Explizite Texte, harte Synthiebeats, Schweiß und Energie. Einseitig? Platt? Klingt nach Schublade? Jen Bender über das Konzept der Konzeptlosigkeit und anderes…

Auf dem Weg zum Venue kam der Anruf: Das Konzert von Grossstadtgeflüster musste kurzfristig abgesagt werden. Keyboarder Raphael hat sich eine böse Lungenentzündung eingefangen. Danach sind auch die Termine für die folgenden zwei Wochen verschoben worden. Muss auch hart sein, so ein Bandalltag und diese ständige Ich-scheiß-auf-alles-Attitüde – oder etwa nicht? motor.de hat Sängerin Jen Bender, derzeit nach eigenen Aussagen das einzige nicht-ganzkörperschrottige Bandmitglied der Synthie-Punker, trotzdem an die Strippe gekriegt. Ein aufschlussreiches Gespräch von den Vor- und Nachteilen des Genres bis zur Aktualität des Punk. Und bevor wir es vergessen: motor.de wünscht gute Besserung!


motor.de: Muss bei euch immer alles groß und laut sein?
Jen:
Ich empfinde das alles gar nicht als so groß und laut. Natürlich verwenden wir eine sehr direkte Sprache, die wir bewusst aus dem Alltag greifen. Es sind dann aber wohl doch eher die zwei bis drei herausstechenden Songs, die einen das denken lassen. Laut wird es ja erst durch die Musikuntermalung und sicherlich versuchen wir Musik und Text aufeinander abzustimmen. Und groß sind wir ja sowieso nicht [lacht].

motor.de: Den Vergleich mit
Deichkind habt ihr bestimmt schon öfter gehört, oder? Gerade auch die Aufmachung eurer Homepage legt das nahe.
Jen:
Der kam aber erst mit der zweiten Platte, denn als unser erstes Album rauskam, war ja “Aufstand Im Schlaraffenland” noch gar nicht so präsent. Wenn man in der Genrekiste wühlt, sind Deichkind ja auch gar nicht so weit weg, halt synthie- und beatlastige Musik mit deutschen Texten. Wobei ansonsten gar nicht soviel gemeinsam ist. Wenn wir englische Texte machen würden, wäre der Vergleich bestimmt nicht mehr da. Was die Homepage angeht, denke ich, dass sich da eben ein gewisser Zeitgeist widerspiegelt. Man ist ja nie völlig befreit von dem, was um einen herum passiert. Sowohl Hamburg als auch Berlin sind mit ihrem Spirit ein großer Einfluss und den nimmt man, ob bewusst oder unbewusst, eben auf.motor.de: Bedient ihr ein spezielles Publikum mit diesem Stil?
Jen:
Also wenn, dann ist es auf gar keinen Fall gewollt, denn unser Konzept ist ja das der Konzeptlosigkeit. Ich hoffe einfach, dass wir ein Publikum bedienen, das Bock drauf hat, unsere Musik auch intensiv zu hören. Wir gehen ja schon sehr detailverliebt an die Produktion ran und ich glaube, da gibt es immer wieder ganz viel Neues und Kleines zu entdecken. Bisher hatten wir immer ein wahnsinnig nettes und aufgeschlossenes Publikum und das freut uns natürlich total, denn das ist ja auch eine Form von sich nackig machen, was wir da tun. Wir nehmen an keiner Stelle ein Blatt vor den Mund, weil wir sagen, das ist uns zu persönlich. Für den Großteil der Musiker ist Musik nun mal ein Ventil und ich jedenfalls kann damit und mit den Texten viel besser ausdrücken, was emotional in mir vorgeht, als wenn ich es in einer Unterhaltung in Worte fasse.

motor.de: Das heißt, es gibt für dich wirklich nichts, was du nicht mit Musik ausdrücken kannst?
Jen:
Natürlich gibt es Momente beim Songwriting, wo man merkt, das passt irgendwie alles nicht, aber ich denke, dann hat man einfach noch nicht die Lösung gefunden.

motor.de: Wird dir eure rotzige Attitüde nicht manchmal zu anstrengend?
Jen:
Eigentlich nicht, weil es wirklich unglaublich befreiend ist, wenn man auf der Bühne steht und mit dem Publikum zu einer Einheit verschwimmt. Diese ganze Energie, die da ist, sorgt dafür, dass nach 20 Minuten alle Scheiße aussehen, weil wir völlig verschwitzt sind. Dass es anstrengend ist, merkt man immer erst im Nachhinein, wenn man am nächsten Tag im Tourbus sitzt und einem alles wehtut. Außerdem haben wir ja nicht nur so krasse und tanzbare Stücke, sondern auch Balladen. Aber wenn der Punkt kommt, dass es keinen Spaß mehr macht, dann würden wir sowieso irgendetwas verändern, weil wir nie etwas machen würden, worauf wir keine Lust haben.

motor.de: Ist Punk tot?
Jen:
Auf gar keinen Fall. Zumindest das Grundgefühl nicht. Es verändert sich, wie in jeder anderen Subkultur oder Musikrichtung auch. Die Stilmittel werden wahrscheinlich immer wieder andere sein, aber diese Grundhaltung, aufzustehen und zu sagen, was man denkt, anderen zu widersprechen. Ich denke, das ist in vielen Menschen drin und wird so bald auch nicht sterben.

Grossstadtgeflüster – “Kaethe”

motor.de: Dementsprechend wäre auch das Grundgefühl in eurer Musik Punk?
Jen:
Es gibt ihn ja auch noch in seiner klassischen Form, aber so eine punkige Attitüde ist schon durchaus da. Dieses Direkte und Laute ist ja ein Teil von uns. Ich würde nicht sagen, dass wir das sind, was Punk früher war, aber ich glaube, dass wir durchaus Anteile in unserer Musik haben, die ganz viele Ähnlichkeiten dazu haben, gerade auch live.

motor.de: Nerven euch Leute, die nicht zum Punkt kommen können?
Jen:
Kommt drauf an. Was ich persönlich als Hörerin nicht mag, ist, wenn die Musik so konzipiert ist, dass man genau weiß, was für ein industrieller Apparat dahinter steht. Eben wenn man hört, da hat die Plattenfirma mit ihrem dicken Budget noch mal ordentlich drüber gebügelt. Manchmal, gerade auch bei jungen Acts, bleibt ja dann kaum noch was von der Band selbst übrig. Das finde ich traurig. Aber alles, wo man merkt, da hat sich jemand Gedanken gemacht und möchte was zum Ausdruck bringen, hat meiner Meinung nach eine absolute Daseinsberechtigung.

Interview: Claudia Jogschies