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INVSN im Interview

Auf manch hartgesottene REFUSED-Fans mag die dunkle Gesichtsbemalung, mit der sich Dennis Lyxzén neuerdings vor Gigs ein animalisches Aussehen verpasst, etwas bizarr wirken, wie auch der Sound seiner neuen Band INVSN (stilbewusste Kurzform für „invasion“), deren selbstbetiteltes englischsprachiges Debüt-Album „INVSN“ seit dem 30. Mai auch über europäische Ladentheken geht. Anlässlich des Releases haben wir Dennis Lyxzén und Kajsa Bergsten für euch in Dresden gesprochen.

So ist das nun mal, wenn vielseitige Talente unermüdlich an ihrer Entfaltung arbeiten: „Als richtiger Musiker will man sich ja immer herausfordern, Neues ausprobieren, kreativ bleiben. Wenn du auf REFUSED stehst und Musik magst, dann wird dir INVSN sicher gefallen. Wenn du nur auf Hardcore abfährst, könnte INVSN für dich etwas poppig klingen“, kommentiert Lyxzén mit einem breiten Lächeln, während wir – er (Gesang), Kajsa (Gitarre und Gesang) und ich – uns vor dem Dresdner Beatpol von der Juni-Sonne wärmen lassen. Die restlichen Bandmitglieder bereiten inzwischen den Soundcheck für das Konzert am Abend mit AGAINST ME! vor. „INVSN ist eine komplett neue Band, in der es vor allem um Musik geht“, meint der schmale, ganz in Schwarz gekleidete Blondschopf.

Lyxzén ist bekanntlich besessen von Musik: In den 90ern fegte er als hyperagiler Frontshouter der schwedischen Hardcore-Legende REFUSED über die Bühne und im Video zu „New Noise“ kopfüber bei MTV über die Mattscheibe. Anschließend wurden seit 1998, nach dem Abdanken von REFUSED, bei THE (INTERNATIONAL) NOISE CONSPIRACY marxistische Weisheiten verpackt in 70s-Jam-Rock’n’Roll unter die Massen geschmuggelt. Nebenbei widmete sich Lyxzén mit THE LOST PATROL BAND punkigem Power-Pop und mit AC4 ging es Ende der 2000er Jahre zurück zu geradlinigem Hardcore-Punk. – Warum denn nur um alles in der Welt an einem Projekt dranbleiben, sei dies auch noch so erfolgreich? Schließlich war Punk auch irgendwann mal „dead“ – oder wurde dazu erklärt – nur um sich im nächsten Moment wieder neu zu erfinden.

„Go to the one place the one place you always wanted to go regardless of bullshit considerations and excuses“, hieß es im Jahr 2000 im Booklet zur T(I)NC-Platte „Survival Sickness“. Für Lyxzén ist dieser Ort seit 2008 INVSN. Mitgereist sind einige alte Bekannte: Sara Almgren (Bass, Gesang) dürften viele noch als T(I)NC-Keyboarderin kennen, Anders Stenberg (Gitarre, Keyboard) und André Sandström (Schlagzeug) spielten bereits bei THE LOST PATROL BAND.

Verglichen mit den vorherigen Bands, sind bei INVSN ziemlich viele Frauen mit an Bord. Wie kam das?

Kajsa: „Ich denke nicht, dass wir in der Band sind, weil wir Frauen sind. Wir sind dabei, weil wir sehr gut spielen. Zudem sind wir gute Freunde. Wenn wir allerdings andere Frauen dazu inspirieren, mehr gute Musik zu schaffen, ist das eine feine Sache.“

Dennis: „Ja, definitiv. Viele Frauen-Bands bekommen ja selten die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Oft heißt es dann: Sie sind wirklich gut – für eine Frauen-Band. Wenn die Musik gut ist, spielt es jedoch keine Rolle, ob sie von Frauen oder Männern gemacht wird.“

Bei INVSN trifft minimalistisch melodiöser New-Wave auf dystopische Pop-Punk-Attitüde – viel klarer und weiter Hall auf zackige Beats, woraus sich am Ende der Songs gerne eine disharmonische Fuzzkulisse aufbaut und damit die musikalische Herkunft der Mitglieder verrät: „Wir alle haben schon in verschiedenen Punk- und Hardcore-Bands miteinander gespielt. Das ist unser Background, politische Songs und so. Das merkst du vor allem, wenn du uns live siehst. In den Texten geht es nach wie vor auch um Politik, nur ist die Perspektive eine andere, da der Sound natürlich eine Wirkung darauf hat, wie du über etwas singst“, meint Lyxzén. Die Bands, von denen Lyxzén spricht, wie MASSHYSTERI, THE VICIOUS oder THE LOST PATROL BAND, entspringen allesamt der lebendigen Musikszene in Umeå, einer Stadt im tiefen Norden Schwedens, und sind zumeist bei dem dortigen Label Ny Våg Records (deutsch: Neue Welle). Zusammen mit seinem T(I)NC-Kollegen Inge Johansson, der inzwischen bei AGAINST ME! den Bass anschlägt, hat Lyxzén Ny Våg 2005 gegründet.

Stellt sich nun die Frage, wann und warum der New-Wave-Sound ins Spiel kam:

Dennis: „INVSN hat ja bereits zwei Alben auf Schwedisch veröffentlicht. – Als wir mit der Band begannen, wollten wir einfach in eine ganz neue Richtung. Uns war schnell klar, wo es hingehen sollte. André, unser Drummer, zeigte uns seine Songideen. Damals fing ich an, auf Schwedisch zu texten, was man dem Inhalt der Lyrics und den Songs allgemein anmerkt. Der Sound ist sehr inspiriert von der abgelegenen Gegend, in der wir leben. Dort ist es für einige Monate im Jahr sehr dunkel.“   

Einer eurer Songs, „Västerbotten“, ist nach der Region benannt, aus der ihr kommt. Zudem kann man sich auf dem INVSN-Kanal bei Youtube kurze Videoclips ansehen, in denen ihr Bilder von der Natur in eurer Region mit den Songs eures aktuellen Albums unterlegt. Inwiefern zeigt sich hier ein gewisser Lokalpatriotismus?

Dennis: (lacht) „Mh, vielleicht ein bisschen? Viele Leute ziehen heute nach Stockholm, Berlin oder London, um Musik zu machen. Wir fühlen uns jedoch weniger daheim in einer urbanen hippen Szene. Wir sind schon stolz darauf, dass wir immer noch in Umeå leben und gleichzeitig als Band international unterwegs sein können. Das spiegelt sich in unseren Texten und in unserer Musik wieder und das wollten wir mit den Videos zeigen. Es ist einfach sehr schön dort, wo wir leben, fast am Polarkreis, acht Stunden nördlich von Stockholm. Das Video zu „Down in the shadows“ vermittelt die dortige Stimmung sehr gut.“

Hast du die Songs dann für euer drittes Album übersetzt?

Dennis: „Ja, daraus ist unser englischsprachiges Debüt entstanden. Ich denke, die Übersetzungen sind ganz gut gelungen. Textlich habe ich natürlich manches geändert. Das sind ja keine Google-Translate-Übersetzungen. Teilweise hören sich die Texte auf Englischen sogar besser an als auf Schwedisch. Als wir mit der englischsprachigen Albumversion fertig waren, dachten wir erst, dass wir die schwedische nicht mehr brauchen. Aber wir spielen die Lieder weiterhin auf unseren Konzerten. Es macht Spaß, die Songs mal auf Englisch, mal auf Schwedisch zu singen.“

Gesanglich gesehen, ist die Platte eine der besten, die ich von dir kenne. Obwohl die Musik insgesamt ruhiger ist als bei deinen vorherigen Bands, ist dein Gesang an vielen Stellen immer noch ziemlich kraftvoll und eindringlich. Zugleich singst du sehr einfühlsam, was gut zu den existentialistischen Inhalten passt, die du oft in cleveren Metaphern ausdrückst …

Dennis: „Ich habe eine lange Zeit sehr offensive Texte geschrieben. Als ich dann anfing auf Schwedisch zu schreiben, veränderte das auch meinen Ausdruck. Schwedisch ist eine sehr melodische Sprache, die sich gut zum Singen eignet. Wir alle hören viel schwedischsprachige Musik, zum Beispiel von Mattias Alkberg, ein sehr talentierter Dichter, Songwriter und Indierockmusiker. Als ich seine Texte hörte, die Art und Weise, wie er das Leben beschreibt, war ich fasziniert. Ich wollte auch solche Texte schreiben. Ich meine, ich schreibe sehr gern auf Englisch. Englisch ist einfach die Sprache des Rock ’n’ Roll. Aber Schwedisch ist meine erste Sprache, sie ist mir vertrauter und daher entstehen die Texte auf eine sehr direkte Art.“

… wie zum Beispiel im Song „Our Blood“. Worum geht es hier?

Dennis: „Der Song richtet sich gegen Rassismus. „Blut“ steht hier für die Ängste und Sehnsüchte, die alle Menschen in gewisser Weise haben. Wir sind alle nur Menschen und durch unsere Adern fließt Blut. Das sieht immer gleich aus und es riecht gleich, egal ob du in Deutschland, im Sudan, in Syrien oder in Schweden zur Welt gekommen bist.“                       

Auch „Down in the shadows“ und „Hate“ haben diese charakteristische Energie, die das Album „INVSN“ ausmacht. Beide Songs beschreiben auf unterschiedliche Weise sehr ähnliche Erfahrungen, oder?

Dennis: „Ja, im Wesentlichen geht es darum: Wenn du aufwächst, erfährst du so viel Druck von allen Seiten. Alle – ob in der Schule, daheim bei deinen Eltern oder die Leute, mit denen du Tag für Tag zu tun hast – alle wollen sie dir vorschreiben, was du zu tun und zu lassen hast und was aus dir werden soll. Da musst du Stärke in dir entwickeln: In unserer Band sind wir alle als Punkrock-Kids in diesen kleinen Ortschaften aufgewachsen, wo ein recht intolerantes rassistisches Klima herrschte. Das war Ende der 80er, Anfang der 90er. Die Leute dort hassten Punks. Sie dachten, wir seien völlig verrückt. Als Jugendlicher hasste ich diese Leute. Ich dachte mir: Fuck you! Bescheuerte Idioten! Ich werde mein Leben so leben, wie ich es will. Das ging allen von uns so. – Der springende Punkt ist jedoch, dieses Gefühl, diese Mischung aus Hass und Übermut, zu nutzen, es zu überwinden und aus dieser Energie etwas Positives und Konstruktives zu schaffen. Das rettet dich, es macht dich stark, es hilft dir eine Persönlichkeit zu entwickeln und hat uns schließlich zu dem werden lassen, was wir heute sind. Wie du siehst, sind wir sehr freundliche Menschen, oder? (lacht)

Mit der sprachlichen Hinwendung zum Schwedischen dürfte es Lyxzén auch gelungen sein, sich in seiner Heimat als Singer-Songwriter zu etablieren. Mitte Juni veröffentlichte er gemeinsam mit schwedischen Rock-Größen wie Stefan Sundström und Ebbot Lundberg (THE SOUNDTRACK OF OUR LIVES) in der Boulevardzeitung Aftonbladet einen Offenen Brief, der sich dagegen wandte, dass die Organisatoren des Festivals Peace & Love World Forum auf Druck eines ihrer Haupt-Sponsoren, eine auflagenstarke Tageszeitung, die Stockholmer Hiphop-Gruppe KARTELLEN ausladen wollten. Angeblich seien die Texte ihres Rappers Sebbe Staxx zu provokant.

„Er beschreibt die Gesellschaft, wie er sie mit seinen Augen sieht. So wie auch wir. Keiner von uns kann als politisch neutraler Künstler bezeichnet werden und uns interessiert das auch nicht. Wir beschreiben die Welt, in der wir leben mit unseren Gedanken und hoffen, dass sie dadurch zu einem besseren Ort wird. Das sind auch die Ideale des Festivals Peace & Love, oder? – Ideale, die sich das Festival angesichts der Erpressung durch die Sponsoren, nicht mehr leisten kann. – Das nächste Mal ist es womöglich unsere Musik, die den Sponsoren nicht gefällt“, hieß es in dem Brief und einige der Verfasser drohten damit, ihren Auftritt bei Peace & Love abzusagen. Bereits einen Tag nach der Veröffentlichung des Briefs, entschied sich die Festival-Organisation, KARTELLEN im Programm zu behalten und kündigte stattdessen den Sponsoren.

Wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist und die Tour im Juni verpasst hat, darf sich auf September freuen. Denn dann wollen INVSN in Europa wieder auf Tour gehen. Bis dahin könnt ihr schon mal in ihre neue Platte reinhören:

INVSN – INVSN

Unter Schafen/ Al!ve

VÖ: 30.05.2014

 

(Fotos: Community Promotion, Interview & Text: Anne Gläser)

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