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Hans Unstern richtet sich ein, auf dem Schrottplatz, den wir Leben nennen. Und er singt Gedichte für die verlorenen Seelen.
In Zeiten wie diesen gilt es bei Menschen, die mit Punkrock und Hardcore sozialisiert wurden, als chic, sich irgendwann einen Bart wuchern und das Haupthaar verfetten zu lassen, um dann eine Wiedergeburt als mit Whiskey getaufter und von unbestimmtem Heimweh geplagter Alternative-Country-Troubadour zu feiern. Vollbart und zauselige Frisur grüßen auch vom Umschlagbild des Debütalbums von Hans Unstern. Doch der erste Eindruck ist in vielerlei Hinsicht irreführend.
Hans Unstern gibt sich einigermaßen geheimnisvoll, hält sich bedeckt, was die eigene Person und besonders Vergangenheit betrifft. 2005 war er auf Europas Boulevards und Abwegen treffen, denn er spielte sich als Straßenmusiker durch den halben Kontinent. Auch die Songs seines Debütalbums “Kratz Dich Raus” haben dort ihren Ursprung, entstanden unter anderem auf Fährfahrten zwischen Calais und Dover und anderen Knotenpunkten Europas.
Der Albumtitel, so erzählte er dem Onlinefanzine “Kabelblume” übrigens, sei ihm nach der Lektüre eines Buches eingefallen, dessen Protagonist “Hans Schnier” heißt – das wäre dann wohl Heinrich Bölls “Ansichten eines Clowns”. Und damit wären wir dann wohl auch bei dem, was Hans Unstern so an- und umtreibt, und seine Musik und vor allem seine Texte beeinflusst.
Nach etwa einer Minute Knattern, Flirren und Flittern präsentiert sich Unstern gleich mit dem Anfangs-Song “Anglet” als rastloser Poet, der sich seine Klänge, ähnlich wie vielleicht Tom Waits oder manchmal auch Radiohead oder Björk, aus den scheinbaren Un- und Zufällen einer “üblichen” Musikproduktion zusammenklöppelt, dabei aber doch genau weiß, was er tut. Begleitet von dissonanten und doch irgendwie eingängigen Sounds rezitiert Unstern Texte, die eher Gedichte und Gedankenskizzen sind als “normale” Song-Lyrics. Deren Darbietung erinnert ein wenig an Schorsch Kamerun von den Goldenen Zitronen, jedoch ohne den expliziten und vordergründigen politischen Anspruch. Stattdessen nimmt uns Hans Unstern mit in den Strudel seiner Gedanken und Grübeleien.
Die acht Songs von “Kratz Dich Raus” sind wie ein ausgedehnter Spaziergang samt Zwiegespräch mit einem introvertierten und doch gesprächigen, zweifelnden und doch hoffnungsvollen, irritierenden und doch interessanten Freund, der am Elend der Menschheit im Allgemeinen und Besonderen zu zerbrechen droht, und dennoch die Schönheiten des Gewöhnlichen und Abseitigen erkennt – und der Frau im Mond, den symbiotischen Ratten und den verpassten Chancen ihre verdienten Lieder singt.
Stephan Behrens
VÖ: 16.04.2010
Label: Staatsakt
Tracklist:
01. Anglet
02. Endlos Endlos
03. Interlude
04. Paris
05. Flecken
06. Tief Unter Der Elbe
07. San Simon
08. Ein Coversong
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