Deutschlands Nordperle ist namensgebend für eine ganze Musikbewegung. Rasmus Engler, Schlagzeuger bei diversen Bands, die in das Raster der Hamburger Schule fallen, möchte die Konstruktion jedoch dekonstruieren.
Musik in Schubladen zwängen, darauf stehen diese Musikjournalisten. Und sobald neue Klänge die altgebackenen Genregrenzen sprengen, werden eben Kästen gezimmert, in die die Bands dann passen. So geschehen in den 90ern mit dem Aufkommen von Kapellen wie Tocotronic, Blumfeld und Die Sterne. Deutschsprachige Texte, intellektueller Anspruch, Gesellschaftskritik oder Befindlichkeiten sind Merkmale der sogenannten Hamburger Schule: Eine Schublade, die vom Autoren Thomas Gross in einem TAZ-Artikel aus der Taufe gehoben wurde. Es folgte der Grand Hotel van Cleef-Zirkus, dessen Künstler nach dem Aus vom legendären Plattenlabel L’Age D’Or die Führungsposition bei den Veröffentlichungen dieses Genres übernahmen. Das jedoch war bereits die zweite Generation der Musiker, die in diesen großen Genre-Eimer geworfen werden.

Die Zucht von “Käfighuhnherzen”, wie sie einst Die Sterne schon besangen, geht jedoch weiter. Fällt die Sprache auf die Indierocker von Herrenmagazin, ist gern mal von “den Enkeln der Hamburger Schule” die Rede. Rasmus Engler, der zusammen mit Jan Müller von Tocotronic und Alex Tsitsigias von Schrottgrenze bei Das Bierbeben spielt, fühlt sich damit merklich unwohl. In einem Interview mit seiner Band Herrenmagazin beschreibt er, warum diese Schublade großer Blödsinn ist.

Tocotronic – “Ich bin neu in der Hamburger Schule”


Rasmus Engler über GHvC-Gedöhns und Brechreiz

“Uns als Enkel der Hamburger Schule zu bezeichnen, ist die Rekonstrukution einer Konstruktion. Alle Leute, die früher zu dieser gezählt wurden, haben ja schon das Kotzen bekommen, wenn sie den Begriff zu hören bekamen. Er wurde von irgendwelchen Journalisten ins Leben gerufen. DIE Hamburger Schule gab es doch nie. Das war wohl ein kleiner Scherz, der sich auf die Frankfurter Schule bezog. Aber selbst Adorno und Co. haben wahrscheinlich auch schon über den Begriff abgekotzt. Und irgendwie führt man das weiter, was die gemacht haben: In einer Kneipe rumsitzen und sich zufällig zu kennen. Aber wenn man das, was damals unter diesem Begriff lief, heute aus der historischen Sicht betrachtet, muss man einfach feststellen, dass es da überhaupt keine Konsistenz gibt. Beispielsweise sind die musikalischen Wurzeln und die Sprache einer Band wie beispielsweise Die Sterne völlig anders als von Tocotronic. Die wiederrum haben überhaupt nichts damit zu tun, was Kolossale Jugend oder Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs gemacht haben. Unabhängig davon, dass das alles zufällig aus St. Pauli kam – vielleicht hat ja jemand auch in Bahrenfeld oder sogar Farmsen gewohnt – haben die Hamburger Schule-Bands auf einer ästhetischen Ebene überhaupt nichts miteinander zu tun. Genau wie die zweite Generation, das GHvC–Gedöhns. Niemand kann mir erzählen, Kettcar klinge wie Tomte! Die Wurzeln und die musikalische Sprache sind eine ganz andere.”

Einwurf von Deniz (Herrenmagazin)

“Und jetzt wiederum kann mir niemand erzählen, dass Herrenmagazin wie Tocotronic klingt.”

Engler über Kölner Schule und Berlin: Alles Blödsinn.

“Jetzt gibt es nämlich diese Rückbezüge, die hergestellt werden: Aber eigentlich sind die völliger Quatsch. Warum sagt denn niemand: ‘Herrenmagazin ist so richtig typisch Kölner Schule. Die klingen wie Erdmöbel.’ Oder auch: ‘Ach nein, das ist total Berliner Schule, die klingen alle wie Mutter und Element of Crime und wie Einstürzende Neubauten und und und.’ Verstehste? Unter rein ästhetischen Gesichtspunkten ist das alles Blödsinn. Das Einzige, was damals wie heute die Fäden zusammengewoben hat, ist einfach zufällig die Herkunft. Was uns heute mit den Sternen verbindet, oder mit den Fotos oder mit 1000 Robota oder Kotzbrocken ist NICHTS, außer dass man zufällig Tresenkraft in der gleichen Kneipe ist.”

Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs – “Von Haus aus allein”

König, Gitarrist von Herrenmagazin, entschäft: “Aber wenn diese Kategorisierung manchen Leuten tatsächlich hilft, einen Bezug zu solcher Musik zu bekommen oder dadurch einen Bezug zu uns zu bekommen, ist das doch völlig in Ordnung.”

Rasmus über Parallelitäten: “Die Leute brauchen eine Zuordung. So wie Musikjournalisten, die rezipieren und beschreiben, ihr Kästchen brauchen. So wie der Bäcker sein Brot irgendwo hineinschieben muss, muss ja auch der Kunde, der sein Brötchen irgendwo herausnimmt, dasselbe System haben. Von daher darf man sich darüber auch nicht echauffieren, obwohl das einfach nur Quatsch ist.”

Herrenmagazin ist eine Indierock-Band aus Hamburg, ihr zweites Album “Das wird alles einmal dir gehören“ kam Anfang September des letzten Jahres in die Läden. Die Platte wurde live eingespielt und klingt somit rumpeliger als das Debüt “Atzelgift“ aus dem Jahre 2008. Für den Januar und Februar haben sich die Jungs einen eng gestrickten Tourplan gesteckt. Was sie zu ihrer “Reise in den Ruin” zu sagen haben, lest ihr »hier im motor.de-Interview.

Julia Kindel
& Christine Pötzsch