Andy Butler ist der Paradiesvogel unter den House-Birds, sein Kollektiv Hercules And Love Affair ein Magnet für eine internationale Künstlerschar. motor.de sprach mit dem Neu-Wiener über seinen DJ Kicks-Mix, Nostalgie und das kommende Album von Hercules And Love Affair. 

Was tun wir unterbezahlten Musikjournalisten nicht alles, um ein gutes Interview zu bekommen. Die einfachste Taktik: dem Künstler ein Geschenk überreichen, am besten bevor das Gespräch gerade so richtig beginnt, mit einer nonchalanten Geste, versteht sich. Das zeigt Zuneigung und – nun ja – ist bewusste Schleimerei. Sie wirkt. Andy Butler ist beileibe kein unbeschriebenes Blatt mehr im Dance-Kosmos. Der Gründervater des Kollektivs Hercules And Love Affair ist, um freundlich zu bleiben, ein Paradiesvogel. Noch mehr: ein Frühentwickler. Bereits in jungen Jahren lernt er sich selbst in Dance Music zu verlieren, ist für seine Drogenerfahrungen bekannt (einige Youtube-Videos dürfen hier durchaus als Quelle herhalten) und auch sein eigener Promoter wurde vor einem eventuell zickigen Verhalten am Interview-Tag gewarnt.

Selbstverständlich alles Quatsch. Andy ist an einem wunderschönen Herbsttag Ende September gut gelaunt. Über die Live-DVD von Kid Kreole & The Coconuts freut er sich, kommt sofort ins Quatschen: “Ich bin wirklich großer Fan. Als ich 22 war, habe ich sie live im Central Park gesehen. Es war die beste Live-Show, der ich jemals beiwohnen konnte. Die Musik ist so ansteckend, so voller Energie. Alle im Publikum haben getanzt, ob jung oder alt, alle hatten ihren Spaß. Ich denke, das ist dann wohl der Inbegriff eines guten Konzerts”, sagt er, während er gebannt auf das Mitbringsel starrt. Aufgenommen wurde das Konzert in Essen. Essen? “Die Stadt hat eine sehr bunte und enthusiastische Dance-Szene. Ich war in diesem Club, High Shanghai, der wurde sogar mal im Spiegel gefeatured. Viele Trans-Gender-People dort, viele Straight-Gays, und die DJs fühlen sich immer gut aufgehoben, eine tolle Erfahrung.”

Ein Fachmann bleibt eben ein Fachmann. Es macht Spaß mit Andy zu plaudern. Der Anlass unseres Zusammentreffens ist sein jüngster DJ Kicks-Mix, der am vergangenen Freitag via !k7 Records veröffentlicht wurde. Es ist ein schillerndes House-Potpourri mit allerlei Abarten, die am besten nicht en Detail aufgedröselt werden, sonst muss ich mich beim kommenden Plattenabend mit meinen Freunden abermals als Nerd beschimpfen lassen. Ein Gespräch über House Music, Retromanie und Nostalgie sowie das kommende Hercules And Love Affair-Album. Und ja, das wäre natürlich auch ohne Geschenk lesenswert geworden, na und.

motor.de: Das Debüt von Hercules And Love Affair war deine Hommage an die Disco-Ära der 70er-Jahre. “Blue Songs“, der Nachfolger von 2011, war quasi die Emanzipation von Disco und legte deine House-Liebe offen. Was ist der DJ-Kicks-Mix?

Andy Butler: Ich denke, dass es eine Möglichkeit ist, den Leuten zu erzählen, woher ich komme, und das auf einer sehr direkten Ebene, das sind meine eigenen Erfahrungen in den Clubs. Musik, die ich gehört habe, als ich jung war. Unser Debüt war wirklich der Ausdruck meiner Passion, die ich als 18-Jähriger für Disco hatte. Dabei war ich gar nicht geboren für Disco Music, es war auch kein Gedanke oder Plan, jemals diesen Weg einzuschlagen.

motor.de: Was war dein spezieller Aha-Moment, quasi deine Disco-Offenbarung?

Andy Butler: Das war eine Produktion eines Belgischen Projekts mit dem Namen Technotronic. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich die Weltpremiere des Songs “Pump Up The Jam” auf Club MTV gesehen habe. Und auf dem Weg zum Bus habe ich die ganze Zeit den Song gesungen (lacht). Das war mein erster Kontakt mit Dance Music, mit dreizehn oder vierzehn Jahren war ich dann auch auf meiner ersten Warehouse-Party.

Technotronic – “Pump Up The Jam” 

motor.de: Mit Künstlern wie Klubb Kidz, Rhythm Mode:D oder Victor Simonelli hast du viele Produktionen aus den späten 80ern, frühen 90er Jahren herausgepickt für deinen DJ-Kicks-Mix. Ich weiß, die ewige Retrodebatte, aber was bedeutet für dich Nostalgie im 21. Jahrhundert?

Andy Butler: Ich habe keine Sehnsucht nach dieser Zeit oder möchte etwa in diese Zeit zurückzukehren. Ich denke, es geht mehr darum, dass viele alte Sachen unglaublich modern klingen, immer noch sehr angesagt sind für die heutige Zeit. Es fühlt sich, darum geht es, es fühlt sich an, als wären die Sachen erst heute gemacht worden. Gerade die Drums dieser alten Platten sind ja auch heute noch gegenwärtig, im Hip Hop oder auch im Dubstep.

motor.de: Gerade der frühe Deep House scheint auch wieder en vogue zu sein, er ist wieder richtig frisch und blüht auf – eine Idee, warum?

Andy Butler: Stimmt schon (Überlegt). Wenn ich raten müsste, dann würde ich das auf die Instrumentierung schieben. Die Organ-Sounds oder die Rhythmen sind halt immer noch faszinierend, I guess. Alte Klänge sind sexy.

motor.de: Würdest du dich denn als retro bezeichnen?

Andy Butler: Ich weiß nicht, das ist schwer zu sagen. Ich bin wirklich interessiert an dem klassischen Scheiß. Was ich tue ist ja auch eine Art Analyse der good old days. Durch ihren Einsatz transformiere ich das Ganze, um zeitgenössische Musik zu machen. Bei Hercules And Love Affair nehme ich ja Menschen hinzu, die eher abseits von Dance Music aufgefallen sind, Sänger und Künstler, die vorher nicht viel damit zu tun hatten. Es plagt mich auch nicht, Referenzen auszuweisen, oder dass ich von der Vergangenheit inspiriert werde. Leute, die das kritisieren, sind wohl diejenigen, die nicht in der Position sind, ein kreatives Individuum zu sein.

motor.de: Wenn ich mir deinen iPod angucken würde, findet sich dort aber sicherlich nicht nur Dance Music, oder?

Andy Butler: Natürlich nicht (schmunzelt), da wirst du mürrischen Death Metal hören, oder auch wilden Industrial. Aber ich mag auch Ambient und futuristische Musik. Allgemein ist es mir immer wichtig, dass Musik emotional ist, das ist wohl das verbindende Element aller Sachen, die mich interessieren.

motor.de: Gerade wenn du Metal oder Industrial ansprichst, dann sehe ich meine Vermutung bestätigt, dass du immer schon ein großer Freund von derben, rohen und ungeschliffenen Sounds warst. Kommt daher auch deine Faszination und Leidenschaft für House, denn auf der Compilation findet sich das genau diese direkte Form der Musik, wie etwa bei meinem Favoriten: DJ Dukes presents Freedom mit “Love Don’t Come Easy” im Power Dub-Mix.

Andy Butler: Klar. Weißt du, als ich von Denver nach New York gezogen bin, habe ich angefangen Musik richtig zu studieren. Die Leute haben damals House richtiggehend wie Dreck behandelt, ihn als zu illegetim, zu cheesy, zu simpel abgetan. House-Artists haben aus einem Satz ein komplettes Stück gemacht, immer wiederholend, so dass es zu einem Mantra wird. Am Ende von DJ Dukes “Love Don’t Come Easy” gibt es eine unglaubliche Vocal-Performance, fast schon Gospel. Es gibt also eine spirituelle Komponente, die mich an House fasziniert. Außerdem ist House nicht diese überproduzierte Musik, sondern zumeist mit sehr wenig Budget produziert, das macht seinen ganz besonderen Charme aus.

DJ Duke presents Freedom – “Love Don’t Come Easy” 

motor.de: Gerade der Equipment-Aspekt liegt dir ja auch am Herzen, denn der Mix zeigt auch, dass du ein großer Freund der analogen Technik bist.

Andy Butler: Hoch digitale, computerisierte Musik, die auf Software basiert, entfernt sich vom Hörer. Die Computer sprechen, aber weniger der Mensch. Es ist sehr wichtig, dass man den Menschen hinter der Maschine hört, der die Maschine manipuliert. Frühe House Music tut das wirklich wunderbar, gerade weil es da noch um eine experimentelle Phase ging, die heute nicht mehr wirklich existiert. Die 303 zum Beispiel, sie wurde von einer japanischen Firma hergestellt, um einen Musiker mit allem auszustatten, um eine komplette Show alleine zu spielen.

motor.de: Die Erfindung der One-Man-Band.

Andy Butler: Exakt. Alle diese Gerätschaften wurden aber von Musikern eher wenig benutzt, es haben sich die jungen Produzenten aus Chicago drauf gestürzt, die sich auf diese billigen, damals waren sie billig, Maschinen geschmissen haben. Repetition und Vocals, that’s it. Ein Großteil der Vokalisten aus der frühen House-Zeit würden bei American Idol sicherlich nicht in den Recall kommen (lacht). Sie würden rausgeschmissen, weil sie nicht stupide die Töne treffen. Aber was sie dafür haben, ist ein unglaublicher Sinn für Emotion.

motor.de: Lass uns ein wenig über Hercules And Love Affair sprechen. Als ich euch das letzte Mal gesehen habe, stand da eine komplett neue Crew auf der Bühne im Berghain. Ist denn ein neues Album mit dieser Live-Besetzung geplant?

Andy Butler: Ja, wir sind gerade im Prozess. Die Damen und Herren, mit denen ich auf Tour war und die du im Berghain gesehen hast, werden auch auf der neuen Platte zu hören sein. Gustav zum Beispiel, er kommt aus Belgien. Er hat eine wahnsinnig tolle Stimme. Die Belgier sind ohnehin verrückt, die sind große Freunde von Industrial, House und Acid-Geschichten. Gustav singt diese Sachen bereits seit dem er klein ist, er hat die perfekte Stimme für Hercules And Love Affair. Außerdem ist noch ein Gospel-Vokalist aus Paris auf der neuen Platte.

motor.de: Weil du es vorhin angesprochen hast, sind noch andere Künstler dabei, die nicht aus einem Dance-Background kommen?

Andy Butler: Ja, zum Beispiel John Grant. Er ist ein Singer/Songwriter, früher war er in der Band The Czars. Der Typ hat ein wirklich famoses Jahr 2011 hinter sich, der Mojo hat sein Album “Queen Of Denmark” zur besten Platte auserkoren. Er hat ein großes Faible für House Music, auch wenn er vorher nie wirklich in dem Metier unterwegs war. Außerdem habe ich noch mit Krystle Warren gearbeitet, ohne Scheiß, die Frau ist derzeit die beste Sängerin auf dem Planten.

Krystle Warren – “Circles” (Live @ Jools Holland)

motor.de: Möchtest du schon über die Idee hinter dem neuen Album sprechen? Wenn wir der Entwicklungslinie weitergehen, wäre die logische Weiterentwicklung nach Disco und House, doch nun der 90er-Jahre-Boyband-Sound, oder?

Andy Butler: (lacht) Ja, oder vielleicht eher noch ein Country- oder Metal-Album. Textlich wird das Album wieder provokativer sein, es gibt einige ziemlich starke Messages. Ich denke es wird auch mehr meine direkte Beziehung mit der Musik widerspiegeln, natürlich ist es mehr 90ies, aber wird gleichzeitig einen ziemlich bangenden Electronic-Dance-Sound haben, aber im klassischen Sinne.

motor.de: Glaubst du denn, dass du dir etwas beweisen musst mit dem kommenden Langspieler? Albert Koch vom Musikexpress hat einst geschrieben, dass es dir nicht gelingen wird, die Größe des Debüts nochmals zu erreichen. Denkst du darüber überhaupt nach?

Andy Butler: Nein, tue ich nicht. Ich bewerte meine Musik auch nicht in diesem Kontext. Es geht vielmehr um die Erfahrung mit anderen Künstlern zu arbeiten, das hält alles frisch und aufregend. Der Lernprozess ist unersetzlich, so lerne ich auch immer mehr, ein umgänglicher und sozialer Typ zu sein. Und um auf deine Frage einzugehen: Das neue Album wird definitiv die besten Vocal-Performances von Hercules And Love Affair haben, das kann ich bereits sagen (lacht).

Text, Foto & Interview: Sebastian Weiß 

Hercules & Love Affair – “DJ Kicks” 

VÖ: 26.10.2012

Label: !k7 Records

Tracklist: 

01. Mankind: “Don’t Keep Me Waiting”

02. Rhythm Mode:D: “Can You Feel It (Reach to the Top)”

03. Hercules and Love Affair: “Release Me” *

04. Fax Yourself: “Strut Your Techno Stuff”

05. Klubb Kidz: “Don’t Want to Hurt You (Skool Flava Dub)”

06. Solution: “Feels So Right”

07. DJ Duke Presents Freedom: “Love Don’t Come Easy (Power Dub)”

08. Cloud 9: “Do You Want Me”

09. Mark Imperial: “The Acieed That Ate New York”

10. In Flagranti: “Magojiro”

11. Haze Factory: “A Bit of Redemption” *

12. Fierce Ruling Diva: “Allemaal, Allemaal!”

13. Jump Chico Slamm: “Feel Free”
14. Z.A.M.: “Africa Freedom (Johannesburg Dub Mix)”