Ein gebürtiger Schotte und doch ein Kind dieser Stadt. Jim Kroft über Berlin, seine Einflüsse und den beschwerlichen Weg vom Hausbesetzer zum Solo-Künstler.
Er mag von der Insel kommen, doch der Großteil seines musikalischen Schaffens fand auf den 891 Quadratkilometern statt, die er seit 2007 seine Heimat nennt. Jim Kroft hat – wie so viele – die Liebe zur Musik nach Berlin getrieben. Wie so vielen hat es die Stadt ihm aber auch nicht leicht gemacht: Keine Wohnung, Auflösung der Band, ein Leben im Exzess – klassische Hindernisse, die es zu überwinden galt, bis er schließlich auf den Erfolg und die mittlerweile dritte Platte zurückschauen konnte. „Mit Lunatic Lullabies habe ich jetzt begriffen, wie sehr der Mensch zu kämpfen hat. Jeder von uns sieht durch ein Kaleidoskop aus Glück, Depression, Hochs und Tiefs, Verlust und Triumph – Du kannst dem Lebenszyklus nicht entkommen.“
Jim Kroft erzählte uns, welche Seiten von Berlin er kennen gelernt hat, wie er die Entwicklung der Stadt wahrnimmt und wie sie sein musikalisches Schaffen bishin zu seinem kürzlich erschienen Album beeinflusst hat.
motor.de: Ist dir vielleicht schonmal vorgekommen: Du fährst mit der U-Bahn und siehst einen jungen Musiker, der für etwas Kleingeld spielt. Was geht dir dabei durch den Kopf?
Jim Kroft: Interessante Frage, weil mir das fast täglich passiert. Als erstes hab ich Mitgefühl. Es erinnert mich an meinen eigenen Weg. Ich frag mich, ob ich das wirklich alles durchgezogen hätte, wenn ich vorher gewusst hätte, was da vor mir liegt. Ich habe großen Respekt vor Straßenmusikern und fühle mich ihnen verbunden, ob sie „es schaffen“ oder nicht. Es ist eine hartes Umfeld für Musiker heutzutage. Ich meine alle Rock’n’Roll Ikonen hatten Unterstützung: Ob U2 oder Primal Scream. Es gab den Rahmen, den Fahrplan, die Industrie und das Geld in den Plattenfirmen.
Wenn ich den Straßemusiker sehe, frage ich mich, wie viele berühmte Bands der Musikgeschichte es wohl in der heutigen Situation geschafft hätten überhaupt ein erstes oder zweites Album rauszubringen. Heute kann man sehr schnell „hip“ und angesagt sein, aber daraus keine dauerhafte Karriere aufbauen. Es geht nicht allein mit Zeitgeist. Man braucht Mut und darf sich nicht von den weltlichen Umständen verbiegen lassen. Daher denke ich, ist Straßenmusik vielleicht der richtige Anfang – sie bedarf Überwindung, Hingabe und Energie. Eine guter Freund von mir – Ben Wuyts – ist wahrscheinlich einer der aktivsten Straßenmusiker in Berlin.
motor.de: Seit 6 Jahren ist Berlin deine Wahlheimat. Wie empfindest du die Entwicklung der Stadt? Wo lebst du jetzt?
Jim Kroft: Berlin ist Berlin und es ist einfach ein riesiges, kreatives Zentrum, egal wie zynisch die Leute darüber reden. Man hört immer mal wieder jemanden sagen: Berlin ist vorbei und dann muss ich immer lachen. Berlin ist so viel exzentischer und energiegeladener als man allein begreifen kann. Die Stadt erfindet sich ständig neu. Sie ist radikal und unaufhörlich schön.
Aber in der Zeit in der ich hier lebe musste ich auch paar sehr traurige Dinge erleben: Die Dummheit von Stadtplanern und Bürokraten, die keine Ahnung davon haben, wie man das erhält, was Berlin so einzigartig macht. Berlin ist nicht so hübsch wie Paris und nicht so alt wie London, aber es trägt seine Narben und sein kulturelles Erbe auf eine Weise, die immer zeitgenössisch, charmant – und ja, auch hip! – ist. Andere Städte können davon nur träumen. Also warum werden kulturelle Institutionen wie Tacheles oder Bar 25 geschlossen und warum müssen wir um die East Side Gallery kämpfen? Von diesen Wahrzeichen und Projekten leben die Menschen hier und sie bringen Leute von außerhalb dazu, nach Berlin zu kommen. Ich persönlich lebe seit 2009 in Neukölln. Die Stadt wird immer teuerer und ich hoffe nur, dass das auch den Künstlern und Kommunen zugute kommt, die sie ausmachen. Aber was auch passiert – die Kunst findet immer einen Weg.
motor.de: Du bist jetzt unter Vertrag mit dem Major-Label EMI. Wie sehr bist du mit deiner Arbeit noch verbunden und was hat sich geändert? Hast du oft Schwierigkeiten, deinen Willen gegen den des Produzenten durchzusetzen?
Jim Kroft: Berechtigte Frage. Ich war sehr glücklich mit EMI, weil sie zu mir kamen und sagte: „Wir mögen, was du machst und wollen, dass du es weiterhin tust. Wie können wir helfen?“ Ich hatte schon zehn Songs für das Album aufgenommen und hab nach der Kohle für weitere sechs gefragt. Also ist es eher ein Independent-Album mit Major-Vermarktung. Man hat mich mit einem sehr guten Team unterstützt und mir ehrliches Feedback gegeben, ohne aber in den kreativen Prozess einzugreifen. Daher stehe ich 100% hinter dem Album. Und ich wäre kein Musiker, wenn es nicht so wäre.
Man verdient so wenig Geld mit Musik, dass man, wenn man nicht stolz auf das ist, was man macht auch gleich irgendeinen Job machen kann, bei dem man auf jeden Fall besser bezahlt wird. Und die Zukunft bleibt ungewiss, auch weil EMI von Universal aufgekauft wurde und unklar ist, was aus den Newcomern wird. Ich weiß nur, dass ich für den nächsten Schritt bereit bin, ob mit Major, Independent oder allein in einer kleinen Bühne mit einem Hefeweizen und ein paar Leuten, die sich mein Zeug gern anhören.
motor.de: Deine Musik scheint eine Vielzahl von Einflüssen zu haben. Wenn du in einem riesigen Plattenladen wärst, welche drei alten und welche drei neueren Platten würdest du dir kaufen, weil du sie inspirierend findest?
Jim Kroft:
The Beatles – White Album (Die Menge an Musik, die einfach aus ihnen herauskam. Nicht zu viel drüber nachdenken, einfach aufnehmen.)
Nirvana – In Utero (Nimm jedes Album auf, als wäre es dein letztes.)
John Coltrane – Blue Train (Der Klang nach Freiheit.)
Elbow – The Seldom Seen Kid (Die Musikalische Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Songs.)
The Ghost of Tom Joad – Black Music (Großartiges Album einer deutschen Band. Zeigt aber, wie hart es ist, als europäischer Act international anerkannt zu werden.)
Alt-J – An Awesome New Wave (Die Hochzeit von Beat-Lyric mit Avantgarde-Rhythmen. Es verdient den Erfolg!)
motor.de: Man merkt, dass sich bei dir auf dem Weg von „The Hermit and The Hedonist“ zu „Lunatic Lullabies“ einiges im Songwriting getan hat und du immer mehr musikalische Experimente machst. Ist das Zufall oder intendiert?
Jim Kroft: Eigentlich beides. Die Songs auf „The Hermit and The Hedonist“ waren eine Herausforderung was die Harmonien angeht, gerde Songs wie „Modern Monk“. Je mehr die Songs musikalisch ausarten, desto mehr musst du darüber nachdenken, wie du sie aufnimmst, ohne dass die ursprüngliche Intention verloren geht.
Mit „Lunatic Lullabies“ wollte ich ein simpleres, elementares und raues Album machen. Der Vorteil ist, dass man somit im Aufnahmeprozess mehr herumexperimentieren kann und dabei viel Spaß hat. Ich wusste, dass ich ein Album mit einer modernen Ästhetik schaffen wollte. Ich habe mich der elektronischen Seite geöffnet. Vom Minimal Electro beeinflusste Tracks „Treads“ oder „The Hooligan Army“ werden sowohl vom Rhythmus Berlins getragen, als auch von den Rädern des Tourbusses, der mich durch ganz Europa gefahren hat, während ich das Album schrieb.
motor.de: Welchen Einfluss hatte Berlin über all die Jahre auf dich?
Jim Kroft: Von durchfrorenen Nächten in einem leerstehenden Haus, über sechs Abende in Folge auf der Bühne im Zapata, der Krise als sich meine Band auflöste und der Einsamkeit am Beginn der Solo-Karriere, bis hin zum Plattenvertrag hab ich hier alles erlebt. Seit ich hier bin war Berlin ein Kaleidoskop aus Erfahrungen und Abenteuern.
Ich konnte das Licht und den Schatten des Rock’n’Roll hier finden. Je verrückter es wurde, desto mehr verlor ich mich darin. Berlin kann dir alles geben, zwang mir aber eine Bedeutung von Hedonismus auf, die sich im Genuss erschöpfte, wodurch das Wort seinen peotischen Charakter verlor. Erst als ich „The Hermit and The Hedonist“ schrieb, erlebte ich das Gegenteil. Ich musste clean werden, einiges verdrängen, erneuern, wiederbeleben, bei Null anfangen. Das Album war eine Antithese zu dem, wie ich Berlin kannte, eine Reflexion, ein isolierter Blick von Außen ins Innere.
„Lunatic Lullabies“ empfinde ich dagegen als eine Synthese aus meinen gegensätzlichen Erfahrungen der Stadt. Es ist eine Mischung von individuellen Erfahrungen, kombiniert mit den modernen Klanglandschaften, die hier in dein Bewusstsein eindringen.
Text + Interview: Tim Hoppe
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