(Foto: PIAS)

Wo die Jezabels hintreten, wächst erst mal keine gute Laune mehr. Die Liebeskummersoundtrackband aus Australien hat schon drei EP´s und ein Debütalbum lang die Grenzen des ertragbaren Pathos in der Popmusik weiter in Richtung "alles ist möglich" verschoben. Selbst die gefühlsduseligsten Bands der Achtziger wirken gegen die inbrünstigen Jezabels wie Kraftwerk. Nik, der in dem gemischten Doppel am Schlagzeug sitzt, findet die perfekte Vokabel für die markanteste Zutat: Drama. Weil der Flug nach Deutschland wegen Sauwetter ersatzlos gestrichen wurde, hatte ich Nik nur an der Strippe und wollte wissen, wie das so ist, wenn man in der emotionalsten Band der Welt spielt.

 

Ihr seid geschlossen von Sydney nach London gezogen! Wie kann man nur!?

(lacht) Gute Frage. Mit der Band sind wir ständig unterwegs in der Welt und von Australien ist es überall hin endlos weit, das hat es nicht einfach gemacht.

 

Ich durfte selbst schon durch Australien reisen (wie wohl fast alle Deutschen in meinem Alter) und habe erst dort die Begeisterung für „Indie“-Musik gefunden. Das hatte damit zu tun, dass ich die dortige Musikszene absolut bewundernswert fand. Geschuldet ist das sicher dem großartigen Radiosender „Triple J“. Ist Down Under wirklich so ein Paradies für junge Bands oder übertreibe ich?

Ja Triple J machen so viel für die australische Musikszene und sie sind nicht die einzigen. Da gibt’s zum Beispiel noch den Sender FBI, der eine Menge speziell für die Musik aus Sydney machen. Er gibt den jungen Bands, die noch am Anfang ihrer Karriere stehen, Möglichkeiten, auf sich aufmerksam zu machen. Der nächste große Schritt ist es dann zu Triple J zu kommen, das ist unglaublich, was Airplay dort auslösen kann.

 

Das kann ja nicht der einzige Grund sein, warum es so viele großartige Bands von Down Under gibt.

Es ist schon cool, dass da so viel passiert. Wir, als eine Band, die um die Welt tourt, sind damit auch nur eine von vielen. Die Australier sind musikalisch sehr aktiv und es scheint gut anzukommen in der Welt.

 


The Jezabels – The End on MUZU.TV.

Ihr habt für euer Debut „The Prisoner“ einen der australischen ARIA-Awards bekommen. Seid ihr schon so etwas wie "Superstars" da unten?

Haha, nein, es fühlt sich jedenfalls nicht so an. Wir sind, was das angeht, etwas schüchtern. Aber wir sollten das auch nicht so herunter spielen. Wir haben 2012 Shows gespielt, die größer denn je waren. Keiner von uns fühlt sich wie ein Star, aber es ist schön zu wissen, dass viele Menschen in Australien nun unsere Band kennen.

 

Habt ihr euch, als ihr an „The Brink“ gearbeitet habt, an „The Prisoner“ orientiert und versucht auf bestimmte Dinge zu fokussieren oder etwas wegzulassen?

 

Ja, sehr sogar. Wir wollten die Arrangements etwas kompakter gestalten. Ich persönlich liebe das, was wir auf „The Prisoner“ gemacht haben, aber ich denke wir wollten, dass es kontrollierter wirkt. Somit klingt es auch anders. Wir haben nicht mehr so viel Reverb verwendet wie auf „The Prisoner“, es fühlt sich an wie ein Schritt nach vorne. Dennoch scheint durch, dass es die selben vier Menschen sind, die auch dieses Album geschrieben haben. 

 

Ich hab vor ein paar Jahren ein Interview von euch gelesen, in dem ihr sagt das Hall-Pedal sei so etwas wie euer fünftes Bandmitglied. Davon wolltet ihr also weg kommen?

Ja, aber nicht nur das. Es ging uns im Großen und Ganzen darum, dass alles nicht mehr so verwaschen und geräumig daherkommt, sondern etwas fokussierter.

 

Ihr wart in den letzten Jahren insgesamt über 12 Monate auf Tour. Brechen da nicht irgendwann die Standbeine weg, ich meine, im Sinne eines „heimatlichen“ Zugehörigkeitsgefühls?

Ja es ist komisch, in weniger als einer Woche werde ich aus dem Haus, in dem ich in London gelebt habe, wieder in den Koffer ziehen. Man muss schon der Typ dazu sein, sonst funktioniert das nicht. Man lebt in einem Bus. Ich persönlich bin aber jemand, der es nicht erträgt, zu lange an einem Ort zu verbringen. Anstatt mir über solche Sachen Gedanken zu machen genieße ich lieber zu leben wie ein Blatt in einer Brise. 

 

Auf Tour wart ihr auch mit den ganz Großen, wie Depeche Mode, den Pixies oder Garbage. Die Stimmung und die Arrangements eurer Songs sind ja eigentlich wie gemacht dafür, oder?

Ich denke auch, dass unsere Songs besser in größere Hallen passen. Schon früher in den Clubs haben wir versucht die Songs so mächtig wie möglich klingen zu lassen. Das konnte dann zuweilen sicher etwas übertrieben und peinlich wirken. Wir ziehen diese Orte, an denen sich der Sound ausbreiten kann also vor, es kommt einfach unserem Sound zu gute, aber es ist klar, dass man sich diese Locations erst zu verdienen hat.

 

Ich hab gehört ihr könnt sehr rechthaberische Menschen sein. Wenn man so lange zusammen tourt, muss das die Beziehungen zwischen euch vertieft, aber auch die Angriffsflächen vergrößert haben. Meinst du, auch das hat seinen Weg in eure Musik gefunden?

Definitiv. Wir sind seit sieben Jahren in dieser Band und seitdem haben wir ständig aufeinander gehockt. Natürlich ist das eine strapazierte Beziehung zueinander, die man da hat, und wenn man zusammen Musik machen möchte, dann muss man natürlich dafür sorgen, dass man sich auch sonst versteht, da bleiben auch Konflikte nicht aus, sei es wegen kreativer Differenzen oder persönlicher Meinungen. Es ist gar nicht so leicht, dieses seltsame Gleichgewicht aus Freundschaft und professioneller Zusammenarbeit zu halten. Ich bin echt dankbar dafür, dass wir alle relativ umgängliche Menschen sind und mittlerweile unseren Nenner gefunden haben.

 

Meinst du man kann diese Verbundenheit in eurer Musik hören?

Stimmt, das war die Frage! Ehrlich gesagt … keine Ahnung … wie es sich äußert, ist zum Beispiel, dass wir alle gleichermaßen und instrumentenübergreifend am Songwriting beteiligt sind und unsere Ideen in einen Topf werfen. Haley schreibt die Texte nach wie vor im Alleingang, es wäre eine Katastrophe, würde ich mich da einmischen.

Dank der Namensgebung des Albums („The Brink“) könnte man vermuten ihr standet vor einem Abgrund. Gab es gravierende Probleme?

Der Albumtitel bezieht sich auf Haleys Texte und in denen geht es zumindest unterschwellig häufig um so etwas wie eine Erscheinung am Horizont, die Veränderungen ankündigt.

 

In meinen Augen entsteht die Einzigartigkeit des typischen Jezabels-Sound dadurch, dass eine unverkennbare Melancholie den einzelnen musikalischen Elementen (Riffs, Melodien) übergeordnet ist.

Wir nehmen uns das nicht gezielt vor, aber wir haben gemerkt, dass wir diese Atmosphäre schaffen können. Wir sind vier hochemotionale Menschen und wenn wir uns treffen, fällt das musikalische Resultat dementsprechend aus. Wir haben große Gefühle über große Dinge, also besteht unsere Musik aus ebenso viel Drama. Es mag komisch klingen, aber ich spiele das Schlagzeug live sehr dramatisch, als hätte ich Schmerzen. (lacht) Anfangs haben wir uns vielleicht darüber gewundert, was wir an Dramatik bilden können, nun arbeiten wir bewusster damit.

 

Kevin Shields von My Bloody Valentine sieht Gitarrenmusik gerade in einem Loch. Teilst oder bestreitest du diese Aussage?

Ja, er hat Recht. Manchmal kommt es mir vor, als seien Bands einfach nicht mehr cool und es ginge nun mehr um Solokünstler oder elektronische Musik. Aber ich denke nicht, dass das bedauernswert ist. Außerdem ist das außerhalb der Kontrollierbarkeit des Einzelnen und man kann dem sicher auch Gutes abgewinnen, bzw. immer noch das hören, was man möchte. Auf meinem iPod ist zu 99 % Gitarrenmusik, viele amerikanische Grungebands aus den Staaten.

                                                                                                       

Es stört dich also nicht sonderlich?

Wenn ich etwas mitbekomme, das ich nicht aufhalten kann, dann werde ich es nicht bekämpfen.

​Braucht man eine Art Schutzschild, wenn man jeden Abend die Zuschauer emotional so nah ran lässt? Verbraucht man sich?

Ich würde nicht sagen, dass wir einen Schutz aufsetzen.  Nicht, dass wir Schauspieler wären, aber im Endeffekt ist das, was wir machen, eine Performance. Natürlich muss man auf der Bühne jemand anderes sein, we compartmentalize. Aber nicht nur auf der Bühne ist das so, auch im Alltag passt man sich den Situationen an. Wenn ich auf der Bühne am Schlagzeug sitze, darf ich nicht in's Publikum gucken, ansonsten würde ich wohl sofort von der Bühne laufen.  

(Marc Augustat)