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Das Debüt als Lo-Fi-Manifest, eine lange Tour, Orchester-EP, private Schicksalsschläge, eine Dissertation in Philosophie und ein neues Album – zwei Jahre, die für Tom Krell die Welt bedeuteten. motor.de traf den amerikanischen R’n’B-Neudenker.
(Fotos: Andrew Volk)
Im Leben geht es eigentlich andauernd um Veränderungen. Bei Smalltalks über die Dinge, die einem wiederfahren oder selbst zugeführt werden, erreicht man früher oder später immer den Punkt, in Schubladen zu denken. Irgendwann landet man bei der pseudo-weisen Erkenntnis, dass es zwei Sorten von Menschen gibt. In unserem Fall: jene, die sich vor Veränderungen fürchten, weil ihr Sicherheits-zentriertes Leben keinen Wechsel dulden will. Die andern hingegen scheuen das Routinisierte, das Eingefahrene, der Thrill wird zum Prinzip. Tom Krell alias How To Dress Well versucht sich gerade von einem Laster zu befreien: “Willst du mal diese Nikotin-Kaugummis probieren. Du darfst sie aber nicht wie Kaugummi kauen, nur zweimal draufbeißen und dann auf den Zähnen lassen, bis der beißende Geschmack verschwindet.” Krell hat Recht, die kleinen Dragees schmecken ekelhaft. Frei nach Muttern: wer gesund sein will, muss leiden. Lasst uns lieber leiden!
Achtung schlechte Überleitung: Krell weiß, was es heißt, zu leiden. Wer vor zwei Jahren bereits seinem aufwühlenden Debüt “Love Remains” lauschte, der begegnete einem höchst eigenwilligen Sänger, der mit verhuschten Songs Pop und R’n’B neudachte, immer zwischen Unnahbarkeit und Sperrigkeit. Alles wurde übersteuert, wirkte verrauscht und knisterte in kathedraler Eindringlichkeit. Das Rohe und Nackte sieht er immer im Kontrast: “Ich bin kein Geschichtenerzähler wie Perfume Genius oder Mount Eerie. Diese beiden zum Beispiel zeichnen ein Bild von der Welt, sie sind Poet, weil sie ihre Stimme wie einen Pinsel benutzen, der über die Leinwand geführt wird, sehr expressiv.”
In wenigen Tagen erscheint das Zweitwerk “Total Loss” bei dem Alles-Richtig-Mach-Label Domino Records. Mit der zuvor veröffentlichten EP “Just Once” angefangen, fährt der 27-Jährige Philosophiestudent seine Trauerverarbeitung weiter. Die vergangenen zwei Jahre waren für Krell etwas, das man gemeinhin als Schicksalsjahre bezeichnen kann. Doch „Total Loss“ ist kein mitleiderregendes Bad in Wehleidigkeit, es versucht Hoffnung zu schenken, auch in den schwärzesten Stunden Optimismus zuzulassen. Pop, der fordert. Pop, den derzeit niemand derart großartig vertont – songorientierter und schlicht wundervoller. Ein Gespräch über Verlust und Veränderungen.
How To Dress Well – “Ocean Floor For Everything”
motor.de: Chicago, Nashville, New York, Berlin, London – du bist in jungen Jahren schon viel herumgekommen. Auf mich wirkt das beinahe so, als wenn du kein richtiges Zuhause hast. Was bedeutet für dich Heimat?
Tom Krell: Ja, das stimmt schon. (Überlegt) Ich denke darüber immer wieder nach, verrückt dass du damit einsteigst. Gerade jetzt wo ich das kommende Jahr viel mit Touren verbringen werde, ist das immer wieder mal so ein Thema bei mir. It’s hard but…(führt den Satz nicht weiter aus)
motor.de: Zum Thema Heimat gibt es eine Menge Phrasen. Einer davon lautet: Heimat ist dort, wo deine Freunde sind.
Tom Krell: Auf jeden Fall. Ich habe genug starke Bindungen in meinem Leben mit meiner Familie und Freunden, sodass ich – egal wo ich mich gerade aufhalte – mich nicht allein in dieser Welt fühle. Ich kann mich immer auf sie verlassen.
motor.de: Stimmt es, dass du eigentlich nicht über deine Dissertation sprechen möchtest?
Tom Krell: Ja, nicht unbedingt. Ich mag einfach diese Medienidee nicht, mich als Philosoph abzutun, oder mich darauf zu reduzieren.
motor.de: Ich habe mich nur gefragt, wie du diese beiden Rollen voneinander trennst – How To Dress Well und der wissenschaftliche Tom Krell?
Tom Krell: Sie sind voneinander getrennt. Sie haben separate Rhythmen. Songs einüben, Touring, Performen, Interviews haben einen eigenen Rhythmus, der dem Leben sehr zugewandt ist. Philosophie ist auf eine andere Art und Weise dem Leben zugewandt, in Form von langen, ungestörten Phasen von intensiver Konzentration. Bei der Musik, auch wenn ich alleine auftrete, geht es mehr um ein Team. All die Koordination etc.
motor.de: Gibt es in deinen Augen Verbindungen oder Schnittmengen?
Tom Krell: Von der Kreativitäts-Perspektive gesehen, kommen sie beide auf einer tieferen Ebene zusammen. Sie sind beide Ausdruck von dieser Sache (überlegt). Ich bin noch relativ jung und fasziniert sowie mesmerisiert von dem Gedanken, am leben zu sein. Bevor ich geboren wurde, war ich nichts. Nachdem ich gestorben bin, werde ich nichts sein. Die Geschichte der Menschheit ist dieses winzige, beinahe unsichtbare Licht in einem unendlichen, leeren, schwarzen Kosmos. Das ist nicht mal richtig zu greifen. Und der Wunsch zu wissen, was überhaupt passiert, warum sind wir hier, was soll uns das Leben geben, an diesen Dingen war ich bereits als Kind interessiert.
motor.de: Du bist eher der introvertierte Junge gewesen, nicht wahr?
Tom Krell: Absolut, ich bin mein ganzes Leben schon eine sehr emotionaler Mensch gewesen, immer schüchtern und still. Philosophie ist eine sehr zurückgezogene Art, dem Leben einen Sinn zu geben. Es ist logisch, aber auch unsozial, in sich zu gehen und isoliert zu arbeiten. Die Musik hingegen gibt dem Leben eine emotionale Plattform, es geht vielmehr darum, meinen Körper als Instrument zu benutzen statt meinen Verstand.
motor.de: Die Frage, worin der Hauptunterschied zwischen Musik und Philosophie besteht, ist damit beantwortet: es sind die Emotionen.
Tom Krell: Das ist wahr, wobei ich in der Retrospektive immer wieder feststelle, wie ich die philosophischen Projekte, denen ich mich gewidmet habe, mit meiner emotionalen Situation zu dieser Zeit verbinde. Das lässt sich also nicht immer vollkommen voneinander trennen. Meine Dissertation ist über die Idee von Liebe als logisches Konzept im 19. Jahrhundert, deutscher Idealismus, Hegel, Schelling.
motor.de: Spätestens hier sollten wir aufhören.
Tom Krell: (lacht)
motor.de: Auch wenn der Idealismus stark revolutionär vorging in seiner Strömung, dennoch andere Frage: hast du schon darüber nachgedacht, dass man dich in Zukunft mit Dr. Krell ansprechen wird?
Tom Krell: Nein. In den Staaten würde mich auch keiner mit Doktor ansprechen. In Amerika gibt es beim Online-Shoppen nur die Auswahl zwischen den Geschlechtern, in Deutschland gibt’s hingegen vielmehr: Mr., Mrs., Dr., Prof. Dr., Prof. Dr. Dr. (lacht).
How To Dress Well – “& It Was U”
motor.de: Lass uns über Pop reden. Bin ich auf der richtigen Fährte, wenn ich dir unterstelle, dass du eine ambivalente Hassliebe zum Pop führst?
Tom Krell: Ich würde es so nicht bezeichnen, aber es gibt gute Pop-Musik, genauso wie es schlechte Pop-Musik gibt. Ich denke da geht es dann immer ein wenig um Genre. Ich mag Green Day nicht, aber ich mag auch Twister nicht. Ich bin halt nicht so der Rock-Typ.
motor.de: Fühlst du dich schon als Popsänger, oder anders gefragt: hast du Angst einer zu werden, denn du weißt schon, im Pop verliert man ja schnell seine Würde, seine Seele usw usf.?
Tom Krell: Das würde mich dann wohl nicht mehr stören, weil ich wohl viel Geld verdienen würde (lacht). Aber es geht um Wandel, ganz klar. Entweder werde ich mich verändern. Oder aber Pop verändert sich und ist bereit für mehr komplexere Sounds und Gefühle. Es ist nicht mein Primärziel, ein bekannter Pop-Sänger zu werden. Meine Freundin Grimes hingegen will das.
motor.de: Du hast mal gesagt, dass es schwer ist, sich zu verändern. Warum?
Tom Krell: (Überlegt) Damit nähern wir uns ja dem Thema von “Total Loss”. (Überlegt) Es ist für die meisten Menschen einfacher, sich in den bekannten Bahnen – ob Menschen, Verhaltensweisen, Beziehungen Orte etc. – zu bewegen, auch wenn sie einen zerstören. Es ist einfacher auf diesem Weg zu bleiben, als etwas Neues zu betreten, weil die Menschen Angst haben, etwas zu verlieren. Die Abhängigkeit von der konkreten Situation ist groß, die Furcht vor Einsamkeit und Isolation ist groß.
motor.de: Du hast am eigenen Leib erfahren, was es heißt mit dem Thema Verlust klarzukommen. Es gab einige Schicksalsschläge, die es zu verarbeiten galt.
Tom Krell: Ja, Verlust ist das Thema. Ich hatte ein beschissenes letztes Jahr. Nicht nur, weil mein bester Freund vollkommen unerwartet gestorben ist, auch mein Onkel ist an Parkinson gestorben, was wiederum meine Mutter zerstört hat. Meine Beziehung geriet auch ins Wanken, sodass ich in dieser Zeit 25 Songs aufgenommen habe. Einen Großteil werde ich erst später veröffentlichen, sie sind dermaßen düster, dass es sich jetzt nicht richtig angefühlt hat.
motor.de: Und um unsere Mindmap weiter zu vervollständigen, lehren uns deine Erfahrungen, dass Veränderungen im Leben auch immer externer Natur sein können.
Tom Krell: Wie Recht du hast, das darf man auf keinen Fall außer Acht lassen. Wenn ich an meinen besten Freund denke, dann (hält inne) Wir hatten so eine einzigartige Verbindung, so viel Liebe, gegenseitige Unterstützung. Aber wären wir unsterblich, dann würden wir gar nicht lieben. Es wäre nichts Außergewöhnliches mehr. Unsere Sterblichkeit ist die Basis für Glück und Freude. Wenn der Tod verschwinden würde, verschwindet auch das Glück. Diese Lehre hat mich hart getroffen.
motor.de: Wenn wir über deinen künstlerischen “Wandel” sprechen, so würde ich behaupten, deine EP “Just Once” bildete eine Art Brücke zu “Total Loss”. Nicht nur wegen den orchestralen Einsprengsel, auch vom Songwriting her. Was sind für dich die Unterschiede zwischen “Love Remains” und “Total Loss”?
Tom Krell: “Total Loss” ist die Synthese aus der Nacktheit des Debüt und der Klarheit der EP. Die Musik auf dem Debüt ist wie eingeschlossen, fast schon autistisch. Auf der EP versuche ich den Tod meines Freundes zu verarbeiten, aber nicht nur für mich. Ich wollte seiner Mutter, an die ich nach der Beerdigung viel denken musste, einen Song darreichen, der sie zwar nicht glücklich macht, aber ihr den Einfluss von Ryan auf mich als Artist zeigt. Etwas Triumphales, und es war für mich wirklich ein Eye-Opener, auch mit anderen Musikern zusammen zu arbeiten. Für “Total Loss” wollte ich dieses sehr persönliche Songwriting beibehalten.
motor.de: Auffällig ist aber auch, dass du nun scheinbar mehr Selbstbewusstsein zeigst, deine Stimme in den Vordergrund zu stellen. Dominierten früher noch die Störgeräusche und der offensichtliche Lo-FI-Charakter, gibt es nun mehr vom Instrument Stimme, etwa Acapella-Songs wie “& It Was U”. Ist das eigentlich eine Ode an deine Mutter?
Tom Krell: (Überlegt lange) Ich singe in diesem Song tatsächlich über meine Mutter, es ist aber skurril und eigenartig, das du das weißt (stockt) ich nenne nicht mal ihren Namen. Ein Großteil des Albums ist über meine Mutter, sie hat eine Menge durchmachen müsste. Sie hat mir beigebracht zu singen, und ein Intellektueller zu sein. Aber der Song ist auch für die Schwester meines besten Freundes, diesem Baby ist das Lied gewidmet.
Text & Interview: Sebastian Weiß
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