Neverending Häme im Niemandsland des Popmusik-Geschmacks.
Würden Sie diesem Mann ein paar Millionen Alben abkaufen?
Fast möchte man ihm dann doch noch ein bisschen Respekt zollen ob der späten aber immerhin jetzt veröffentlichten Einsicht. Phil Collins möchte aufhören, nicht nur weil ihm etliche physische Leiden – natürlich ist auch ein Gehörschaden dabei – zusetzen, sondern weil ihn einfach zu viele Leute einfach gern „erwürgen“ würden. So hieß es zumindest kürzlich im Interview mit der Illustrierten FHM, eigentlich darauf spezialisiert, mehr oder weniger bekannte junge Frauen in Unterwäsche abzubilden. Und wo er Recht hat, hat er Recht. Phil Collins zählt zweifelsfrei zu den Akteuren im Pop-Geschäft, die über jedes Normalmaß – das man als Musikfan Mainstream-Musikern per se entgegenbringt – hinaus gern und inbrünstig gehasst werden.
Wobei: „Hass“ ist nicht der genau passende Begriff, „Häme“ trifft es eindeutig besser, lexikalisch ausgedrückt wäre das „Spott mit starkem Anteil an Schadenfreude; zynische Polemik“. Es gibt eine gar nicht so große Liga an Megastars, die einen weltweiten Häme-Konsens auf sich vereinen. Phil Collins steht ganz vorn in der Reihe, seit 1995 sogar weltliterarisch belegt. Für Rob Fleming, Plattenladenbesitzer und damit Hauptfigur von Nick Hornbys Roman „High Fidelity“, ist die Sache klar: Mit einer Frau, die Phil Collins hört, sei keine ernsthafte Beziehung möglich. Bryan Adams hingegen wurde zum Running Gag der Anarcho-Cartoonserie „South Park“, Kanada sollte sich bei der Welt gefälligst offiziell für ihn entschuldigen. Über Chris de Burgh oder Celin Dion gibt es nicht mal vernünftige Witze, als so unglaublich fade werden sie gemeinhin angesehen. Sogar Deutschland hat – wenn wir mal die nur regional relevanten Heinz-Rudolf Kunze oder Wolfgang Niedecken rauslassen – die Scorpions zu bieten. Auch die klagen seit Jahren über die „Ignoranz“, die ihr ausgerechnet in ihrem Heimatland entgegengebracht wird und laufen auch mal zum Ausheulen zur Bild-Zeitung, wenn sie von den durch ihre Anwesenheit genervten Ärzten, der Band, in ihrer Heimatstadt Hannover kurzerhand aus dem Backstage gefeuert werden. (Tatsächlich passiert!)
Jedes Ausmaß an Häme wäre deutlich zu wenig. (Der “Rockstar” ist übrigens links. (Also auf dem Bild!))
Was aber macht den Unterschied aus zwischen einem Phil Collins und einem x-beliebigen peinlichen Popstar, um diese ganz spezielle Ablehnung zu erfahren? Zuallererst: Man muss natürlich tatsächlich berühmt sein, und zwar über einen Zeitraum, der etliche Zyklen normaler Poptrends übersteht. Man sollte im Idealfall mit jedem neuen Album, das veröffentlicht wird, mehrere Wochen die Chartsspitze blockieren. Die eigene Musik muss notgedrungen grauenhaft sein, allerdings auf einem Niveau, dass es Leuten, die von Musik keine Ahnung haben, eher als das Gegenteil vorkommt. Eine Grundbedingung, um genau das schaffen zu können: Eine Resistenz gegenüber dem herrschenden Zeitgeist, konkreter noch, man darf sich nie die Achtziger aus den Knochen geschüttelt haben. Wobei wir hier nicht von den coolen Achtzigern reden, mit Postpunk, New Wave oder Acid, die den Unterschied in der musikalischen Sozialisation ausmachen, sondern von dem ganzen Mist, der halt den „Uncoolen“ gefallen hat und die seit ihrer Jugend denn auch nie den Ausweg aus diesem Niemandsland des Geschmacks gefunden (oder auch nur gesucht) haben. Jenen also, die heute zu den Ü30- oder Ü40-Partys gehen, wohin man mit Slogans à la „Feiern wie früher!“ gelockt wird, weil es für diese Teil-Generation heute scheinbar nichts mehr zu feiern gibt. Es ist von Musiker- und Hörer-Seite betrachtet das Futter für all die „Hitsender“ mit der „besten Musik der Siebziger, Achtziger, Neunziger und von heute“ (hier bitte wahlweise passenden Werbespruch regional bedeutender Abspiel-Station einfügen), die für den Verfall der Radiokultur stehen, für seelenloses Business, das Musik nur als Klangteppich benötigt um Werbung verkaufen zu können.
Walk like an … öhm … Phil Collins!
Ein Phil Collins ist dafür das perfekte Role-Model. Schon sein Erscheinungsbild spricht allen Vorstellungen von Star-Qualitäten Hohn, er sieht seit eh und je aus wie ein – sagen wir mal – Verkäufer (wobei man auch hier anmerken muss, dass der Maßstab zumindest im Handy-Bereich durch Paul Potts kürzlich erst drastisch verschoben wurde), also praktisch genau so wie seine Zielgruppe. (Dass auch das Gegenteil nach hinten losgehen kann, beweisen wiederum die Scorpions.) Jedes seiner Solo-Alben ist praktisch unhörbar (auch, wenn sich vereinzelt sogar ernst zu nehmende Menschen für das 81er-Debüt „Face Value“ in die Bresche werfen, allerdings nicht ohne sich dafür zu entschuldigen) und haben sich trotzdem multimillionenfach verkauft. Und: Er ist sogar für die ganz Alten als derjenige gebrandmarkt, der die „wahren Werte“ der Rockmusik verraten hat – indem er nämlich Genesis nach dem Abgang von Peter Gabriel einfach mal gekapert und vom Artrock-Act mit „Anspruch“ zur schnöden Popband degradiert hat. (Aber das ist eine andere nicht minder interessante Diskussion.) Es kommt also Einiges zusammen. Letztendlich erklärt wird dadurch natürlich trotzdem nicht, warum nun gerade er und die paar anderen so im Hass-Fokus stehen. Aber auch hier greift natürlich eine Urweisheit der Popmusik: Es gibt immer dieses gewisse Quäntchen an Unberechenbarkeit, das den Unterschied macht zwischen einem Hit und einem Flop, zwischen dem Sprung zum Star und dem Festkleben in der Bedeutungslosigkeit. Oder eben zwischen dem Status als „egal“ oder „Paria“. Phil Collins’ Management soll übrigens schon zurückgerudert haben, von einem Rückzug aus dem Popgeschäft könne keine Rede sein. Es darf also weiter gelästert werden.
Augsburg
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