Hinter der Sonnenallee geht’s weiter – bergab. Über Udo Lindenbergs Musical, Rock für den Frieden und die Jugend hinter der Mauer. 

Ich komm mal eben nach Ostberlin! (Bild: Eventpress/Stage)

Klar, es muss ein goldener Trabi sein, mit dem Udo zur Premiere vorgefahren wird, wenn schon alle Ost-Klischees durchgeheizt werden, dann auch dies noch. Es gibt also seit dieser Woche ein Musical über die Mauer und über Udo Lindenberg, selbstredend in Berlin, der Stadt der Mauer und des jetzt radikal geschleiften Palastes der Republik, in dem in den Achtzigern regelmäßig gerockt wurde. Einmal im Jahr zumindest, „Rock für den Frieden“, darunter ging es nicht in den Achtzigern und schon gar nicht in der DDR, schließlich hatten die Ostrocker ihren Anteil am Weltfrieden und dem Sieg des Sozialismus zu leisten. Es war ein – auch für reguläre Verhältnisse durchaus beachtliches – Festival, ein Großevent im offiziellen Kulturkalender. Und es war – so lässt es sich heutzutage gerade wieder überall nachlesen – der Ort des einzigen Auftritts von Udo Lindenberg im Osten. Fast könnte man meinen, dass doch nicht David Hasselhoff die Mauer bezwungen hätte, sondern „der kleine Udo“.

Blau, blau, blau blüht … die FDJ-Schönheit! (Bild: stage/eventpress)

Man sollte von einem Musical sicher nicht gerade historische Korrektheit verlangen, eine irgendwie realistische Story oder auch nur so etwas wie gute Musik. Die Stasi besteht hier aus dämlichen Schlapphüten, Ostler schlurfen durch die graue Welt, während Westler flanieren und natürlich liefert Udo den geilen Soundtrack für ein freieres Leben. Aber es geht hier ja nicht nur um ein Musical, sondern um das Geamtkunstwerk Udo Lindenberg, bei dem man, wenn man ihn im Fernsehen sieht, zunehmend so eine Art Donatella-Versace-Effekt verspürt, eine Mischung aus Befremdung, Faszination und Mitleid. Udo jedenfalls schickt sich jetzt auch noch an, die Deutungshoheit über die DDR-Historie – oder genauer: über das Lebensgefühl einer Jugend in der DDR – zu übernehmen. Und während mit ihm mangels „Oberindianer Erich“ Hans-Dietrich Genscher, Gregor Gysi und Lothar De Maiziere in Erinnerungen schwelgen, schiebt die ARD gleich noch eine passende Doku über den Sender. Der allgegenwärtige Subtext: Udo war eben auch im Osten Kult, weil er frech war und sich auch mal was traute, sogar Erich Honecker anpinkelte mit seinem „Sonderzug nach Pankow“ und letztendlich sogar noch zu seinem Auftritt gelangte. Bei dem – auch das wird gerade immer wieder kolportiert – gab es dramatische Szenen, weil die eigentlichen Fans gar nicht hinein durften und draußen für einen Volksauflauf sorgten, was wiederum als Mauerfall-Generalprobe stilisiert wird.

Die Realität ist deutlich weniger dramatisch und vor allem auch weniger Udo-zentriert. Es gab schlicht immer einen Auflauf, wenn sich ein Weststar blicken ließ, das „echte“ Publikum war immer mehrheitlich vor der Tür – was sich schon damit erklären ließ, dass Tickets im Regelfall über die FDJ verteilt wurden – und um von der Staatsmacht ins Visier genommen zu werden, waren ein Iro oder eine „Kutte“ weitaus hilfreicher als eine Lederjacke. Ob eine lange geplante Tour stattfand oder nicht, war nicht nur im Fall Lindenberg ein Roulette. Udo Lindenberg hatte in der Tat eine Menge Fans, geschätzt wurde er aber vor allem auch von den „offiziellen Stellen“, schließlich gab es schon 1982 eine Amiga-Platte. Denn eigentlich passte Udo Lindenberg sogar ganz gut ins DDR-Kultur-Konzept mit seinem „Wozu sind Kriege da?“ und einer „Panik“-Attitude, deren „Andrea Doria“-Unverbindlichkeit bestens mit der verschwurbelten Ostrock-Poesie korrespondierte, mit der sich die führenden Songschreiber im Osten ganz gut eingerichtet hatten. Der eigentliche musikalische Stand der Dinge war aber selbst in der offiziellen Ostrock-Szene schon lange ein anderer, da brauchte es schon etwas derart Plumpes für die Aufmerksamkeit, wie einen „Sonderzug nach Pankow“, den Drittaufguss eines Swing-Klassikers mit einem derart peinlichen Text, dass er nur den kulturell eher Unbedarften kein Fremdschämen vermittelte.

Bei der Stasi da war’s lustig, bei der Stasi, da war’s schön! (Bild: Brinkhoff/Mögenburg)

Mit der eigentlichen Musikszene hatte all das nur noch ganz am Rande zu tun, bei den „Stinos“, die eh kein Mensch abkonnte, egal, ob man sich als Popper, Punk oder Blueser begriff (womit die eigentlich relevanten Tendenzen im Wesentlichen auch abgedeckt sind). Es ist in etlichen Büchern recht gut dokumentiert, wie Partei, Polizei und Stasi versuchten, die Massen an Problemjugendlichen wenigstens ein Stück weit im Zaum zu halten, ständig mussten im Verlaufe der Achtziger die Zügel gelockert werden, wurden Freiräume erkämpft, die sich weit abseits des Palastes der Republik abspielten. Einen Udo Lindenberg brauchte es dazu bestimmt nicht. Trefflich ließe sich heute an seinem Beispiel darüber diskutieren, wie ambivalent der Umgang mit den DDR-Oberen gewesen ist. Auch heute scheint keine eindeutige Antwort auf die Frage möglich, wer letztendlich wen über den Tisch gezogen hat, ob der Altrocker das System überlistet hat, das ihm ja nie wirklich gefährlich werden konnte – oder ob er sich von der DDR-Politik instrumentalisieren ließ. Wobei man gleich anmerken muss, dass er damit nicht alleine stand, und dass es sowieso ein für eindimensionale Vorwürfe untaugliches Sujet ist. Umso ärgerlicher ist angesichts dessen die inzwischen vorherrschende Sonnenallee-isierung der Erinnerung, in die sich „Hinterm Horizont“ naht- und bedenkenlos einreiht. Immerhin, es ist nur ein Musical und der Premiere-Hype ist durch. Aber Leander Haußmann steht bestimmt schon bereit für den Film. Der nervt dann noch mehr.

Augsburg