Der Samstag startet mit Sonne und einer steifen Brise. Ein kurzer Rundgang über den Campingplatz offenbart einige sehr abenteuerliche Rettungsversuche der mühevoll aufgezogenen Camps, die vom Wind entschärft wurden. Doch zwischen all dem Chaos sind die Festivalisten bei bester Laune, einige euphorische Runden Flunkey-Ball sind bereits im Gange, die Grills angeschmissen und der Dosenbier-Vorrat schon erheblich geschrumpft. Noch hält das Wetter, wir genehmigen uns ein paar Frühstücks-Bratwürste und ziehen auf’s Gelände.
Mit einem kraftvollen Brett eröffnen Pulled Apart By Horses die Green Stage. Unser erstes Ziel ist jedoch die Blue Stage, die mit einer stürmischen Schikane penetriert wird – Cloud Control haben gerade ihr Set begonnen, als der Himmel seine Schleusen öffnet. Dieses Foto entstand ein paar Sekunden vor dem einsetzenden Wolkenbruch.
Wir bringen uns in Sicherheit, die Band auch. Nach nur einem Song ist erstmal Feierabend. Techniker versuchen die Monitor-Boxen einzuhüllen, das gesamte Equipment wird Stück für Stück nach hinten verlagert, doch es hilft alles nichts, denn der Wind trägt den Regen direkt auf die Bühne. Ungünstig. Derweil unterhalten wir uns mit einem Fotografen, der über die Lage schmunzelt: “Vor ein paar Jahren haben New Order hier gespielt, als es wie aus Kannen goss. Die wollten gar nicht erst anfangen und ließen ihre Fans bestimmt eine halbe Stunde warten.” Bei Cloud Control gestaltet es sich schwieriger, die letzten unermüdlichen Fans warten umsonst. Da hat das mit der Kontrolle wohl doch nicht ganz geklappt *Schenkelklopf*.
Umso mehr freuen dürfen sich Wakey!Wakey!, die auf der Red Stage zu Gange sind. Mit trockenen Füßen tanzt es sich eben doch besser, die Stimmung im Zelt ist klasse.
Und auch auf der Green Stage geht es wieder aufwärts – nachdem sich der Wolkenberg verzogen hat, können sich die Sick Puppies über ein energiegeladenes und euphorisches Publikum freuen. Die Australier sind bestens aufgelegt und Frontmann Shimon Moore tut alles dafür, das sein Publikum spüren zu lassen. Es wird nach Herzenslust gebrüllt und ihren Lieblingsbands auf die Schulter geklopft. So geben sie kurze Einschübe zum Besten, unter anderem eine Hommage an Rage Against The Machine. Das kommt gut an und wärmt auf für kommende Acts. Ein gelungener Start und eine tolle Show der Australier.
Etwas gemächlicher geht es bei Warpaint zu. Die vier Damen präsentieren feinsten, handgemachten Rock mit psychedelischen Einflüssen. Nach den Sick Puppies und ihren Gitarrenwänden ein sehr angenehmes Kontrastprogramm. Das Quartett aus Kalifornien ist in jedem Falle einen Besuch wert! Wir ziehen weiter, es geht zurück zur Blue Stage und den Herren von Friendly Fires. Frontmann Ed Macfarlane stürzt sich schon nach wenigen Minuten ins Publikum.
Im Hintergrund gibt es zum Zappelbeat einen Bläsersatz, der den Dance-Punk-Sound der Engländer angenehm erweitert. Jedoch gibt es neben dem Tanzfaktor eher wenig, wenn sie auch eine gute Show abliefern. Auf Dauer etwas eintönig. Während die Sounds mit dem Spielen beginnen, ziehen wir zu den altehrwürdigen Herren von Monster Magnet.
Es ist schon ein bisschen witzig, dass man bei einer Show des Quintetts jedes Mal das Gefühl hat, Frontmann Dave Wyndorf ist wieder ein bisschen weiter aufgegangen. Auch wenn die Gitarre bei ihm mehr schmückendes Beiwerk als wirkliches Arbeitsgerät darstellt, bemüht er sich dennoch um eine gute Figur. Brüllen kann er zweifelsfrei noch und die großen Gesten beherrscht er ebenfalls mühelos. Seine Band schüttelt dazu fleißig die Mähnen und baut eine schöne Gitarrenwand auf.
Ausgedehnte Soli, breite Riffs und ein gediegen voranschiebendes Tempo fluten die Green Stage. Zum Ende kommt sogar noch die Sonne raus. Und natürlich wird der Kracher “Space Lord” ausgepackt und genüsslich in die Länge gezogen. “Space Lord Motherfucker” lässt sich aber auch schön grölen. Das genießen die Herren. Wir auch.
Wir treffen uns mit den britischen Folk-Rockern Young Rebel Set. Sie bekommen die Aufgabe, ein paar Bilder zu malen. Neben jeder Menge Genitalien, wie kaum anders zu erwarten war, gibt es Pilzköpfe und Kindheitsträume. Wie das aussieht, seht ihr bald in der motor-Malstunde. Ebenfalls künstlerisch betätigt, hat sich Mike Grubbs – seines Zeichens Mastermind der amerikanischen Alternative-Popper Wakey!Wakey! Sichtlich amüsiert über die Aufgabenstellung präsentiert er spaßige Clowns-Grimassen, fettige Pizza und Kopfkino. Auch davon später mehr.
Der nächste Programmpunkt ist für uns Sublime with Rome. Die legendären Ska-Rock’n’Roller Sublime sind seit zwei Jahren mit neuem Frontmann zurück.
Rome Ramirez macht seine Sache gut und klopft dem verstorbenen Bradley Nowell sehr respektvoll auf die Schulter. Die drei Herren sind ein wenig in die Jahre gekommen, Ramirez ist dabei vermutlich noch der fidelste von allen. Ganz gemütlich lässt es Bassist Eric Wilson angehen. Mit Hut, Sonnenbrille und natürlich immer einem Glimmstengel im Mundwinkel, bewegt er sich während der ganzen Show vielleicht knappe zehn Meter. Sein grooviges Spiel ist unverändert, auch Drummer Bud Gaugh haut kräftig drauf.
Im Sonnenschein hätte die Musikauswahl besser nicht sein können. Die Menge ist begeistert und textsicher, der Sound schön breit und minimalistisch. Ramirez verkündet, es sei die beste Show während ihrer Europatour gewesen. Wie auch immer: Sublime with Rome, deren Setlist kaum Wünsche offen ließ, waren ein echtes Highlight. Wider Erwartens.
Nach einer kurzen Verschnaufpause geht es weiter mit Gogol Bordello. Wie man es von den Gypsy-Punkern kaum anders gewöhnt ist, vergeht keine Minute, da hebt die Menge vor der Bühne bereits ab.
Die Security hat alle Hände voll zu tun, den Überblick zu behalten. Schon unter den ersten fünf Songs finden sich Highlights ihrer Diskografie, doch eigentlich ist es völlig müßig, hier einzelne Songs hervorzuheben. Hier stimmt einfach alles, eine geniale Festivalband. Zehntausende Fans, die sich auf dem Platz vor der Bühne hin- und herschieben, bestätigen das. Ein schweißtreibendes Live-Erlebnis.
Die Green Stage bleibt weiter unser Anlaufpunkt. Als nächstes stehen My Chemical Romance auf dem Plan. Die amerikanischen Emo-Rocker verstehen ihr Handwerk und können hierzulande auf eine überaus treue Fanbase blicken. Bereits bei Monster Magnet und wahrscheinlich noch davor standen die Fans in der ersten Reihe und warteten auf die Herren aus New Jersey.
Stellte bereits die auf die Zuschauer übertragene Energie von Gogol Bordello eine große Herausforderung für die Ordner im Graben dar, herrscht nun bei My Chemical Romance das blanke Chaos. Ekstatische Schreie, Tränen, völlige Erschöpfung – das Bild aus dem Graben ist skurril. Während die Securities reihenweise die Leute über die Absperrung ziehen und gen Sani-Zelt abtransportieren, dreht die Band weiter auf.
Für’s erste reicht uns das. Nachdem der Versuch, Egotronic zu besuchen wegen völliger Überfüllung der White Stage leider scheiterte, legen wir eine kurze Pause ein und schauen zur Red Stage. Wir freuen uns auf I Am Kloot.
Guy Garvey von Elbow ist großer Freund des Trios aus Manchester. Er produzierte ihre aktuelle Platte “Sky At Night”, ist nebenbei aber eigentlich der Überzeugung, dass schon sie schon immer eine Liveband gewesen seien. Dem schließen wir uns an.
Die Stimmung in der Red Stage ist beinahe andächtig, das Publikum verhält sich still und hört genau zu. Um uns herum, sogar viele mit geschlossenen Augen. Spätestens nach “From Your Favorite Sky” ist die Atmosphäre perfekt. Ganz nach der alten Schule werden alle Bandmitglieder mit Namen vorgestellt, die Menge applaudiert artig. Ohne große Worte wird das Set fortgesetzt. So gern wir auch bleiben würden, Incubus spielen auf der Green Stage. Wir wechseln die Location, nichts ahnend, welche Enttäuschung uns bevorsteht.
Selbstverständlich ist der Platz vor der Bühne bis weit auf das Festivalgelände gut gefüllt. Wir suchen uns einen Platz in der Nähe vom FOH, dort ist der Sound ja angeblich am besten.
Vielleicht liegt es an der Erwartungshaltung, eher aber tatsächlich am Set der Band: Incubus sind ein großer Reinfall. Eine schnarchige Songauswahl, unkommentierte neue Songs, die eher mäßig überzeugen können und eine fürchterliche Bühnenshow. Brandon Boyd macht den Anschein, als wäre er nicht gut bei Stimme. So richtig motiviert, wirkt er ebenfalls nicht.
Die Band scheint müde, Interaktionen mit dem Publikum machen einen halbherzigen Eindruck. Das Licht auf der Bühne ist im Vergleich zu Kasabian, die ein wahres Feuerwerk an Farbgewitter erzeugen, monoton und zieht die Atmosphäre auch eher nach unten. Ein leicht defekter Screen im Hintergrund tut sein übriges dazu. Selbst bei “Megalomaniac”, dem letzten Song des offiziellen Teils, springt der Funke nicht über. “Stella” als Zugabe kann die Show auch nicht retten. Unmut macht sich in unserem Umfeld breit. Wir sind enttäuscht und hoffen auf Besserung bei der letzten Band des Abends: den Kaiser Chiefs.
Hier gibt es zum Glück eine positive Überraschung: Sehr lebendig und aufgedreht springen die fünf Herren über die Bühne. Hier stimmt alles, ein einfacher Bühnenaufbau ohne viel Schnickschnack, dafür eine die Performance sehr gelungen unterstützende Lichtshow. Auch die Setlist stimmt. Ein gut gewählter Mix aus neuen und alten Titeln, immer an der richtigen Stelle gespickt mit einem Klassiker. “Ruby” und “Oh My God” fehlen natürlich nicht. Die Energie und Dynamik, die hier übertragen wird, hätte man sich auch bei Incubus’ “Wish You Were Here” oder “Drive” gewünscht. Aber so gibt es wenigstens eine Entschädigung. Die Kaiser Chiefs beenden den Abend würdig. Nach diesem Konzertmarathon begeben wir uns nach ein paar Feierabendbieren in die Waagerechte.
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