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“Die Hauptarbeit ist das Aufräumen hinterher” – Hundreds im Interview

Eva Milner von Hundreds über Zoff unter Geschwistern, experimentelles Steinewerfen und das Tourleben mit der Lieblingsband.

Hundreds in Live-Besetzung nach ihrem Konzert in Jena. Foto: Marco Fieber

Mit ihrem 2010 erschienenen Album “Hundreds” legten die Hamburger Geschwister Eva und Philipp Milner ein sphärisches Debut vor, dass sich sehen lassen kann: Fallen einem zunächst Assoziationen zu Trip Hop-Acts der 90er Jahre ein, befreien Hundreds den Staub dieses Genres und lassen die Melancholie eine enge Bindung mit tanzbaren Beats und poppigen Einlagen eingehen. Ihr wahres Potential entfaltet die Musik der beiden während ihrer Liveshows, wenn die Songs von passenden Visualisierungen unterstützt werden. motor.de besuchte Hundreds in der Vorweihnachtszeit während den letzten Zügen ihrer Tour, um mit Sängerin Eva über das Tourleben, Zukunftspläne und den Erfolg ihres ersten Albums zu reden.

motor.de: Wie geht es dir heute?

Eva Milner: Mir geht es ganz gut, es war aber eine ziemlich anstrengende Woche. Wir waren zusammen mit Bodi Bill auf Europatour. Das war echt schön. Der Winter hat allerdings dafür gesorgt, dass ich krank geworden bin und wir nicht in Paris spielen konnten. Aber jetzt geht es wieder.

motor.de: Ihr seid ja mittlerweile auch außerhalb Deutschlands am Touren, aber europaweit kommt euer Album erst 2011 auf den Markt. Für eine Band, die noch kein Album im Ausland promoted hat, seid ihr ja schon ziemlich geschäftig.

Eva Milner: Ja, das Album erscheint im April – das ist der Plan. Wir sind zur Zeit im Gespräch mit Vertrieben im Ausland. Ein Vertrieb in London hat bereits Interesse bekundet, das sieht alles ganz gut aus. Die Tour eben war jetzt ein erstes „Hallo, uns gibt es!“ und deshalb war es auch nicht so gut besucht wie auf unseren Deutschlandkonzerten – es war dennoch sehr gut. Im Januar ist dann das Eurosonic Festival in Groningen dran, dort haben wir einen schönen Slot in einem Theater bekommen. Nach Texas fahren wir auch noch auf das South By Southwest-Festival. Wir sind seit Mai eigentlich mit etwa drei Wochen Pause immer unterwegs gewesen.

motor.de: Gibt es ein Festival, an das du dich besonders gern zurück erinnerst?

Eva Milner: Das beste Festival war für mich das La Pampa Festival. Das war, glaube ich, der heißeste Tag des Sommers. 38 Grad. Viele befreundete Bands von uns waren dort, es gab ein kleines Gelände mit einem See und wir haben als vorletzte Band vor Bratze im Zelt gespielt. Es war einfach ein super Konzert. Alle waren fürchterlich verschwitzt, aber es herrschte eine richtig gute Stimmung.

Foto: Marco Fieber

motor.de: Ihr habt neulich in einem Theater gespielt, in dem die Leute ja für gewöhnlich sitzen. Würdest du ein Sitzkonzert für euch vorziehen oder findest du es besser, wenn die Leute den Beat in die Füße laufen lassen?

Eva Milner: Ja, im Centraltheater in Leipzig, in dem wir neulich gespielt haben, war es erst einmal ungewohnt, dass die Leute nicht stehen. Aber beides hat seine Vorteile. Wenn das Publikum steht, ist natürlich mehr Bewegung. Im Sitzen kriegt man am Ende vielleicht Standing Ovations wie gestern, das ist im Stehen natürlich nicht möglich (lacht). Generell mag ich stehendes Publikum aber lieber.

motor.de: Gab euch die intensive Tourphase bereits Input für neue Songs, die ihr dann währenddessen schreibt, oder wie läuft dieser Prozess bei euch ab?

Eva Milner: Wir haben im Laufe des letzten Jahres zwei, drei neue Lieder mit auf die Bühne genommen, diese sind aber nur als Skizze fertig. Ansonsten war einfach zu wenig Zeit. Im Januar, wenn dann Pause ist, werden wir uns da ransetzen. Wir sehen das während der Tour noch als eine Art Testphase. Die Lieder sind bisher sehr skizzenhaft, aber funktionieren dennoch live – die haben sich gut in die Setlist eingefügt.

motor.de: Also macht ihr euch nach eurer aktuellen Tour gleich wieder an die Arbeit?

Eva Milner: Während der Tour sind bereits viele Ideen in Form von kleinen Fragmenten entstanden, ich habe auch schon meine ganzen Notizzettel vollgeschrieben und wir beide brennen total drauf, neue Sachen zu machen. Das Gute ist, wir wohnen in einer Straße, da kann man mal schnell herüberlaufen. “Ich muss jetzt einen Song aufnehmen. Nachts um drei!” (lacht) Wir brauchen erst einmal einen Proberaum in Hamburg, das ist gar nicht so einfach. Aber davor erst einmal zwei Wochen Ruhe haben und schlafen, das fänd ich ganz gut – und dann wird’s eh langweilig.

Hundreds – “Let’s Write The Streets” (Live)

motor.de: In einem Interview stand, dass ihr geplant habt, für zukünftige Konzerte zusätzlich noch Schlagzeuger auf die Bühne zu holen.

Eva Milner: Ja, wir haben mittlerweile einige Konzerte in dieser Besetzung gespielt.

motor.de: Wie ist diese Erfahrung bisher?

Eva Milner: Das ist super! Es klingt im Grunde genommen nicht viel anders – ein Schlagzeuger ersetzt den Laptop, also den melodiösen Part und die Harmonien. Der andere übernimmt den Rhythmuspart. Dadurch ist viel mehr Bewegung auf der Bühne und die Sounds klingen organischer, weil es keine Maschine macht. Obwohl sich die beiden sicherlich ab und zu wie Maschinen fühlen. Ich finde gut, dass beides aufeinandertrifft, dass hinter diesem „Computerding“ etwas Lebendes steckt, was alles steuert. Der Computer selbst macht nur noch fünf Prozent von dem, was er vorher gemacht hat.

motor.de: Das erscheint wie eine Art Stilbruch, da ihr auf eurem Debütalbum noch sehr viel mit dem Computer produziert und mit Geräuschen gearbeitet habt.

Eva Milner: Ja, wir haben viele organische Geräusche als Samples benutzt. Bei „Fighter“ haben wir einen Stein in einen gefrorenen See geworfen und das Geräusch dann aufgenommen. Das klang total toll, deshalb haben wir das dann in das Lied eingebaut. Aber das passiert dann einfach, das kann man nicht im Voraus planen. Meistens ist das so, dass wir ein Geräusch hören, und dann denken: Oh, das nehmen wir mal auf und vielleicht kann man das mal verwenden, dann kommt das meistens in den nächsten Song mit hinein. Bei „Happy Virus“ sind es zum Beispiel Wassergläser gewesen. Wenn die Songs geschrieben werden, basieren sie erst einmal auf Klavier und Gesang und dann werden sie gemeinsam weiterentwickelt: Erst packen wir da ganz viel rein, und dann räumen wir wieder auf. Die Hauptarbeit ist dann also das Aufräumen.
Wir haben alles selbst zu Hause produziert, für die  Endmischung hat aber die Erfahrung nicht gereicht. Deshalb sind wir auch froh, einen erfahrenen Mischer gefunden zu haben: Norman Nitzsche aus Berlin, der auch die Alben von Whitest Boy Alive gemischt hat. Er hat das sehr räumlich und organisch gemacht. Die Stimme steht zwar immer vor allem, aber dennoch ist alles greifbar geworden.


Fotos: Marco Fieber

motor.de: Euch gibt es schon seit 2008. Im letzten Jahr seid ihr mit eurem Album in Deutschland auch einer breiteren Masse bekannt geworden. Wie geht ihr mit diesem Popularitätsschub um?

Eva Milner: Also das Jahr war schon extrem. Wir haben beide nicht damit gerechnet, dass es so gut anläuft. Wenn man die Musik selber macht und in seinem Zimmer sitzt und das produziert, macht man das ja vordergründig um der Musik Willen. Man weiß ja noch nicht, was da passiert. Wenn das dann in die Welt getragen wird und dann so eine Resonanz erfährt, dann ist das unglaublich. Ich komme eigentlich nicht mehr hinterher. Zum Beispiel mit Bodi Bill auf Europatour zu sein – das ist eine absolute Lieblingsband von mir und dann fahren wir mit denen im Nightliner herum, das ist einfach krass! Ich bin auch froh, dann erstmal wieder ein wenig Zeit zu haben und sich freuen zu können über das, was passiert ist.

motor.de: Ist Hundreds nun schon mittlerweile deine Hauptberufung?

Eva Milner: Ja, ich widme mich nur noch der Band. Meinen Job habe ich nun vor ungefährt einem Jahr gekündigt. Ich habe vorher in unserem Heimatort Hamburg mit Kindern Musik in Kindergärten gemacht. Nun beschäftige ich mich nur noch mit Hundreds. Philip ist sowieso Berufsmusiker. Er ist zwar in andere Projekte eingespannt, aber der Großteil ist bei ihm mittlerweile auf jeden Fall Hundreds.

motor.de: Wie ist es denn so, als Geschwister Songs zu schreiben, habt ihr euch da mehr in den Haaren, versteht ihr euch besser?

Eva Milner: Für mich ist das auf jeden Fall ein Vorteil. Ich glaube, für Philip macht das auch vieles einfacher, weil wir uns schon verdammt lange kennen. Außerdem haben wir einen großen Altersunterschied von sechs Jahren. Ich habe ihn auch tierisch genervt, als wir klein waren. Die großen Kämpfe und Grundsatzdiskussionen, die andere Bands miteinander haben, müssen wir nicht mehr miteinander ausfechten, da wir durch die ähnliche Sozialisation auch eine ähnliche Weltsicht haben. Wenn mal etwas passiert, dann wird das auch wieder gut. Da kann nichts kaputt gehen. Blut ist dicker als Wasser, das trifft bei uns auf jeden Fall zu.

Interview: Danilo Rößger & Robert Bußler
Fotos: Marco Fieber

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