Wir treffen uns mit Highasakite vor ihrem Auftritt bei der Label Night ihrer Deutschen Plattenfirma, Four Music, auf einer Dachterasse im schönsten Kreuzberg von Berlin.

Unten große Kreuzungen, großer Lärm. Hier oben Stille und eine Band, die sich soundtechnisch dem Trubel eher abwendet. Denkt man an Norwegen, denkt man an schöne reiche Menschen, das Land, in das Klemptner auswandern, weil sie hier noch gut verdienen können und vor allem: unendliche Weite, Natur, die eine Freiheit erahnen lässt, wie es uns noch nicht einmal der Blick der Dachterasse hier über Berlin ermöglicht. 

Die musikalische Versinnbildlichung davon ist das fünf-köpfige Osloer Kollektiv Highasakite. Traditionellere Instrumente wie die Harfe, die die Bildgewalt der Natur seid Jahrhunderten über die Berge fliegen lassen, verbinden sich mit modernen und poppigen Gitarren und Synths zum Sound der Weite. Klassische Indie-Ideen also. Match made in heaven mit motor.de also ebenfalls. 
Highasakite sind in ihrer Heimat Norwegen bereits Charts-Spitzenreiter und haben vor, das mit ihrem jetzt erscheinenden Debütalbum international auszuweiten. 

Silent Treatment. "Mit Schweigen strafen" ist der Titel ihres internationalen Debüts. Was passiert, wenn die rosarote Brille mit den guten Vasen an die Wände geschmissen wurde und statt Liebesschwüren Verfluchungen gemurmelt werden, verraten Highasakite in ihren Songs. Die Geschichten dahinter verraten sie (minus Marte Eberson, heute auf Hochzeitsreise, aber sonst verantwortlich für die Synthesizer) uns im Interview:

motor.de: An euren Handgelenken kann ich’s schon sehen: Ihr wart dieses Jahr auf einigen Festivals. Dem Appletree Garden Festival zum Beispiel. Auf eurer Facebook-Page habe ich mitbekommen, dass auf dem Flug zum Festival euer gesamtes Equipment verloren gegangen ist. Das muss erstmal eine Scheiß-Situation gewesen sein. 

Oystein Skar (Schlagzeug): Das beschreibt’s ganz gut. Wir sind ja wirklich auf das gesamte Equipment angewiesen, um das ganze Ding zum Laufen zu bringen. 

Kristoffer Lo (Horn, Gitarre): Im Grunde haben wir auch das wirklich Wichtige verloren. Wir haben dann versucht, für zwanzig Minuten eine Show zu machen. Das war so… alles was wir machen konnten. 20 Minuten, ein paar Songs – mehr war ohne das Equipment nicht zu machen. “Keine weiteren Songs, 20 Minuten Show. Sorry.”

Ein bisschen weniger Equipment, aber trotzdem gute Show: Highasakite beim Appletree Garden Festival. (Foto: motor.de)

motor.de: Was ist der erste Gedanke, der einem in den Kopf springt, wenn man am Flughafen steht und die Leute euch sagen: “Äh, nun ja, wir haben euer gesamtes Zeug verloren.”

Kristoffer: Normalerweise: Lachen. Das ist doch einfach zum Totlachen. 

Oystein: Eher: “Wir müssen alles canceln.” Da wirst du doch depressiv! Wir arbeiten immer sehr hart, genau das Ergebnis zu bekommen, was wir wollen. Wenn sowas passiert, werden wir in eine sehr schwierige Situation gebracht. 

Motor.de: Wer von euch ist derjenige, der in so einer Situation ruhig bleibt und sagt „Ganz ruhig, ich hab’ ne Idee“?

Trond: In dem Moment war es unser Sound Engineer. Der Rest von uns wurde nur sehr böse und hat sich aufgeregt. 

Oystein (zu Kristoffer): Aber du bist doch voll gut darin, Lösungen zu finden!

Kristoffer: Ich versuch’s zumindest. Ich lass’ mich von solchen Situationen nicht stressen. Du hingegen (zurück zu Oystein) drehst total durch. Irgendwer muss ja was tun (lacht). Aber solche Sachen passieren ständig – du musst sie einfach nur wieder gerade rücken. 

motor.de: Ihr seid jetzt heute hier, weil ihr gute Musik macht. Und in Deutschland bald euer Debütalbum „Silent Treatment“ rausbringt. Am 29.08. genauer gesagt. Was mein Geburtstag ist. Und ich denke immer, dass alle Dinge, die an diesem Tag das Licht der Welt entdecken, ziemlich liebenswert sind. 

„Silent Treatment“ ist in vielen Ländern euer Debütalbum. Wie ist das denn möglich? Ihr habt schließlich schon ein Album davor herausgebracht, stimmt’s?

Kristoffer: Jap. Vor diesem haben wir bereits ein Album in Norwegen rausgebracht. Wir haben uns aber dazu entschieden, „Silent Treatment“ als erstes Album im Rest der Welt zu veröffentlichen. 


Highasakite – Since Last Wednesday on MUZU.TV.

Motor.de: Fühlt es sich für euch auch so an als sei „Silent Treatment“ die Essenz von dem, was Highasakite ist? Und ihr könnt deshalb sagen, dass dass euer erstes „richtiges“ Baby ist?

Ingrid (Gesang und Songwriting): Nein. Als wir anfingen, außerhalb von Norwegen zu arbeiten, war das erste Album schon draußen. Wir wollten es also nicht noch einmal neu veröffentlichen und die ganzen Songs erneut für ein Jahr touren müssen. 

motor.de: Ich hab’ mir das Album bereits angehört und auch bei den Lyrics schön aufgepasst. Müsste ich einen Konzept-Album-Titel festlegen, wäre es wohl „Dorthin gehen, wo andere normalerweise nicht hingehen würden“. Erstens inhaltlich, weil du (Ingrid) von Hiroshima und dem Iran sprichst. Orte, an die Andere aus politischen- oder Sicherheitsgründen nicht reisen würden. Andererseits aber auch China, Portugal, Paraguay – Orte, an die viele Menschen aus praktischen Gründen nicht kommen werden. 

Ingrid: In der Musik beziehe ich mich am liebsten auf Dinge, denen ich nicht nah war. Es geht um das, was auch immer „da draußen“ ist. 

motor.de: Aber auch Songtext-mäßig. In der Popmusik wird versucht, in den Texten so politisch korrekt oder chauvinistisch wie möglich zu sein. Ingrid wiederum singt in „Iran“

It's common news, it's common sense
That I could lose my own two hands
It's common sense, a moral stand
but if I could choose, I'd go to Iran
I'll bring some booze and go on a bender
and I'll befriend a married man

und in "Hiroshima"

Why should I know, why should I care?
That a tiny little thing, like the sun will once will be gone
I'm sure it won't be until long
Besides you and I will both be gone

 Wieso gehst du die Dinge so an?

Ingrid: Ich bin kein großer Fan davon, sich selbst in einem guten Licht dar zu stellen. Ich möchte gerne stehen können, einfach ehrlich, ohne alles glattpoliert zu haben. Weil ich nicht daran glaube, dass andere mich so sehen sollten. Die Sache mit dem Iran ist eher satirisch.

Motor.de: Hab’ ich mir schon gedacht.

Ingrid: Ich will das im Iran ja nicht wirklich machen. Das ist für mich eher eine Art, mich sowohl über die westliche als auch den Rest der Welt lustig zu machen. 

Motor.de: Auf eurer Website habt ihr eure Musik als romantisch beschrieben. Um zu der Sache mit den ungewöhnlichen Wegen zurückzukommen: Speziell bei "I, the Handgranade", hast du die Liebe als nicht so romantisch beschrieben, wie andere Menschen es tun würden – Traumblase, Wolke 7, rosarote Brille etc. Sondern du hast ehrlich ausgedrückt, dass einige Beziehungen scheiße sind. Und dass die Partner manchmal eben nicht das Beste aus einander raus zu holen wissen, sondern sich stattdessen zerstören, verletzen und das Schlechteste aneinander zum Vorschein bringen. Sollte das musikalisch einfach mal gesagt werden? Dass es nicht immer die Große Liebe zwischen allen gibt – auch wenn man es gerne so hätte?

Ingrid: Ich denke, am Beginn einer solchen Beziehung sind die Leute auch immernoch lovebirds. Es kann erst zu Scheiße werden, wenn es vorher etwas Großartiges war. 

motor.de: Da fallen mir einige Beispiele ein, wo’s so herum nicht so läuft. Aber manche Leute sind wohl einfach nicht für einander gemacht. 

Wenn wir aber gerade bei Romantik und auch eurer Art von Musik sind: In eurer Musik finden sich viele klassische und auch Folklore-Elemente wieder. Wenn ihr an euer Kindheit und Jugend in Norwegen zurückdenkt: Was waren die traditionellen norwegischen Lieder die euch die Ganze Zeit beeinflusst und jetzt ihren Weg in eure Musik gefunden haben?

Trond: Mein Großvater hat Akkordeon gespielt. Norwegischer Folklore-Pop und sowas. Ich habe auch früher viel traditionelles norwegisches Zeug gespielt – ich weiß aber nicht, ob man das heute noch in meinem Drumming hört (lacht). Aber ja, ich bin damit aufgewachsen. 

Kristoffer: Ich denke, das hatten wir alle… Traditionelle Musik ist so ein großer Teil von … Wir alle haben lange Zeit Musik studiert. Und da ist es Teil des Curriculums, Traditionelles zu lernen. Wenn wir also auch jetzt keine „Folklore“ spielen ist es definitiv ein Teil von uns. 

motor.de: Wenn ihr die „Seele“ norwegischer Musik in 3 Wörtern beschreiben müsstet, könntet ihr das?

Trond: Hardanger, das ist typisch norwegisch. [Und außerdem eine Region der norwegischen Provinz Hordaland, die genau so aussieht, wie eure stereotypischen Norwegen-Assoziationen: Fjorde, steile Berge, Wasserfälle – wie Caspar David Friedrich sie nicht schöner darstellen könnte; Anm. d. Red.]

Kristoffer: Definitiv die Fiedel.

Oystein: Mir kommt es vor, als wäre "Norwegen" einsam. Ein einsamer Mensch mit einer Fiedel. 

Ingrid: Aber es ist gleichzeitig auch sehr dancey. 

Oystein: Alles einsame Fiddle-Tänzer! (lacht)

Kristoffer: Aber genau wie alle traditionelle Musik wird sie für unterschiedliche Lebensmomente genutzt: Beerdigungen, Hochzeiten, Feiertage. 

motor.de: Wie Kristoffer gerade schon gesagt hat, habt ihr alle Musik studiert. Ihr seid alle gelernte Jazz-Musiker. Wieso wolltet ihr dann in die poppigere Richtung gehen?

Øystein: Wir haben natürlich die ganze Zeit Pop gehört – als Teenager. War ja nicht so, dass wir erst die ganze Zeit Jazz spielten und dann plötzlich entschieden, populäre Musik zu spielen. 

Kristoffer: Wir versuchen, einige Dinge, die wir gelernt haben, in diese Band mit einzubringen. Aber uns ist schon klar, dass wir keine „Fast and Furios“ – Soli spielen. Jazz ist jetzt einfach Teil unserer Bildung und von uns selbst. 

motor.de: Erinnert ihr euch an das erste Mal, dass Musik euch richtig mitgenommen hat und ihr dachtet „Och joa, das ist es vielleicht“?

Øystein: Ich erinner mich sogar sehr gut. Ich hatte dieses kleine Piano-Synthesizier-Ding. Keine Ahnung, wie alt ich war, aber ich war wahnsinnig fasziniert von den Tasten (lacht über sich selbst). Das weiß ich noch genau. Es war Sommer. Summer of ’69!

motor.de: Gut gehalten!

Øystein: Ich hab das Piano immernoch.

Trond: Ich war bei meinem Großvater und er hat mich die Tasten des Akkordeons berühren lassen. Und die haben Töne gemacht! Das fand ich damals ziemlich cool! 

Kristoffer: Ich muss vier oder fünf gewesen sein, ich und meine Familie waren in einem Vergnügungspark in Schweden. Abends waren meine Eltern in einer Bar und ich wollte einfach nicht ins Bett gehen. Also saß ich mit bei meinen Eltern. Da war dieser Klavier-Spieler, er fing an zu spielen und diese wunderschöne Frau sang mit ihm. Ich hab mich dazu gesetzt, zwischen all diese schönen Frauen und zwei Stunden lang den einzigen traditionellen schwedischen Song gesungen, den ich kannte. Das war vermutlich ziemlich nervig. Aber dann war mir klar „So krieg ich Mädchen!“. Nein (lacht). Aber daran erinnere ich mich noch sehr gut. Es hat sehr viel Spaß gemacht.

motor.de: Wenn die Leute dich zwei Stunden lang den gleichen Song haben singen lassen, musst du auch ziemlich gut gewesen sein.

Kristoffer: Wohl eher ziemlich nervig… 

Das Debütalbum der Wahl-Osloer erscheint am 29.08. via Four Music. Ihr könnt es hier kaufen.

Highasakites erste Single "Since Last Wednesday" ist außerdem die Hymne der diesjährigen Berlin Music Week. Zur Feier des Songs könnt ihr ihn euch für kurze Zeit hier gratis herunterladen – oder live am 05.09. im Rahmen des First We Take Berlin Showcase Festivals im Glashaus erleben. 

(Interview: Vera Jakubeit / Foto: Tonje Thilesen)