Fußscharren vor der Berghain-Kantine. Alle wollen die bezaubernde Kalifornierin Julia Holter sehen. Doch die Plakate vermelden: ausverkauft!

(Foto: Windish Agency)

Drinnen im kleinen Saal herrscht andächtige Stimmung. Das unauffällig gekleidete Publikum kauert noch verlegen auf dem Boden, einige unter ihnen werden im Verlauf des Konzerts auch dort bleiben. Kaum einer starrt auf sein Smartphone, viele sind in Gespräche verwickelt.

Dann tritt Julia Polter plötzlich aus dem Zuschauerraum heraus auf die Bühne. Mit einem Notenblatt unter dem Arm, hochgesteckten Haaren und Jutetasche vermittelt sie ein verletzliches Bild — irgendwo zwischen blutjunger Ingeborg Bachmann-Preisträgerin und zum Vorspiel antretender Klavierstudentin. Ihre Musik wirkt ähnlich. Julia macht höchst zerbrechlichen Anti-Pop. Sensibel, idealisierend und experimentell — aber doch zugänglich.

Julia Holter – “Marienbad” (Live)


Und Zugänglichkeit, das ist Julia Holter wichtig. Mit einem Abschluss an der Musikhochschule in der Tasche hätte sie auch eine Laufbahn als klassische Musikerin einschlagen können. Stattdessen steht sie nun auf der Bühne, auf der sonst gesottene Rockacts den Berlinern ihren Hintern versohlen. Und bietet eine Show voll Perfektion – angefangen bei ihrer exzellent ausgebildeten Stimme über ihre Fähigkeiten am Piano bis hin zu dem etwas schnarchnasigen, aber bedachtsamen Trommler und dem überambitionierten Cellisten, die ihre Show begleiten.

Am Ende fragt man sich, ob das beatlustige [sic] Publikum überhaupt ahnt, mit wie viel instrumentaler Klasse es hier zu tun hatte. Oder ob Julia nicht fehl am Platz ist. Da tritt die 28-Jährige für eine Zugabe auf die Bühne. Die Kantine ist mittlerweile so überhitzt (‘has it been hot in here or is it just me?‘), die logische Folge: ‘it’s gonna be a short one, guys‘. Und wieder fühlt man sich so eindringlich an ein klassisches Konzert erinnert. Julia lässt das Publikum nicht lange warten und sobald sie auf der Bühne steht, flaut der erst jubelnde Applaus schlagartig ab. Alles lauscht gespannt.

Julias Zugabe ist die veredelte Melange aus Pop und Purismus. Ein höchst paradoxes Bild, das erst entsteht, wenn zwei verschiedene Welten urknallartig aufeinandertreffen. Doch Julia Holter verschleiert die Blasiertheit eines klassischen Vorspiels elegant — mit angedeuteter Popsänger-Attitüde und nicht zuletzt ihrer Sexyness. Und hinterlässt ein Berliner Publikum im Identitätskonflikt.

Josa Valentin Mania-Schlegel

Julia Holter – Live 2012

12.06. Nürnberg – Across (Neues Museum)
14.06. München – Kong
12.07. Köln – Museum Ludwig
04.07. Dresden – Thalia Theater
05.07. Berlin – HBC