Mit viel Selbstvertrauen wagten sich Grizzly Bear an den Nachfolger zum hochgelobten “Veckatimest” und haben mit “Shields” ein Album aufgenommen, dass in seiner Gänze überzeugen kann – warum dies gelang, erklärte Chris Taylor uns im motor.de-Interview.
(Foto: Barbara Anastacio)
Chris Taylor ist schockiert: “War das gerade ein echter Merz, der da am Eingang des Zimmers hing?”, stockt er kurz, “falls ja, ist das unglaublich – ich lege viel Wert auf meine Klamotten, doch so weit darf Mode nicht gehen, niemals.” Echauffiert sich Grizzly Bears Multiinstrumentalist und versucht sich alsbald auf die heutigen Aufgaben zu konzentrieren. Gespräche zum neuen Album “Shields” stehen an und trotz vieler Promo-Aktivitäten hat er immer noch “voll Bock darauf”, wie er gut gelaunt zugibt. Vollkommen zurecht, denn mit dem vierten Werk ist Grizzly Bear gelungen, was die wenigsten erwartet hätten: Die Songs schaffen es tatsächlich dem 2009 veröffentlichten Meisterstück “Veckatimest” etwas entgegenzusetzen, obwohl das Ergebnis musikalisch ein ganz anderes geworden ist: Entspannter und eingängiger klingt der psychedelische Pop Grizzly Bears inzwischen und kann vor allem durch andere Herangehensweisen punkten.
“Natürlich darfst du als Musikerkollektiv ein Album zweimal aufnehmen, in abgewandelter Form wird sich nur ein geringer Prozentsatz daran stören”, dokumentiert Taylor den Ist-Zustand seiner Gruppe, “uns fiel es aber zu keinem Zeitpunkt ein, “Veckatimest” als Vorbild zu nehmen – sämtliche Knöpfe wurden auf Reset zurückgesetzt und eher wollten wir scheitern, als auf Nummer Sicher zu gehen.” Soviel Selbstvertrauen ist löblich und sicher auch das Ergebnis seines letztjährigen Soloausflugs: Mit CANT konnte Chris Taylor die Schatten der Hauptband ein stückweit abschütteln und bei Presse und Publikum als eigenständiger Künstler von sich Reden machen. Ganz anders klang er plötzlich und das Anderssein prägt nun auch “Shields”, dass Grizzly Bear wohl auf dem Zenit ihres Schaffens zeigt, denn auf Nummer Sicher gingen sie damit wirklich nicht. “Ich bin stolz wie zu Zeiten unseres Debüts. Es fühlt sich so frisch und unerwartet an, dass mir kein Gespräch darüber zu viel ist.”
Ein Glück, denn Fragen hatten wir im motor.de-Interview eine Menge: Über Hipstertum, kreative Wagnisse und “Americas Next Top Model”, die vermeintliche Lieblingssendung der vier New Yorker Querköpfe – was sich allerdings als nicht ganz korrekt herausstellte. Lest am Besten selbst!
Grizzly Bear – “Yet Again”
motor.de: Für die heutigen Interviews habt ihr euch aufgeteilt und gebt sie getrennt voneinander. Keine Lust gemeinsam abzuhängen?
Chris Taylor: Ich kann die anderen einfach nicht mehr sehen – was die für ein Zeug labern, keine Lust mir das anzuhören (lacht). Nein, das hat logischste Gründe, sonst müssten wir Journalisten draußen stehen lassen.
motor.de: Die Frage kam deshalb, weil überall zu lesen steht, dass ihr zum ersten Mal eng zusammengearbeitet habt. Wie ist das zu verstehen?
Chris Taylor: Es war vorher nicht so, dass jemand alles alleine einspielte und der Rest sich die Sachen nur anhörte. Vielmehr mochten wir es, getrennt voneinander zu schreiben und die verschiedenen Dinge im Studio zusammenzufügen – darin liegt der große Unterschied zu “Veckatimenst”, das “Shields” ganz anders entstand.
motor.de: Du warst als Songwriter also von Beginn an involviert?
Chris Taylor: Genau, ich habe mit Ed [Droste, Sänger der Band, A.d.R] die meisten Stücke gemeinsam geschrieben und es brachte uns als gleichberechtigte Partner unheimlich voran. Wir saßen einmal sogar am Lagerfeuer und haben Songs geprobt. (Lächelt) Kitschiger geht es wohl kaum, würde ich behaupten und manche von uns dachten: Jetzt sind wir eine richtige Band – eine, wie sie im Lehrbuch steht.
motor.de: Schön auch, dass du dich mit Ed Droste auf ein Thema für “Shields” festlegen konntest – irgendwie geht es nur um Beziehungen, trotz des Titels.
Chris Taylor: In gewisser Weise schon, es geht zumindest nicht um Verkehrsschilder. (Überlegt) Es war gar nicht so einfach für uns, einen passenden Namen zu finden und so suchten wir nach etwas, dass die Songs am besten umschreibt: Da sie sich wirklich viel um Beziehungen aller Art drehen, sind Grenzen eine ganze natürliche Sache. Weil sich manche dafür entscheiden viel zu geben, andere eher weniger – ein Bedürfnis nach Schutz bzw. Schutzschildern entsteht dadurch ganz natürlich.
motor.de: Die musikalische Leichtigkeit, die die Songs auszeichnet, entwickelt man wohl bei gemeinsamen “America Next Top Model”-Abenden. Man hört, ihr seid große Fans!
Chris Taylor: Bitte was? (Schaut überrascht) Ich habe noch nie eine Folge gesehen und weiß nicht einmal wer da moderiert – wer so etwas behauptet, hat die Infos nicht von uns. Ed würde durchdrehen, müsste er auch nur eine Folge davon ertragen.
motor.de: Ist notiert! Die ersten Kritiken hingegen schwärmen von “Shields” in den höchsten Tönen und es wirkt, als ob ihr auch eine leere Hülle veröffentlichen könntet – die Leute würden es trotzdem mögen.
Chris Taylor: Super, das machen wir beim nächsten Mal und sparen uns eine Menge Arbeit. Um ehrlich zu sein – Grizzly Bear sind gar nicht so hip, wie alle behaupten: Klar, man achtet ab und an darauf, was man trägt und doch gibt es Tage, wo ich Klamotten aus dem Schrank nehme, die oben liegen. Bezeichne uns also bitte nicht als trendy oder Styling-technisch vollkommen p.c.
motor.de: Dass ihr in Hispterkreisen ein super Standing habt, wisst ihr aber schon?
Chris Taylor: Wie zeigt sich das?
motor.de: Weil es nicht ganz so cool wirkt Anhänger von Bon Jovi zu sein. Ein Album wie “Shields” beweist mehr musikalisches Knowhow beim Hörer, als “Slippery When Wet”.
Chris Taylor: Ich verstehe worauf du hinauswillst – bei mir in der Schule war es zum Beispiel total angesagt, Limp Bizkit zu hören und viele von meinen damaligen Freunden klopfen mir heute auf die Schulter, dass ich als Teenager David Bowie mochte, während sie Fred Durst für das Non-Plus-Ultra hielten.
motor.de: Demzufolge machen Grizzly Bear heute so korrekte Checkermucke, weil sie diese früher selbst gehört haben?
Chris Taylor: (lacht) Nein, jeder hat seine Leichen im Keller. Als Britney Spears zum Beispiel “Toxic” veröffentlichte, fand ich die Single gar nicht so verkehrt – es kommt weniger darauf an, was du hörst, als vielmehr worauf du Bock hast! Bei mir standen immer Instrumente im Mittelpunkt und mit der Zeit kam die Technik dazu. Darauf kommt es an und nicht was du als Teenager tagein tagaus gehört hast.
motor.de: Zum Schluss – wenn ihr mit “Shields” einmal mehr die gesamten Kritiker hinter euch habt, werdet ihr die Niederlage mit der kommenden Platte verkraften?
Chris Taylor: (Überlegt) Eigentlich hatte ich schon dieses Mal mit mehr Kritik gerechnet, bei “Veckatimest” ebenso, um ehrlich zu sein. Nun ja, wir können es niemals allen recht machen und wer dies mit vier Platten halbwegs schafft, darf sich bei der fünften auch einen Querschläger erlauben – Hauptsache wir stehen hinter dem Ergebnis. Vielleicht machen Grizzly Bear das Ding mit der leeren Hülle?! Ums Artwork würde ich mich höchstpersönlich kümmern.
Text + Interview: Marcus Willfroth
Grizzly Bear – Live 2012:
30.10. Hamburg – Übel & Gefährlich
31.10. Berlin – Astra
02.11. Köln – Essigfabrik
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