Musikindustrie unter der Lupe: In der Schweiz geht es gerade nicht mit rechten Dingen zu.
Vom Bett auf Nummer zwei: TinkaBelle. (Bild: Pressebild tinkabelle.net)
Es liest sich wie eine Mustervorlage für Lobbyverbände: „Als nicht gewinnorientierter Verein vertreten wir die Interessen unserer Mitglieder in allen Belangen des Urheberrechts, der Leistungsschutzrechte, der Bekämpfung von Missbräuchen und arbeiten mit den gesetzgebenden Instanzen sowie mit Kreisen zusammen, die ähnliche Interessen verfolgen.“ So steht es als Begrüßung auf der Homepage und man muss dieser Tage kein Schelm sein, um sich bei den Begriffen „Interessenvertretung“ und „Kreisen mit ähnlichen Interessen“ eher an düster-verschwurbelte Formulierungen aus einem Mafia-Film erinnert zu fühlen als an die Selbstbeschreibung eines schweizerischen Wirtschaftsverbandes.
Die IFPI Schweiz ist der Dachverband der dortigen Musikindustrie. Der Tonträgerumsatz in der Schweiz ist aus deutscher Sicht eher beschaulich, lässt sich auf grob ein Zehntel veranschlagen, aktuell irgendwo im Bereich um 150 Millionen Euro. Die Verbindungen zu deutschen Plattenfirmen sind eng, vor allem im Majorbereich, denn natürlich werden deutsche Stars auch in weiten Teilen der Schweiz vertrieben und vermarktet. Man kann den Schweizer Musikmarkt so auch als eine Art Anschauungsmodell betrachten, alles ist kompakter, kleiner ausgelegt, übersichtlicher. Und wer im Moment genau hinschaut, kann Erstaunliches entdecken: ein Kartell, das die Charts manipuliert, Konkurrenten heraushält, „Steuersparmodelle“ anwendet, die Medien gern am Gängelband hätte und in dem man sich gern gegenseitig die Taschen füllt. So zumindest die Vorwürfe, die jetzt handfest im Raum stehen.
Die Anzahl der Mitglieder der IFPI ist mit 31 Labels und Vertrieben sehr überschaubar, dazu gehören natürlich auch alle „Majors“. Nicht dazu gehören darf die Firma iMusician Digital, eine digital aufgestellter Vertrieb, der immerhin rund 5.000 Künstler in den einschlägigen Online-Stores unterbringt. Shigs Amemiya ist der Chef der Firma, seit gut einem Jahr legt er sich mit der IFPI an. Jetzt hat er erreicht, dass die Schweizer Wettbewerbskommission eine Untersuchung gegen den Branchenverband anstrengt. Auslöser war ein Hit der Band Da Sign & The Opposite, der von iMusician Digital vertrieben wird. „Slow Down Take it Easy“ war 2009 der Song einer Verkehrssicherheitskampagne und – so zumindest hört man aus der Schweiz – äußerst präsent. Die Verkaufszahlen waren sehr gut, wochenlange Spitzenplätze in den iTunes-Charts belegen das. Ein klarer Fall für einen Einstieg in die offizielle Schweizer Hitparade – sollte man meinen. Aber nichts da. Ermittelt wird die Hitparade von der Firma Media Control, und zwar im Auftrag der IFPI. Wobei man den begrifflichen Kern von „ermitteln“ offensichtlich nicht so wörtlich nehmen darf. Das Regularium, nach dem die Hitparade entsteht, wird nicht veröffentlicht. Klar ist nur, dass es keine flächendeckende, statistisch saubere und vor allem unabhängige Erhebung gibt. Möglich scheint dabei nicht nur, den Song eines Konkurrenten aus der Hitparade herauszuhalten, sondern auch, einen hineinzubringen. Das zumindest legt der Fall TinkaBelle nahe.
Slow down and take it easy? Da Sign & The Opposite sehen das jetzt vielleicht ein bisschen anders.
Aus dem Nichts heraus landete der bis dato völlig unbekannte Act des Majors Warner im September 2010 auf Platz zwei der Charts. Pikant dabei: Lebensgefährte der Sängerin und Drummer der Band ist Andy Renggli – General Manager der Media Control in der Schweiz und früher bei der schweizerischen Warner. Enge Beziehungen hegt er zu seinem früheren Warner-Kollegen Chris Wepfer, jetzt Chef der schweizerischen Phononet, des Promotion- und Vertriebsnetzwerks der Majors, das eine Schlüsselstellung einnimmt, wenn es gilt, Musik in Läden und Medien zu positionieren. Die Vermutung, TinkaBelle sei ein gemeinsames Projekt der Marktinsider, liegt zumindest nicht allzu fern. Das ursprüngliche Prinzip der Charts – Erfolg abzubilden – hat sich natürlich schon lange ins Gegenteil verkehrt. Wenigstens nach den kommerziellen Kriterien der Musikindustrie benötigt man erstmal einen Charteinstieg, um überhaupt bekannt und damit potenziell erfolgreich zu werden. Jahrzehntelang drehte sich die Veröffentlichungspolitik von Popmusik demzufolge um das eherne Gebot, einen schnellen und möglichst hohen Charteinstieg zu erreichen. Denn nur der sichert eine Präsenz in den Medien, die sich wiederum auf die Verkäufe auswirkt. Manipulationsversuche gibt es in allen relevanten Musikmärkten zuhauf, beginnend bei der überall gern kolportierten Story vom Manager einer Band, der in den chartsrelevanten Läden Stapel von CDs seiner Künstler kauft. Auch in der Schweiz gab es in den Neunzigern einen aktenkundigen Fall. Eine Insider-Manipulation wäre hingegen eine ganz andere Liga.
Kann man dieser Hitparade wirklich trauen? Wie sich zeigt: eine rhetorische Frage. (Bild: Screenshot)
Aber was sind solche Charts noch wert? Eine Menge Geld. Denn die „Offizielle Schweizer Hitparade“ ist eine Marke, deren Nutzung verkauft wird. Zum Beispiel an DRS3, das wichtigste Musikradio der Schweiz, öffentlich-rechtlich organisiert und demzufolge mit öffentlichen Mitteln finanziert. Deren allsonntägliche Ausstrahlung der Hitparade verleiht der erst die eigentliche Marktmacht. Musikchef von DRS3 ist Michael Schuler, von dem man wissen sollte, dass er erst 2006 zum Radio kam. Vorher war er bei – klar – der Musikindustrie, zum Beispiel als A&R bei der damaligen SonyBMG. Schwer vorstellbar, dass er nicht schon damals Einblick in die zweifelhafte Charterhebungs-Praxis hatte. Gegenüber der NZZ – deren Sonntagszeitung hatte das Thema am 10. April aufgegriffen – forderte er jetzt allerdings dringende Aufklärung über das Charts-Reglement. Ob der Ausschluss von Konkurrenten auch offiziell ein Verstoß gegen das Schweizer Kartellrecht ist, wird jetzt zumindest vorgeprüft.
Hellhörig sind aber auch deutsche Steuerbehörden geworden. Ziel des Interesses: die Firma IPGate. Die verfolgt im Auftrag der IFPI sogenannte „Urheberrechtsverstöße“ – im Volksmund: Raubkopierer – und treibt saftige Schadenersatzzahlungen ein. Geschäftsführer und Minderheitsaktionär der IPGate ist Beat Högger – der Geschäftsführer der IFPI. Hauptsächliche Besitzer der IPGate sind jedoch Deutsche. Die müssten ihre Einkünfte in Deutschland versteuern, wenn sie nicht davon freigestellt würden, weil – vereinfacht formuliert – die Geschäftstätigkeit vorwiegend im Ausland stattfindet. In dem Fall allerdings ganz schlecht: Eine Briefkastenfirma in der Schweiz ohne eigene Adresse und ohne eigene Angestellte. Genau das ließe sich allerdings unschwer vermuten, wenn die Adresse der IPGate in der Schweiz identisch wäre mit der IFPI und wenn die Arbeit ausschließlich von IFPI-Angestellten erledigt würde. So, wie es offensichtlich bis 2009 der Fall war, bevor die IFPI eine quasivirtuelle Adressänderung vornahm (und im gleichen Haus verblieb) und gleichzeitig dafür sorgte, dass zwei Arbeitsplätze mehr oder weniger pro forma von der IFPI an die IPGate wechselten. Berichtet hatte darüber Anfang April die Aargauer Zeitung, die damit scheinbar in ein Wespennest stoch; der faktenreiche und mit Dokumenten unterfütterte Artikel verschwand – vorerst, so der Autor – nach kurzer Zeit aus dem Webangebot der Zeitung, nachdem die IFPI sich meldete und Rechtsmittel androhte. So kann es also zugehen in der kleinen Schweizer Musiklandschaft. Beschaulich nennt das niemand mehr.
Augsburg
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