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Weniger Musikpiraterie? Alles ganz legal hören? Und es kostet nix? Gibt es. In Schweden.
Kommt auch aus Schweden: Robyn.
“Ach, Schweden, komm und gib mir deine Hand, oh du beneidenswertes Land”, sangen Die Ärzte vor ein paar Jahren. Und obwohl sie damit alles andere als Schweden meinten, ist es doch eine Begeisterung, die mit prophetischen Qualitäten aufwarten kann. Zumindest für jene, die sich mit den Entwicklungen der Musikwirtschaft beschäftigen, denn aus deren Sicht ist Schweden das Land der guten Nachrichten. Schweden gilt ja schon seit Jahr und Tag als das Kernland der skandinavischen Popmusik-Explosion. Es ist – nach dem immer noch als Maß aller Dinge geltenden Großbritannien – das dynamischste und europaweit erfolgreichste Pop-Exportland, dessen unablässiger Strom an bemerkenswerten Musikern inzwischen nicht mehr nur die Indieclubs bestückt, sondern – mit Flaggschiff Robyn – auch im ganz großen Popgeschäft Fuß zu fassen beginnt.
Noch interessanter ist jedoch fast, was sich im Hintergrund tut, bei den schwedischen “Endverbrauchern”. Um 25 Prozent hat die Musikpiraterie in Schweden in den letzten zwei Jahren abgenommen. Das vermeldet eine aktuelle Studie, die regelmäßig die Musiknutzung der Schweden im Alter von 15 bis 74 Jahren untersucht. Das an sich wäre natürlich eine gute Nachricht für die ansonsten immer noch schwer gebeutelte Musikindustrie. Zumindest, wenn man die unablässigen Jammertiraden ernst nimmt, mit denen die Lobby-Vertreter der Musikindustrie die “Musikpiraterie” – man muss den Begriff angesichts seiner schwammigen Generalisierung etwas distanziert betrachten – mindestens für den Untergang des Abendlandes verantwortlich machen. So einfach ist es jedoch nicht, denn dieser Erfolg ist vor allem ein Hinweis auf die mannigfaltigen Versäumnisse, die sich die Musikindustrie seit ziemlich genau zehn Jahren hinter die Ohren schreiben lassen muss. Verknüpft ist dieser Rückgang nämlich mit einem ganz konkreten Umstand: Es gibt in Schweden ein sehr gut aufgestelltes, weithin akzeptiertes und eben zunehmend genutztes legales Angebot für “Musik aus dem Internet”. Seit der Streamingdienst Spotify Anfang 2009 an den Start ging, sinken die Zahlen der Musikpiraterie in Schweden.
Spotify gilt derzeit als der weltweit am besten organisierte und sowohl technisch als auch inhaltlich am weitesten ausgereifte Streaming-Anbieter für Popmusik. Er verfügt über ein weit umfangreicheres Angebot als alle anderen legalen Anbieter und hat es geschafft, Musikhören per Internet für die “opinion leader” akzeptabel zu machen, vor allem aber auch für die breite Masse der Musikkonsumenten, die einfach nur schnell das finden wollen, was sie in diesem Moment gerade hören möchten. Es ist der eigentlich simple Trick, der seit Anbeginn von Popmusik gilt: Im Plattenladen deiner Wahl muss die Platte deiner Wahl vorrätig sein. Und der Verkäufer muss dir noch eine zweite aufschwatzen, die du vorher noch nicht kanntest, die aber ganz genau deinem Geschmack entspricht. Dieses Prinzip unter Jetztzeitbedingungen umzusetzen, gilt immer noch als die große Herausforderung. Dass man Inhalt – also Musik – nicht mehr unbedingt besitzen, sondern nur noch nach Bedarf nutzen will, ist der allgemeine Trend, dem auch Videoportale wie YouTube ihren Erfolg verdanken.
Es ist das vielfach beschworene Modell eines konkurrenzfähigen legalen Angebots, das zwei Grundvoraussetzungen mit sich bringen muss: die Möglichkeit der kostenlosen Nutzung und ein ausreichend großes Angebot. Spotify ist kostenlos nutzbar, die Basisversion ist werbefinanziert. Premium-Nutzer zahlen eine sehr faire monatliche Gebühr – um die zehn Euro liegt die für die HiEnd-Nutzung, reiner Werbeverzicht und unlimitierte Streams sind schon für die Hälfte zu haben. Und Spotify verfügt über den umfangreichsten und aktuellsten Katalog an Musik, man findet also mit hoher Wahrscheinlichkeit, was man gerade hören will. Das wiederum ist auch der entscheidende Schwachpunkt. Denn die Rechte für diesen Umfang an Musik hat Spotify derzeit nur in acht Ländern. Neben Schweden sind das unter anderem Frankreich, Großbritannien und neuerdings auch die USA. In Deutschland ist Spotify nur über technische Tricks wirklich nutzbar, was also rechtlich gesehen illegal ist. Etabliert hat sich hierzulande stattdessen vor allem last.fm, dessen Angebot und technische Umsetzung allerdings weit hinter Spotify agiert.
Schuld ist – war ja klar – natürlich die GEMA. Denn die ist vor allem zuständig für die Rechtevergabe von in Deutschland genutzter Musik. Dass die Position der GEMA in Sachen Nutzungsrechte für Musik nicht eben pragmatisch ist, kann sich jeder bei YouTube anschauen – beziehungsweise eben nicht. Inzwischen schiebt nicht nur YouTube-Besitzer Google der GEMA den Schwarzen Peter in Sachen Rechte-Poker zu, sondern auch die Majorindustrie. Die hätte gern den Spatz in der Hand, also wenigstens ein paar Einnahmen statt gar keiner. Der GEMA – und vielen ihrer Mitglieder – ist das jedoch nicht genug. Denn tatsächlich sind die Erlöse aus den Streamingdiensten auf den ersten Blick lächerlich. Sie bewegen sich im Promille-Euro-Bereich pro Abruf eines Stücks, sind also in keinster Weise mit dem Erlös beim Verkauf eines Tracks vergleichbar. Aber die Zeiten haben sich halt geändert. In Schweden hat man das zuerst begriffen. “Ach, Schweden, alte Hütte, altes Pferd – warum hast du dich nicht vermehrt? Auf dass die ganze Welt erfährt: Zwei Schweden wären nicht verkehrt.” Wo Die Ärzte Recht haben, haben sie Recht.
Augsburg
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