(Fotos: Andreas Hornoff)
Elektro-Pop Halleluja, dachten wir uns damals, als uns die Hundreds aus Hamburg mit ihrem Happy Virus infizierten. Der Song des Geschwisterpaares lief auf jeder zweiten Hausparty. Nun, vier Jahre später, erscheint der Nachfolger "Aftermath" und stellt ganz unverhohlen den Anspruch, noch deeper, lyrischer, emphatischer, emotionaler, eingängiger etc. pp als das selbstbetitelte Debüt zu sein. Schon nach erstem Hören kann man feststellen, dass das nicht zu hoch gesteckt war. Ein Gespräch mit Eva Milner als kurzen Ausflug in den Hundreds-Kosmos.
Ihr habt euer Studio von Hamburg ins Wendland verlagert. Wie kommt's?
Philipp lebt da tatsächlich. Der hat sich da einen alten Hof gemietet und da haben wir unser Studio reingebaut. Ich war für die Aufnahmen in der Woche dort und am Wochenende in Hamburg.
Das muss doch ein Riesenunterschied sein? Wo ist das Wendland überhaupt?
Ja klar, ein Dorf mit Vierzig Einwohnern, das ist schon was. Es ist südöstlich von Hamburg, das ist noch richtig wild, da gibt es noch so Althippies. Philipp hat etwas im Umkreis von Hamburg gesucht und das war dann so das Nächste.
War ihm das einfach alles zu viel in Hamburg?
In Hamburg einfach umzuziehen ist nicht mehr so leicht, du findest keine Wohnung! Ab einer bestimmten Preisklasse gibt es noch etwas, aber im normalen Segment musst du ein Jahr suchen. Philipp ist Vater geworden und hat relativ schnell gemerkt, dass es ihm zu eng wurde. Sie wollten dann etwas anderes, haben aber nichts gefunden und wollten eh immer aufs Land.
Dieses Studio im Hinterland hatte also eher private als berufliche Hintergründe?
Ja, aber unser Studio in Hamburg war tatsächlich so, dass du manchmal einen Krankenwagen auf der Gesangsspur hattest oder so.
(Diese filmische Umsetzung der ersten Single "Circus" hat übrigens Arne Feldhusen, bekannt durch Stromberg, übernommen)
Ihr habt euch Zeit gelassen mit der neuen Platte, fast vier Jahre!
Ja, das höre ich immer wieder, aber ich glaube einfach, dass diese ganze Musikwelt eh zu schnell für uns ist, wir sind da etwas anders gestrickt. Es kommt mir vor, als wäre alles viel schneller geworden und ich finde es auch Quatsch, wenn man noch nicht so weit ist, das zweite Album rauszuhauen. Es wäre einfach nicht gut geworden und wir waren zwei Jahre auf Tour, wir mussten erst mal wieder klarkommen. Dann kam dieser Ortswechsel gerade recht. Wir hatten schon viel geschrieben, wir mussten nur den richtigen Punkt finden, wirklich anzufangen.
Euer erstes Album kam mir vielschichtiger vor, ein Nebeneinander, Unter- und Übereinander von Fragmenten, das neue dagegen scheint mir abgerundeter, vielleicht konzentrierter. Könnte sich da Privates widerspiegeln?
Ja, das ist auf jeden Fall so das Lebensalter, das wir jetzt erreicht haben. Ich glaube es hat uns selber am meisten überrascht, dass alles nicht mehr so elektronisch ist. Ich finde es schlüssig, dass es diesen Bogen gibt, es fängt offen an und wird gegen Ende wieder elektronisch. Zum Beispiel bei Circus oder auch Aftermath haben wir ganz viel ausprobiert, wir haben versucht, das Ding zu elektronisieren. Wir haben uns schon selber gefragt, wo denn da der Elektro hin ist und es ist immer wieder diese Version geworden. Vielleicht wollte sie es einfach werden. Ich denke die Melancholie, diese Schwere, die das erste Album noch hatte, ist trotzdem noch in irgendeiner Form da.
Bei dem ersten Album wusste man zum Beispiel relativ selten welcher Akkord wohl als nächstes kommen würde, bei dem neuen teilweise schon.
Das war auch nicht geplant oder so. Das stimmt schon, wir waren vorher vielleicht noch experimenteller, aber was die Akkorde angeht, da macht Philipp eigentlich immer noch ziemlich verrücktes Zeug, vielleicht etwas versteckter.
Das erste Album habt ihr mehr oder weniger für euch selbst geschrieben, hattet ihr wirklich nicht mit einem größeren Publikum gerechnet?
Ja, tatsächlich! Philipp hatte damals in Erfurt gelebt und dort auch ein Studio gehabt. Ich hatte voll gearbeitet und mir den Sommer freigenommen. Wir hatten immer mal was gemacht, da hatte das Kind aber noch keinen Namen, der Arbeitsprozess hatte nie an Fahrt aufgenommen. Dann hatte ich mir sechs Wochen Zeit genommen und bin nach Erfurt gefahren. Dort haben wir quasi den Grundstein für das erste Album gelegt. Dann haben wir noch zwei Jahre dran rumgemacht, aber eher Philipp, weil ich halt noch voll gearbeitet hatte. Dann hat uns irgendwann unser jetziges Management auf Myspace gefunden und wir machten ein Treffen aus, ich war total aufgeregt. Iich hätte auch nie gedacht, dass ich eine Bühnenperson bin. Ich bin früher bei Referaten fast umgekippt, aber es ist eben noch was anderes, auf einer Bühne zu stehen. Ich glaube wir hätten da auch noch drei Jahre weiter dran rumgeschraubt, dann wären vielleicht mal 20 Leute zum Konzert gekommen und wir hätten uns gefreut. Ich hatte da nie diese Massentauglichkeit gesehen. Dass es so groß wird, hätte ich nie im Leben erwartet, aber wir füllen ja jetzt auch keine Hallen oder so.
Ihr wart mit dieser Musikrichtung zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Elektro-Pop ist alles andere als eine Nische, Lorde führt damit monatelang die US-Charts an, auch wenn man das natürlich nicht unmittelbar nebeneinander stellen darf, klar.
Ja, das stimmt. Mich freut es auch, dass man zum Beispiel auch mal das Radio anmachen kann, ohne gleich zu sterben. Es gibt natürlich auch noch viel Scheiß … Ich habe dieses Jahr gar nicht so viel Musik gehört und nur die Randerscheinungen wie Arcade Fire mitbekommen. Ich muss mich da selber erst mal weiterbilden.
Wenn ihr schreibt, hört ihr währenddessen überhaupt Musik?
Ich hör dann meistens ein Album wochenlang, das inspiriert mich dann vielleicht, aber nicht, dass ich mir dann Texte abgucke oder so, ich fresse mich nur immer so an Alben fest, ich bin wie gesagt nicht so schnell. Philipp hört auch öfter was um Inspiration zu kriegen, er hört dann querbeet alles durch, was ihm unterkommt. Dann hat er eine Idee und alles wird ganz anders.
Haltet ihr beim Schreiben in erster Linie einen Moment – musikalisch und textlich – fest, oder erzählt ihr eine Geschichte und filmt quasi eine Szene ab? Das meinte ich mit dem „Nebeneinander“, das erste Album erscheint mir manchmal wie ein konfuses Stillleben, das zweite dagegen flüssiger.
Das trifft es eigentlich ganz gut, die Interpretation möchte ich aber anderen überlassen, ich kann auch nur für die Texte sprechen. Es hat immer viel mit mir zu tun, mit Philipp oder einem Thema, das mich einfach beschäftigt, aber ich verwende schon viel, was mich persönlich betrifft. Ich versuche das dann umzuformen und will, dass andere Leute dort ihre eigenen Sachen einstöpseln können. Das sagen ja viele Künstler. Ich versuche mich an einem besonderen Gedanken festzuhalten, spinne das in alle Richtungen aus und schneide es am Ende zurecht. Ich habe dieses Mal aber auch anders getextet, beim ersten Album war es eher so, dass alles über mich kam, ich brauchte es nur aufzuschreiben und es war fertig. Beim zweiten habe ich wirklich gezielt an den Texten gearbeitet und nach Worten gesucht, ich hatte Spaß dran, verschiedene Wege auszutesten und zu spielen. Ich hatte Bücher gefüllt und am Ende bleibt nur ganz wenig, denn ein Songtext ist ja auch nur eine ausgekochte Essenz.
Könnt ihr eigentlich von eurer Musik leben?
Mit Hängen und Würgen ja, aber wirklich mit Hängen und Würgen. Es ist nicht leicht. Wir haben ja auch viel vor, wir müssen vorfinanzieren und haben uns schon verschuldet. Es ist ein großes Projekt, an dem viele Leute dranhängen, die möchte man ja auch mitversorgen.
Von den Touren wird dann was hängenbleiben für später?
Genau, das ist der Plan. Diese Gage ist dann noch ein mal aufgesplittet, 20 % kriegt die Booking Agentur, 20 % das Management und so weiter, es bleibt im Endeffekt schon einiges hängen, aber es gibt viele, die permanent für uns arbeiten und die ihren Anteil verdienen. Es ist ein Geben und Nehmen. Dann gibt es Phasen, die hat jeder Selbstständige, in denen einfach nichts da ist und man weiß, es dauert zwei Monate, bis wieder was reinkommt, da muss man gucken, was man macht.
Früher sind die Künstler, die es am Ende „geschafft“ hatten, stinkreich geworden, heute gibt es eine Vielzahl von Künstler, die ihre Musik veröffentlichen können, aber finanziell meist kämpfen müssen. Man möchte natürlich keinem gönnen zu hängen und würgen, auf der anderen Seite muss man auch sagen, dass ihr das tut, was ihr liebt, oder?
Das stimmt.
Könnte man die aktuelle Situation nicht damit erklären, dass die Musiker vielleicht nicht ausreichend finanziell vergütet werden, dafür es aber ihr Lohn ist, das tun zu können, was sie lieben und nicht einen Bürojob annehmen zu müssen? Wäre es überhaupt gerechtfertigt, übermäßig viel Schotter mit so einen tollen Job zu bekommen?
Darüber könnten wir uns jetzt drei Stunden lang unterhalten. Darüber habe ich natürlich auch schon viel nachgedacht. Und kurz lässt sich das ehrlich gesagt nicht beantworten. Ich glaube, dass man heutzutage als Künstler öfter ins Grübeln gerät, aber ich bin sowieso die größte Grüblerin vor dem Herrn, also stell ich eh alles ständig in Frage und denke mir, warum machst du nicht Entwicklungshilfe? Wo ist hier die Berechtigung? Natürlich weiß ich, dass wir den Leuten auch etwas geben können und das ist auch der Antrieb, dass es nicht nur für sich selbst existiert, sondern auch ein Interesse dahinter steht. Aber das mit dem Geld, das hat sich mir auch erst spät erschlossen, mit den ständigen Gedanken daran habe ich jedenfalls nicht angefangen, ich bin im Prinzip zur Geschäftsführerin geworden, daher musste ich mir auf ein mal überlegen, wie wir das jetzt mit dem Geld machen und was das mit dem Künstlerischen zu tun hat und so weiter. Ich habe da noch keine Lösung gefunden.
Man ist sich sicherlich ständig Sprüchen a la „Mensch, willst du nicht irgendwann auch mal Geld verdienen?“ ausgesetzt.
Ja, oder andersherum, Letztens wurde ich von jemanden angesprochen, den ich schon ewig kenne und auch total schätze, der ist halt so Mechatroniker oder so was, und der meinte „ Es ist so schön, wenn man sein Hobby zum Beruf machen kann, oder Eva?“ So ist eben die Sichtweise von vielen. Es ist ja nicht mein Hobby! Es ist vielleicht eine Leidenschaft, aber wenn man das nicht dadurch rechtfertigen kann, dass man damit Geld verdient, dann wird der jeweiligen Sache in unserer Kultur oder Gesellschaft oft die Existenzberechtigung abgesprochen. Das finde ich total quatsch, ich bin zum Beispiel auch für das bedingungslose Grundeinkommen, dass diese Not weg ist, sich über Wasser halten zu müssen und man Zeit hat zu gucken, was man überhaupt machen möchte. Dass man nicht die ganze Zeit rennen muss, sich stressen und funktionieren. Das war natürlich alles sehr vage jetzt und durcheinander. (lacht)
Was wäre das größte Kompliment, das man eurer Musik geben könnte?
Hm. (überlegt lange) Das ist wirklich schwierig zu sagen, weil ich selber auch total schlecht mit Komplimenten umgehen kann. Über eines habe ich mich mal total gefreut, das waren zwei Frauen, ein Pärchen und die haben sich auf einem Konzert von uns kennengelernt und dann waren die auf jedem Konzert, wenn wir wieder in der Stadt waren. Die sind immer noch zusammen und haben mir Textinterpretationen geschickt und dass die Musik sie so verbindet, total süß, das war ne sehr schöne Geschichte, ansonsten sind Komplimente eine schwierige Sache, ich denk drüber nach und sag es dir beim nächsten Mal.
(Marc Augustat)
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