(Fotos: Mick Nite)

 

Das Greenville hat ein Problem. Und damit meine ich nicht das gute Line-up, die in der Regel freundliche Security, das schnell überschaubare Festivalgelände, die pünktlichen Stage-Zeiten, die frische Natur oder das sehr heterogene (mitunter recht brave) Publikum. Nein: Ich meine, dass es aufgebläht ist.

Spulen wir mal zurück. Anfang des Jahrtausends schossen kleine Festivals aus dem Boden wie Regenwürmer zur Sintflut, wir hatten die Neunziger überlebt, die Szenegrenzen fielen und mit dem Verlauf des ersten Jahrzehnts des Nachweltuntergangszeitalters konnte man sich über Nachwuchs im Wald- und Wiesensport nicht beklagen. Nur war es so, dass die Festivals noch in natürlichen Planeten-Bahnen fixiert waren. Explodierende Supernova, Festival aus dem Himmelsgestaden stampfen mit Apokalypse-Line-Up. Nein Danke. Soll heißen, Gelände und Line-Up entwickelten sich in stetem Zusammenhang mit den tatsächlich vorhandenen Besucherzahlen. Die Raketenwissenschaftler starteten Festival XY im Jahr eins mit Regional- und Lokalbands, buchten ein bis zwei Headliner dazu und fertig war die Rakete. Wenn die Nachfrage stimmte und die Leute im Jahr darauf wirklich (in größerer Zahl) wiederkommen wollten, wurde nachgelegt, aber eben nur dann. Ob ein Festival mehr Boost erhält, so zeigt die Geschichte, hat auch mit den Wetterverhältnissen und der Location an sich zu tun. Wie viele Festivals wurden unerträglich (und starben), weil sie von grünen Berghängen auf dröge Flughafenfelder umzogen (nur dort nervt Regen und Wind wirklich). Das mit der Lokation macht das GREENville richtig, das mit den Bands nicht. 

Das Greenville hat dieses Jahr erst zum zweiten Mal stattgefunden. Schon im ersten Jahr las man Namen wie Cro auf dem Flyer. Dieses Jahr ebenfalls Big Names: Wu Tang, Nick Cave, Tocotronic. Sind denn letztes Jahr soviele Leute dagewesen, dass sich das Festival so ein Line-up verdient hat? Eher nicht.

Punkt zwei: Wir finden den Genre-Mix extrem gut. Bedauern aber, dass man dann ruffere Bands in einer Turnhalle verheizt, die so einen beschissenen Sound hat, dass einem die Leute auf der Bühne Leid tun, wenn sie vor 30 Nasen gegen die Putzwand spielen müssen. Wenigstens hätte man ein paar Flecken der Mehrzweckhalle (mit dem knalligen Spruch im Innengiebel „Die Mark grüßt ihre Gäste“) mit ein paar Planen abhängen können, damit der extreme Hall uns nicht die Gehörgänge zerfrisst. Was soll‘s, wenn man es sich leisten kann (sicher auch wegen des aufgeblähten Line-ups) Alt-Helden wie Atari Teenage Riot oder Newcomer wie Chimperator-Signing Heisskalt in so einer Lokation vor Publikumszahlen zu verheizen, die gerade mal (ängstlich) am dreistelligen Bereich kratzen, dann OK.

Ein Indikator für überblähte Festivals ist übrigens (auch wenn das von der Kapitalismuskritik eigentlich ganz super duper und voll wie früher ist, yeah) das Fehlen von dicken Merchandise-Buden. Geht mal über Force und Wacken, kein Meter ohne T-Shirt-Stände und Devotionalien der auftretenden Bands. Auf‘s Greenville fahren dann doch nicht soviel Merchandise-Vertriebe, weil es schlicht an Kaufkraft fehlt.

Aber es gab ja auch Schönes. Der Sound, außerhalb der erwähnten Halle, war immer geil. Die auftretenden Bands haben immer gerockt, obwohl ich bei Nick Cave fast eingepennt bin, den am Takt vorbeispielenden Schlagzeuger nicht so toll fand (Amn. d. Red.: Da gehen die Meinungen durchaus auseinander … ), Tocotronic das schlechteste Konzert gegeben haben, das ich je erleben durfte, und der Wu Tang Clan nur durch die Solo-Qualitäten von Methodman gerettet wurde. Sonst waren alle Bands dufte.  

Ja, es gab noch mehr Schönes. Nette Menschen, gutes und relativ günstiges Essen (Amn. d. Red.: Nix mit Soylent Green, besonders der Fladen mit Oliven und scharfen Schoten war der Wahnsinn), Parkatmosphäre (wir erwähnten den vorhandenen Platz, weil‘s eben nicht überlaufen war) saubere Toiletten (schon wieder uncool), ein wunderbar unhippes Publikum… Wobei…

Ich glaube, wir wünschen uns, dass nächstes Jahr einfach alles mehr zusammenwächst. Ein bisschen hat das Greenville nämlich die Atmosphäre von drei separaten Dorffesten. Vielleicht tun es ja ein paar Bands weniger, schnellere Umbauphasen und weniger Bühnen. Also vielleicht zwei statt drei. Und da kommen wir zum eigentlichen Punkt: Das Greenville wirbt mit einem super Layout und schafft es, die auftretenden Bands mit einer sagenhaft guten Corporate Identity unter ein Dach zu bekommen. Alles hip, alles grün. Ja, im Internet. Vor Ort: Die erwähnte Halle, ohne jeglichen stilistischen Festival-Pomp, eine Radio-Eins-Bühne, die mich an den Fernsehgarten erinnert. Der freshe Greenville-Style muss auch vor Ort umgesetzt werden. Alles muss zusammenwachsen, so wie uns das vom geilen Layout vorgegaukelt wird. Auch musikalisch.

Da sollte dann eine geile Metal-Band wie Kvelertak einfach mal auf der gleichen Bühne auftreten wie Tocotronic und den Schnarchnasen mal zeigen, wie man‘s heute macht. Klingt übertrieben? Warum? Auf ein gutes Mixtape kommt auch unterschiedlichste Mucke druff, nur muss man sich da Gedanken um die Reihenfolge machen und kann nicht die diversesten Stile wild gemischt auf (drei) verschiedenen Seiten (Stages) laufen lassen. Wenn das Greenville die nächsten zwei Jahre übersteht, ein bisschen durchdachter wird, kann ein richtig gutes Festival draus werden.

PS. Was ist das mit diesen Scala & Kolacny Brothers. Wollen die mich fertigmachen?

John Sauter

 

+++ Das Greenville Festival in Bildern  / Special Thanks to Mick Nite +++