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Wenn Pop-Musik Spaß und Sinn gleichzeitig stiften kann: Die britischen Synthie-Popper Hot Chip stehen seit Jahren für die Symbiose von tanzbarer Eingängigkeit und intelligenter Pop-Musik. motor.de traf sich kurz vor Veröffentlichung des neuen Albums mit Keyboarder Owen Clarke.
(Foto: Steve Gullick)
Der flüchtige Beobachter könnte meinen, bei so vielen individuellen Charakteren mit nachgesagter Nerdigkeit könnte es öfters zu Komplikationen kommen, doch weit gefehlt: auch nach über einer Dekade im Musik-Business funktionieren die Indietronic-Vorreiter Hot Chip immer noch wie eine gut geölte Maschine, die es schafft bei all den Nebentätigkeiten und Aufgaben abseits der Band eine gewisse Regelmäßigkeit bezüglich ihrer Platten-Veröffentlichungen einzuhalten. Der gewohnte Zwei-Jahres-Rhythmus wird auch bei Album Nummer Fünf eingehalten. Dieses trägt den Titel “In Our Heads” und wird am 8. Juni erscheinen — erstmalig wählte das Quintett dafür das renommierte Label Domino Records.
Man ist bemüht, keine Routine innerhalb jener Band aufkommen zu lassen, welche in den letzten Jahren als eine der meist gelobtesten, souveränsten und innovativsten Bands in der Sparte “Populärmusik” betitelt wurde. Und doch ist eine gewisse Regelmäßigkeit bei den Produktionsabläufen eines neuen Studioalbums unabdingbar — allein schon, da es von Vorteil ist, sich bei den unzähligen Promo-Terminen aufzuspalten. Und während ein Teil der Band an diesem Vormittag in den Niederlanden oder Frankreich die Werbetrommel rühren und Kassengestell-Träger und Frontmann Alexis Taylor im Nebenzimmer weilt, steht uns Keyboarder und Soundtüftler Owen Clarke in der aufgeräumten Küche der Berliner Niederlassung des neuen Labels Rede und Antwort. Noch ist der Tag jung und Clarke in Gesprächslaune. motor.de spricht mit dem findigen Kreativkopf nicht nur über das neue Album und aktuelle Trends in der Popmusik, sondern auch über das — aus seiner Sicht — fast schon symptomatisch schlechte Karma auf vergangenen Deutschland-Tourneen der Gruppe:
motor.de: Euer neues Album erscheint zwei Jahre nach dem letzten. Eigentlich keine Selbstverständlichkeit, da ihr zuletzt alle mit sehr vielen Nebenprojekten beschäftigt ward. Al und Felix haben New Build, Joe The 2 Bears und auch Alex hat diverse Solo-Projekte am Start. Wie habt ihr es da geschafft, die Aufnahmen zur neuen Platte zu organisieren?
Owen: Wir haben da so eine Art natürlichen Kreislauf geschaffen – unsere eigene kleine Welt. Die Aufnahmen dauern meist sechs Monate, dann kommt der Promo-, Tour- und Festivalmarathon, sodass wir am Ende bei rund anderthalb Jahren sind. Dann haben wir in der Regel ein halbes bis ganzes Jahr frei, bevor das Ganze wieder von vorn losgeht. In diesem Zeitraum kann jeder entscheiden, was er mit seinem Leben anfängt. Einige wollen weiterhin Musik machen, manche lieber gar keine oder einfach mal verreisen. Ich hab nicht wirklich viel gemacht, habe primär den Kontakt mit Freunden wieder hergestellt — beispielsweise habe ich meinen Bruder besucht und da etwas Zeit bei ihm verbracht. Ich wollte da einfach mal Zuhause sein.
motor.de: Eure neue Platte “In Our Heads” wirkt etwas euphorischer und positiver als das letzte Werk “One Life Stand“. Fast wie eine deutliches Bekenntnis hin zu mehr Pop. War das auch die ursprüngliche Intention?
Owen: In der Regel haben wir während der Aufnahmen und im Vorfeld gar nicht so viel Intention und Pläne. Bei “One Life Stand” rückte aber in der Tat das Songwriting und die Erzählkraft jedes Liedes stärker in den Vordergrund. Das haben wir in die neue Platte mit hinüber getragen, allerdings gibt es Unterschiede bei der Produktion, welche wirklich etwas druckvoller und, ich sage mal, polierter wirkt – im positiven Sinne.
motor.de: Es wirkt vom Gefühl her auch so, als ob ihr das Album bewusster Richtung Tanzfläche komponiert habt.
Owen: Es ist witzig, dass du das sagst, weil ich da wirklich seit Jahren immer unterschiedliche Einschätzungen höre. Ich kenne auch Leute, die meinten, “One Life Stand” war unser bestes Dance-Album, vielleicht wegen der House-Einflüsse, ich weiß auch nicht. Aber es stimmt schon, der neue Langspieler ist insgesamt etwas griffiger und tougher. Nicht von der Aggression her, sondern vom Klang. Wir haben das etwas gestrafft, würde ich behaupten. Als ob man mit einer Nadel einen Luftballon zersticht, genauso klingt das (lacht).
Hot Chip – “Flutes”
motor.de: Die Platte ist auch euer erstes Album beim renommierten Label Domino Records. Warum habt ihr euch für selbiges entschieden?
Owen: Alexis hat früher in England bei denen gearbeitet, kurz nach seinem Universitätsabschluss – auch, weil er schon immer glühender Fan war. Wir waren ja bei verschiedenen Labels in unserer Karriere – Moshi Moshi, DFA und zuletzt EMI, was auch sehr nützlich war und uns viel ermöglicht hat. Aber mit all den Veränderungen da und in der Musikwelt generell, fühlte sich das immer weniger wie ein angenehmes Zuhause an, auch wegen der personellen und ökonomischen Veränderungen. Wir blieben mit den Leuten von Domino über all die Jahre stets im Kontakt und so hatte sich das ganz natürlich ergeben.
motor.de: Hot Chip steht ja in der Tradition vieler großer Synthie-Bands der Vergangenheit wie New Order und die Pet Shop Boys – in der Hinsicht, dass ihr eingängige und tanzbare Pop-Melodien mit hintersinnigen Texten verbindet. Wie wichtig ist euch die Substanz jener Songs hinter eurem Sound?
Owen: Am wichtigsten ist das natürlich für Joe und Alexis, unsere Haupt-Songschreiber, aber natürlich betrifft uns das alle. Oft beeinflusst der Sound ja den Song, aber in diesem Fall hatten wir die Nummern bereits im Vorfeld als Demos. Die Aufgabe der anderen besteht dann meist daraus, passende Sounds und Melodien beizutragen. Zum Thema Text kann ich nur sagen, dass es da seit jeher unterschiedliche Level der Wahrnehmung von Musik gibt, gerade wenn es um solch tanzbare Pop-Musik geht. Viele achten nicht drauf, einige tun es aber dennoch, was dann immer sehr angenehm ist.
motor.de: Ist es eigentlich schwer, wenn fünf Mitglieder ihre unterschiedlichen Geschmäcker mit einbringen? Habt ihr da eine spezielle Strategie, Entscheidungen zu treffen?
Owen: Also für die Promo-Arbeit wie jetzt ist das ganz praktisch mit dem Aufteilen (lacht). Ansonsten sind wir ja alle aus einer Altersschicht und haben natürlich unterschiedliche Präferenzen, aber nichts, wo wir jetzt so krass aus dem Rahmen fallen würden. Wir haben ja letztendlich auch alle aufgrund unseres Musikgeschmacks zueinander gefunden.
motor.de: Also gibt es niemanden in der Band, der irgendwelche obskuren Vorlieben hat, mit denen er dich zur Weißglut treibt. Zum Beispiel eine ausgeprägte Liebe für Phil Collins?
Owen: (lacht) Ja, ob du es glaubst oder nicht, aber die ist bei uns sogar vorhanden. Während das für Al und Felix, glaube ich, gar nicht in Frage kommt, finden ich und Alexis das beispielweise interessant, besonders Collins Einfluss auf späteren R’n’B. Wobei es da auch Songs gibt, die ich blöd finde und Alexis im Gegenzug richtig gut. Oder halt nur bestimmte Drum-Sounds oder Synthesizer-Melodien. Wir finden dann alle oft Gemeinsamkeiten oder bestimmte Song-Elemente, auf die wir uns einigen können und die wir gut finden.
motor.de: Als ihr 2006 mit eurem Zweitwerk “The Warning” durchgestartet seid, war das ja noch die große Zeit der britischen Indie-Gitarren-Bands, wie Maximo Park oder The Kooks. Doch mittlerweile scheint Elektro-Pop das Maß aller Dinge zu sein und jeder – selbst die ‘alten’ Helden – scheint sich musikalisch dorthin auszurichten. Meint ihr, ihr habt dazu einen Teil beigetragen. Seht ihr euch manchmal vielleicht sogar als Vorreiter dieser Bewegung?
Owen: Wir haben damals Synthesizer benutzt, um uns musikalisch nicht einzugrenzen. Wir wollten uns da nicht nur auf Gitarre und andere konventionelle Instrumente beschränken. Wir waren nie so eine Band für all das, was man als Rock’n’Roll bezeichnet, wir wollten das produzieren, was uns Spaß machte. In London gab es damals bereits eine kleine Szene, die sich diesen Indie-Rock-Standards verwehrte, das hat sicherlich auch Einfluss darauf gehabt, einfach weil wir die Möglichkeit hatten, es auszuleben. Ich nehme an, das fällt unter die Kategorie ‘Zur rechten Zeit am rechten Ort’ (lacht).
motor.de: Wie siehst du die Bewegung im Moment. Gibt es irgendwelche interessanten Künstler im Bereich elektronischer Musik, von denen wir wissen sollten?
Owen: Ach, wir sehen das gar nicht so verbissen mit den Genres. Ich glaube, früher war das zur Abgrenzung vielleicht wichtiger, aber heute ist diese eindeutige Definition überhaupt nicht mehr relevant, ich denke nicht in einem solchen Rahmen. Klar, man assoziiert einzelne Sounds vielleicht mit bestimmten Genres und Künstlern, aber sonst nehme ich Musik gar nicht so wahr. Aber es gibt da schon viele aufregende Sachen. Todd Terje macht zum Beispiel sehr gute Tracks, es gibt dann auch noch eine Band aus Brooklyn namens Friends, die ich sehr gut finde. Und Django Django haben auch ein sehr interessantes Album gemacht. Das sind alles so Sachen, die ich nicht zwanghaft in einer spezielle Richtung verorten würde. Es ist einfach so, wie Popmusik sein sollte – eingängig, sowohl bei der Melodie als auch beim Klang.
Hot Chip – “Night And Day”
motor.de: Zusammen mit Darren Wall warst du in der Vergangenheit in der Regel für das Artwork der Hot Chip Veröffentlichungen zuständig. War das diesmal ebenfalls so?
Owen: Nein, aber es stimmt, wir haben es eine ganze Zeit lang immer gemeinsam gemacht. Aber ich wollte mich diesmal bewusst auf andere Dinge konzentrieren, auch weil das teilweise sehr stressig war, sich neben der Platten-Produktion und der anschließenden Promo-Tour auch noch mit dem Artwork zu beschäftigen. Zwar ist so eine gewisse Kontinuität ganz gut beim Aussehen der Alben, allerdings sollte man so etwas auch nicht aus purer Gewohnheit heraus machen. Und so haben wir neue Leute hinzugeholt. Die Idee für das neue Cover kam aus einem Song vom Album. Ich hatte da ein Kirchenfenster als Inspiration, wenngleich da keine religiöse Aussage dahinter steckt. Ich mag am Ergebnis allerdings diesen abstrakten Gedanken und das sich in die Pentagramme viel hineininterpretieren lässt.
motor.de: Seit Jahren gilt ihr als eine der kurzweiligsten Live-Bands der Welt. Ich erinnere mich mit Freuden an euren Auftritt beim Melt! Festival 2007 zurück, welchen ihr später auch auf die DVD zu “Made In The Dark” gepackt habt. Ein Jahr später lief es an selbiger Stelle allerdings nicht so gut für euch, wenngleich es technische Probleme waren und ihr beispielsweise ohne Monitore spielen musstet. Passiert euch so etwas öfters?
Owen: Ja, es ist witzig, dass du das erwähnst, wir haben wirklich öfters solche Probleme in Deutschland, auch wenn wir hier natürlich viele tolle Konzerte hatten. Aber gerade beim Melt! Festival war das bei mir immer so, dass ich da zwar eine gute Zeit hatte, allerdings nie einen guten Gig (lacht). Bei dem Auftritt von 2007, den du erwähntest, war beispielsweise mein Equipment kaputt. Alle anderen hatten keine Probleme und eine gute Zeit, aber ich bin da den ganzen Auftritt über nie richtig hineingekommen. Und den Auftritt ein Jahr später hab ich eh nicht mehr im Kopf, das verschwimmt dann alles bei mir. Ich weiß nicht mehr, welche Klamotten ich getragen hab, erinnere mich aber an den Kampf mit der Technik. (lacht) Oder an Momente, wenn ich mal mein Keyboard versehentlich ins Publikum geschmissen habe oder mit Wodka auf meinen Synthies herumgekleckert habe – da kommt einiges zusammen. Aber wir freuen uns auf Deutschland und hoffen, dass wir das schlechte Karma auf den Festivals in diesem Jahr besiegen können.
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