen am 19.10.2010 in Houston)
9. The Snake In Dallas
(aufgenommen am 20.10.2010 in Dallas)
10. Amarillo
(aufgenommen am 23.10.2010 in Amarillo)
11. The Speak It Mountains
(aufgenommen am 24./25.10.2010 in Denver/Santa Fe)
12. Aspen Forest
(aufgenommen am 25.10.2010 in Santa Fe und am 03.11.2010 in Vancouver)
13. Bobby In Phoenix
(aufgenommen am 26.10.2010 in Phoenix)
14. California And The Slipping Of The Sun
(aufgenommen am 30.10.2010 in Los Angeles)
15. Seattle Yodel