Vom beschaulichen Schlafzimmerprojekt wächst I Am Oak zum Bandgefüge. Die Inspiration bleibt: innerer Aufruhr. Noch immer ist er auf der Suche, doch das Ziel bleibt ähnlich einer Fata Morgana verschwommen.
(Foto: Ryland Bouchard)
Thijs Kuijken ist ein rastloser Wanderer. Auf den ersten Blick merkt man es ihm nicht an. Mit seinem etwas zu großen T-Shirt wirkt er schlaksig und seine Brille verleiht ihm den ungezwungen klugen Charme eines jungen Allen Ginsberg. Doch es sind seine Augen, die ihn verraten. Sie streifen neugierig umher, saugen jeden noch so kleinen Fetzen Umgebung in sich auf. Der Fixpunkt ist stets flüchtig. Er ist auf einer Reise, seit vier Jahren mittlerweile. Damals begann sie in seinem Schlafzimmer – einem kleinen Verschlag im niederländischen Utrecht. Sein Kompagnon: eine akustische Gitarre – zusammen sind sie I Am Oak.
“Ich glaube es waren Nirvana“, sagt Thijs gedankenversunken und schmunzelt. “Die Songs waren einfach, das mochte ich. Ich bekam eine Gitarre geschenkt und merkte, dass ich mit zwei, drei oder vier Akkorden tatsächlich richtige Songs spielen konnte.” Wieder einmal ist es also Kurt Cobain, der eine musikalische Karriere ins Rollen bringt. Doch Thijs nutzt die Erkenntnis anders, er ist weder wütend noch plagt ihn unerträglicher Weltschmerz, er ist schlicht introspektiv – ein fleißiger Beobachter seiner selbst und der Geschehnisse in seinem Dunstkreis. Ganz unspektakulär verwebt er äußere Eindrücke mit seinem Innenleben und der stetigen Suche nach dem eigenen Ich. “Eigentlich kann alles zum Song werden” stellt er fest. “Alles was mir passiert, hat das Potenzial zum Lied. Ich versuche mir da keinen inneren Riegel vorzuschieben. Die Natur ist ein konstanter Begleiter, die Bilder, die ich sehe, werden am Ende oft zu Metaphern für etwas anderes.” So entstehen intime Folk-Songs, die sich jedoch stets eine gewisse Entrücktheit und Anonymität bewahren und dem Hörer ein musikalisches Mandala zur Erkundung der eigenen Psyche liefern.
I Am Oak – “Ocyaan”
Letztes Jahr nimmt seine Heimat schließlich Notiz von der Existenz des jungen Songwriters und kürt sein Zweitwerk “On Claws” kurzerhand zum Folk-Album des Jahres. Doch Thijs’ Gemüt ist ruhelos. Das Korsett von Gitarre und Stimme engt ihn mittlerweile ein und so ist “Oasem” – sein neuester Streich – gewachsen und tritt entschieden aus dem Schatten, den die Reduktion warf. Breite Orgel- und Synthesizer-Flächen prägen das Bild und versprühen Ambient-Charme, wo sonst Gitarre und Vokalharmonien standen.
Und doch tut das neue Gewand der schlichten Klarheit der Songs keinen Abbruch. “Der Schritt schien ganz natürlich. Irgendwann begann ich, über das Skelett aus akustischer Gitarre und Gesang, weitere Schichten zu stapeln”, erklärt Thijs. “Als ich die Songs live spielen wollte – in Gänze, nicht ausschließlich das Grundgerüst – führte über kurz oder lang einfach kein Weg an einer Band vorbei.” Und doch ist “Oasem” kein kollektiv entstandenes Album, es trägt deutlich Thijs’ Handschrift. Kurzweilig ist es geworden, ein Moment im Kuijken’schen Zeitkontinuum. Schemenhaft breiten sich die zwölf Titel vor einem aus. Wie Skizzen eines Augenblicks liegen sie da, fragmentiert in Abschnitte, die sich in der Trackliste widerspiegeln. Bis ins letzte Detail ausformuliert ist keiner der Songs, doch genau darin liegt die Schönheit der Platte. In der fragilen Eleganz von Vergänglichkeit.
I Am Oak – “Island”
“Ich tendiere dazu, jeder neuen Veröffentlichung, einen ganz eigenen Sound zu geben. Ich will mich damit neu erfinden, um nicht beständig in einem Rahmen zu verweilen”, kommentiert Thijs den gänzlich neuen Klangcharakter des Albums. Der neue Sound stammt von einem Keyboard, auf das er liebevoll mit dem Finger zeigt: “Ich habe es auf einem Flohmarkt gefunden.” Man merkt deutlich, dass es zur Kompositionsgrundlage von “Oasem” wurde. Thematisch dreht sich die neue Platte um Stoff, der im I Am Oak-Kosmos kein Novum darstellt. Wieder einmal ist es die Suche nach einem Sinn und Platz im Leben, die ihn beschäftigt. Doch dieses mal gab es einen konkreten Anlass. “Ich hatte gerade die Schule geschmissen, das war die einzige Konstante in meinem Leben. Ganz plötzlich stand ich in einem leeren Raum, frei von jeglichen Zwängen”, beschreibt es Thijs. “Das ist einerseits schön, doch fehlt ein konkretes Ziel. Also begann ich nachzudenken. Wo stehe ich? Was will ich? So kam der Grundgedanke des Albums zu Stande.”
(Foto: Nick Heldermann)
Zum Abschluss zaubert er ein mal mehr ein feingeistiges Naturgleichnis hervor. “Die Songs sind wie Reisen. Sie beginnen an einem Horizont und bewegen sich durch Landschaften, in denen ich Dinge sehe, höre und sie reflektiere, um dann an einem neuen Horizont anzukommen und doch zu merken, dass es eine endlose Suche ist.”
Robert Henschel
I Am Oak – “Oasem”
VÖ: 10.06.
Label: Snowstar Records
Tracklist:
01. Horizon
02. Distances
03. Ancient
04. Curt
05. Island
06. Elbows
07. Distances II
08. Giant
09. I
10. Ocyaan
11. Island II
12. Horizon II
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