Längst haben Here We Go Magic sich in die Herzen der Kritiker gespielt und könnten mit dem neuen Release “A Different Ship” endlich das große Publikum erreichen – warum dem so ist, erfuhr motor.de im Interview mit Frontmann Luke Temple.

(Foto: Christaan Felber) 

Die Geschichte wird er an diesem Tag noch öfter erzählen, betont Luke Temple im Hinterzimmer eines Berliner Cafés im Herzen Kreuzbergs. “Es war so”, holt er pflichtbewusst aus, “im Juni 2010 buchten uns die Verantwortlichen des britischen Glastonbury-Festivals für eine ihrer Bühnen und da es beim Auftritt 11 Uhr morgens war, erwarteten wir prinzipiell niemanden vor unserer Nase. Was bis auf ein paar Ausnahmen auch stimmte – allerdings standen da plötzlich zwei Kapuzen-Shirt tragende Typen, die abgingen, als würde ihre Lieblingsband spielen – der Rest schaute teilnahmslos zu. Also dachten wir uns, spielen wir halt für diese beiden Partypeople und ahnten wirklich nicht, wer sie sind.” Um es kurz zu machen: Thom Yorke und Radiohead-Produzent Nigel Godrich versteckten dort gerade ihre Gesichter und zelebrierten den frühen Morgen auf dem Glastonbury, als schicke der Himmel Here We Go Magic direkt auf Erden.

Als der Gig nach nur 45 Minuten vorbei war, ging Luke Temple Backstage und wurde von einem befreundeten Musiker darüber informiert, dass die diesjährigen Headliner Radiohead am Abend zuvor gegenüber Pressevertretern betont hätten, sie seien beinharte Fans seiner Band und warten nur darauf, dass diese endlich spiele. Für einen Act, der gerade einmal zwei Platten im Gepäck hat und selbst in der New Yorker Heimat in kleineren Clubs auftritt, ein absoluter Ritterschlag – doch die erste Begegnung sollte noch fast ein halbes Jahr dauern, dafür allerdings umso folgenschwerer sein: Immerhin wurde das neue, dritte Here We Go Magic-Album “A Different Ship” von eben jenem Nigel Godrich auf Empfehlung von Thom Yorke hin produziert und zeigt sehr schön, was entstehen kann, wenn eine Band mit exakten Vorstellungen auf einen Produzenten trifft, der ebenso seine Qualitäten besitzt — die deutliche Weiterentwicklung des zuvor oft rau gespielten Post Rocks ist da nur konsequent und passt sich den neuerdings elektronischen Klangräumen perfekt an. Selbst vor dem Wort Pop macht Luke Temple dieser Tage keinen Halt und sprach mit motor.de über Fan-Verehrung, große Herausforderungen und kleine Schritte, die für ihn unabdingbar waren.

motor.de: Hast du aktuell mit Here We Go Magic das Gefühl, es könnte jede Menge auf euch zukommen?

Luke Temple: Faktisch gesehen haben wir ein neues Album mit einem neuen Produzenten aufgenommen und dafür ein wenig Schützenhilfe bekommen, mehr nicht. Zumindest wurde die Info, wir stehen auf Platz Eins der amerikanischen Billboard-Charts, bislang nicht an mich herangetragen – und wird sie wohl auch nach Veröffentlichung von “A Different Ship” nicht.

motor.de: Dein Zweckpessimismus in allen Ehren, aber die Hörerschaft wird zunehmen, wenn Radiohead die Werbetrommel rühren – oder?

Luke Temple: Ich möchte es so ausdrücken: In all den Jahren, in denen meine Karriere als Musiker praktisch nicht existent war, habe ich von diesem Moment geträumt und nun ist er da. Fühlt sich allerdings nicht so an, als haben wir es geschafft, sondern eher wie: Jetzt geht die Arbeit richtig los!

Here We Go Magic – “How Do I Know”

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motor.de: Damit sprichst du einen guten Punkt an – die ersten Jahre als Musiker schienen eine echte Lehrzeit für dich gewesen zu sein. Deine Mutter musste teilweise Geld zusteuern.

Luke Temple:
Wenn du abends vor 20 Leuten spielst, hast du morgens keine 1.000 Dollar auf der Hand (lacht). Meine Mum war da extrem unterstützend und kramte selbst ihre letzte Kohle für meine Leidenschaft zusammen – egal wie ernüchternd die Konzerte liefen, sie kam nie mit der Idee um die Ecke, ich solle es mit einem klassischen 9 to 5-Job versuchen. Vielmehr glaubte sie an mich und manchmal zahlt sich das eben aus.

motor.de: Anfänglich wurdest du oft in der Freak-Folk-Ecke verortet – erst mit deiner Band Here We Go Magic änderte sich der Sound. Warum war diese Neuorientierung Solo nicht möglich?

Luke Temple: Weil mir schlicht und ergreifend die Leute dafür fehlten. Als ich in New York ankam und es als Musiker wissen wollte, hing ich viel in den einschlägigen Kreisen rund um The Moldy Peaches ab – das prägte und als ich dann mitbekam, dass deren Sänger Adam Green durch die Decke ging, kam mir natürlich der Gedanke: Wenn der das schafft, kann ich das auch!

motor.de: Die ersten beiden Here We Go Magic-Alben waren stark vom Post-Rock geprägt und experimentierten mehr mit Instrumenten als mit Elektronik – “A Different Ship” geht da anders vor. Eine Art zweiter Frühling für dich?

Luke Temple: (schüttelt lächelnd den Kopf) Nigel war ein wichtiger Einfluss. Als Produzent ist er sehr darauf bedacht, dass deine Vorstellung am Ende in der Musik wiederzufinden ist und nicht seine eigene Produktion im Mittelpunkt steht. Nach ein paar Warm-Ups kam er auf mich zu und fragte, warum mein Experimentierdrang sich allein auf Instrumente beschränkt und ich keine Lust habe, die Möglichkeiten zu erweitern – er hatte recht.

motor.de: Wie konntet ihr euch Nigel Godrich finanziell überhaupt leisten? Immerhin hat er bereits mit Paul McCartney gearbeitet und ist Stammproduzent von Radiohead.

Luke Temple: Ich beneide ihn dafür, denn wenn du einen solchen Status erreicht hast, kannst du dir einfach aussuchen welche Sachen du machen willst und welche nicht. Die Produktion für “A Different Ship” kostete kaum mehr als für die vorangegangenen Alben und wenn es ihm um Geld gegangen wäre: Vor seiner Studiotür stehen Acts wie Bon Jovi oder Dave Matthew Schlange und die haben ihre Rucksäcke voll damit.

Here We Go Magic – “Make Up Your Mind”

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motor.de: Der erste Clip zu “A Different Ship” namens “Make Up Your Mind” sorgt derweil für einige Diskussionen in den Blogs: Eine Mischung aus Voodoo-Zauber, Erotik und Kontrollverlust wird dort zelebriert.

Luke Temple: Ich spiele in dem Video eine Art dunkles Unterbewusstsein, das dafür sorgt, dass die Menschen die Kontrolle über ihren Körper verlieren. Es ist eine sehr explizite Darstellung und doch schien sie für mich zu passen (fährt sich mit der Hand übers Gesicht). Ich meine, heutzutage drehst du doch eigentlich nur noch fürs Internet und da ergeben sich neue Möglichkeiten – im Fernsehen würde das Ding nur nachts laufen, sofort wäre der “Ab 16”-Stempel drauf.

motor.de: Zusammengenommen wirkt das alles sehr konzeptionell – bist du jemand, der bis zum kleinsten Pressefoto alles genauestens im Kopf hat, wenn es an ein neues Album für Here We Go Magic geht?

Luke Temple: Ganz im Gegenteil! Als wir im Studio ankamen, hatten wir vielleicht zwei Songs dabei, die später auch auf “A Different Ship” landeten – alles Weitere ergab sich im Laufe der Zeit und durch Zufall. Mir ist allerdings schon wichtig, dass zwischen den einzelnen Medien wie Platte und Bewegbild keine allzu große Lücke entsteht. Denn jeder, der zuerst das Video sieht und sich dann die Platte besorgt, soll das Gefühl bekommen, das eine entspricht dem anderen.

motor.de: Im letzten Jahr erschien ein Soloalbum von dir – was viele verwunderte, denn eigentlich sind Here We Go Magic seit Jahren dein kreativer Dreh- und Angelpunkt. Darf man da demnächst mehr erwarten?

Luke Temple: Ich hätte nie gedacht, dass das jemand mitbekommt und habe auch keine Interviews gegeben oder Promotion dafür gemacht. Die Songs lagen noch aus alten Zeiten bei mir herum und haben mich förmlich angefleht, veröffentlichen zu werden. Das ist kein zweiter Versuch gewesen – ich habe damit eher ein Kapitel geschlossen, um ein ganz großes mit Here We Go Magic aufzumachen. Zumindest wenn man euch Journalisten derzeit glauben darf, kommt da ja einiges auf uns zu.

Text + Interview: Marcus Willfroth
Foto: Gregory Mitnick