Anstand war gestern. Die neuen Businessmodelle für Musiker reichen vielleicht sogar zum Überleben. Man muss nur sich selbst verkaufen können – und am Besten auch noch seine Fans.
Viele Jahre lang ließ sich das Musikgeschäft relativ simpel beschreiben: Künstler produzierten Musik, die von möglichst vielen Leuten gekauft werde sollte. Eine Palette von Maßnahmen diente der Bekanntmachung des Künstlers und seines Werks: Konzerte, Airplay in Radio und Fernsehen, Medienpräsenz sowieso. Diese Zeiten sind bekanntermaßen vorbei. Was vormals Promotionmaßnahmen waren, ist inzwischen – mitunter sogar gleich strategisch angepeilte – Einnahmequelle. Ganze Agenturen beschäftigen sich ausschließlich damit, Musik in Werbung, Soundtracks oder Fernsehserien unterzubringen und so Einnahmen zu generieren. Der Verkauf von Musik an den “Endnutzer”, also den Hörer, gilt zumindest perspektivisch als hoffnungslos gestriges Modell, geschäftlich interessant gerade mal für internationale Megastars oder in einem rührend anachronistischen DIY-Kosmos. Die Zukunft des Musikhörens ist “Streaming”, sogar im diesbezüglich eher konservativ veranlagten Deutschland beginnen sich nach der prinzipiellen Klärung der Rechteverteilungsfragen im letzten Jahr die Streaming-Dienste durchzusetzen, rund ein Dutzend Anbieter tummeln sich auf dem Markt.
Musiker an sich sind darüber naturgemäß nicht wirklich glücklich, geradezu lächerlich wirken die Ausschüttungen, die sich im Prozent-Cent-Bereich pro gehörtem Song bewegen. Allein sind sie damit indes nicht. Auch die Anbieter an sich stehen derzeit noch allesamt knietief im Minus. Denn das Geschäftsmodell mit den 9,90-Abos für alle Musik der Welt ist mehr als fragil und lässt sich sogar bei aggressiv positiver Entwicklung der Abonnentenzahlen nur über betriebswirtschaftlich heikle Effekte ins schmale Plus drehen. Die stehen allesamt in Zusammenhang mit exorbitanten Nutzerzahlen. Nur, dass die enorm schwierig zu erzielen sind, vor allem auch deshalb, weil es einen omnipräsenten Platzhirsch – Spotify – gibt, der derzeit den Großteil des erwünschten Abokundenzuwachses einheimst. Dieser Zuwachs ist also der Dreh- und Angelpunkt von Geschäftsmodell und, klar, Konkurrenzkampf.
Zehn Dollar ist jeder neue Abonnent dem Streamingdienst Rdio jetzt wert. Direkt ausbezahlt an die Künstler, die ihre Fans zum Service leiten. Das “Artist Program”-wurde soeben vorgestellt, es ist ein mehr oder weniger klassisches Affiliate-Konzept, das über identifizierbare Links Rückausschüttungen bietet. Begleitet wird das selbstverständlich mit technischem Support und einem Rundumpaket zur Einbindung des Angebots in die diversen Künstler-Präsenzen. “Share your music and the music you love with fans online”, heißt das im schönen Werberslang natürlich.
Dabei geht Rdio ziemlich in die Vollen. Zehn Dollar ist weit mehr, als ein Künstler am Verkauf eines “physischen Tonträgers”, also einer CD, verdient, immer noch das bisherige Einnahmen-Nonplusultra einer beliebigen Band. Eine Summe, für die man auch bei Rdio viele Tausend Klicks auf die eigenen Songs benötigt. Der Fan kann also als Abonnent – so die Masche – “seine” Band unterstützen und zwar zum gefühlten Nullkostenpreis, weil ja eh jeder irgendwann auf irgendeinen Streamingdienst zurückgreifen muss. Es ist – grob gerechnet – die Summe, die ein Monatsabo generell kostet, klingt irgendwie per se logisch als Größenordnung. Die Kalkulation für den Dienst dürfte indes etwas weniger übersichtlich aussehen. Er muss von den zehn Euro noch Technik- und Logistikkosten tragen, Mitarbeiter, Urheberrechte und Lizenzierungskosten bezahlen. Am Ende dürfte eine Vorleistung von drei oder mehr Monaten Abo-Zeit im Raum stehen, die es für eine Nullsummenrechnung der Firma benötigt, die sich erst durch die entsprechende Verweildauer der Abonnenten überhaupt rechnen kann. Das ist rein geschäftlich hoch gepokert, aber vielleicht tatsächlich der Ansatz, um sich im heiß umkämpften Markt eine bessere Position zu verschaffen.
Der Pferdefuß hat mit Business sehr wenig, mit künstlerischem Selbstverständnis hingegen sehr viel zu tun. Denn wer das Ganze skeptisch sieht, könnte schnell der Meinung sein, hier ginge es am Ende um das Verschachern von Fans an die Entertainment-Industrie. Was rein sachlich sicher alles andere als falsch ist. Es passt zum generellen Missverständnis der Rolle von Konsument und Ware im Informationszeitalter. Der Nutzer ist nicht mehr Kunde, sondern Ware. “Targetgroup” für Werbung oder eben Zahlvieh für Abodienste. Musiker sind in dieser Logik nur noch “Tools” mit spezifischer sozialer Userbindungs-Kompetenz, die Firmen Zugang zu neuen Warengruppen – Fans – erschließen.
Das wiederum gehört zum Bild des, zumindest geforderten, Selbstverständnis von Musikern im freien Wirtschaftsraum außerhalb öffentlicher Kulturförderung. Es ist eine Vorstellung vom Künstler als sich selbst vermarktende Kreativwirtschaftszelle, die seit Anbeginn der Filesharingdiskussion im digitalen Zeitalter seitens der Netz-Apologeten als nicht mehr verhandelbar gilt. Realität ist, dass Vermittlungsinstitutionen – im klassischen Fall einer Band ist das ein Label mit entsprechender Veröffentlichungs- und Promotionkapazität – mangels Gewinnmarge zunehmend ausgeschaltet werden. Neben Nischen-Spezialisten haben nur große, weltweit operierende Firmen, in der Regel Majors, eine Chance, ihre “Produkte” noch soweit in den Markt zu pushen, dass angemessene Profite denkbar sind. Nur die Aussicht darauf macht das uralte Prinzip des “Vorschuss” möglich, der überhaupt erst die professionelle Produktion von Musik und allem Drumherums-Krims möglich machte. Das Wegbrechen dieses Prinzips soll – so geht die Ideallehre – mit Crowdfunding aufgefangen werden. Denn wer anders als die Fans eines Künstlers könnte am Besten beurteilen, was er selbst gern bekommen würde?
Die Crowdfunding-Erfolgsmeldungen sind spektakulär, die Statistiken beeindruckend. Über die Hälfte aller Musik-Projekte bei Kickstarter, der weltweit führenden Crowdfunding-Plattform, führten beispielsweise zum Erfolg. Das ist ein Wert, der weit über allen Erfolgsprognosen einer Bewerbung um einen herkömmlichen Plattenvertrag liegt. Allerdings kriecht eine Band dafür auch gern zu Kreuz. Die allgemein anerkannten Regeln des Crowdfunding verlangen nämlich ein Portfolio an Gegenleistung, das mit dem vormals in der Musikindustrie üblichen Deal – Musik gegen Geld – nur noch im Minimalbereich zu tun hat. Wer hier Geld hinlegt, darf im Allgemeinen auch besondere Dienste verlangen, die nicht selten die Präsenz der Band an sich und die besonders enge Kommunikation mit dem Geldgeber einbeziehen. Der ist übrigens nicht “Investor” – wie in der richtigen Wirtschaft und auch bei einer herkömmlichen Plattenfirma – sondern eher Mäzen. Weniger interessiert am auch zählbaren Erfolg eines Künstlers als an ihm selbst. Ein Fan halt. Für dessen Interesse man sich – um es mal skeptisch zu formulieren – zum Affen machen muss. Womit wir wieder beim Rdio-Angebot sind. “Das einzig Wahre am Rock ’n’ Roll ist, dass wir jede Mark, die wir bekommen, selber verdienen. Alles andere ist Subventionstheater. Alles andere ist Straßenmusik. Aber ich möchte kein Straßenmusiker sein. Das ist eine Frage des Respekts oder des Anstands.” Das hat Sven Regener in seiner viel beachteten aber wenig sezierten “Wutrede” vor anderthalb Jahren gesagt. Da könnte man dann vielleicht doch nochmal drüber nachdenken.
Jörg Augsburg
(Bilder: Screenshots rdio.com)
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