Rosé trinken mit Lemmy Kilmister, vergoldete Kloschüsseln und noch immer Bock auf Punk-Rock: Marco und Nicholas über die neue Platte und das Ende vom Ruin.
Es gibt diese ursympathischen Bands, denen man es tatsächlich von Herzen gönnt, wenn sie ausverkaufte Konzerte spielen, Berge von Platten verkaufen und auf den verschiedensten Titelblättern erscheinen. Eine dieser Bands heißt Jupiter Jones, denen mit ihrem nunmehr vierten Studioalbum nach über acht Jahren Bandgeschichte nun endlich der Durchbruch gelang. Seit ihrer Single “Still” hat fast jeder deutsche Bundesbürger schonmal etwas von ihnen gehört, dabei sollte man sie keinesfalls auf handzahme Pop-Musik beschränken. Denn eigentlich sind sie im Herzen noch immer eine Rockband, mittlerweile nur organisierter laut und mit etwas mehr Disziplin beim Alkoholkonsum. Heute erscheint das neue Musikvideo zum Song “ImmerFürImmer“. Anlass genug für uns, euch ein sehr amüsantes Interview zu präsentieren, das wir mit Sänger Nicholas und Schlagzeuger Marco vor ein paar Wochen auf dem Hurricane geführt haben. Entspannt, gut gelaunt und im charmanten Gemütlichkeits-Outfit (an dieser Stelle sei Marcos vorzügliches Led Zeppelin-Longsleeve hervorgehoben) stellten sich die beiden unseren Fragen zum aktuellen Stand der Dinge.
motor.de: Jupiter Jones auf dem Hurricane Festival. Wiedersehen oder Premiere?
Nicholas: Premiere (grinst).
motor.de: Aber ihr habt schon einmal auf dem Southside gespielt, oder?
Nicholas: Ja, das war anno 2004. Relativ am Anfang sind wir dort über den Nachwuchswettbewerb eines Radiosenders gelandet. Die hatten einen Slot zur Verfügung, in dem sie ihren Gewinner unterbringen durften. Und damals waren wir das. Ich glaube, so etwas gibt es jedes Jahr. Morgen um 13 Uhr spielt hier auch eine Nachwuchsband – die muss ich mir ansehen!
motor.de: Bei euch ist gerade eine ganze Menge passiert. Ihr seid ein schönes Beispiel dafür, dass man tatsächlich belohnt werden kann, wenn man sich Jahre lang den Arsch aufreißt. Ihr durchlebt jetzt quasi gerade euren Karrierehöhepunkt. Da kann man doch durchaus zufrieden sein, oder?
Marco: Das ist sehr aufregend, im Moment geht es alles Schlag auf Schlag. Wir haben jetzt wirklich neun Jahre hart gearbeitet und momentan ist das ein gewaltiger Schub nach vorn. Wir sind überall präsent und das ist wunderschön.
Nicholas: Beharrlichkeit zahlt sich dann tatsächlich doch mal aus. Es ist aber auch ganz gut, dass es vorher anders gelaufen ist. Eine gewisse Zeit lang war es wirklich anstrengend, intensiv und aufwendig. Naja, und jetzt fühlt sich das an wie der Lohn für die ganze Schinderei.
motor.de: Ihr habt bisher all eure Platten selbst veröffentlicht, mit “Jupiter Jones” seid ihr das erste Mal bei einem großen Label untergebracht. Das ist ja schon eine nicht ganz unbedeutende Veränderung.
Nicholas: Du hast jetzt noch eine Partei zusätzlich, die ein Mitspracherecht hat. Plattenname, Cover und so weiter – all das wird nicht mehr nur bandintern besprochen, sondern in einem viel größeren Team. Aber ich kann mit ruhigem Gewissen sagen, dass wir da wirklich gute Jungs und Mädels erwischt haben. Es geht Ihnen wie uns ums reine Musikmachen. Und sie nehmen uns natürlich eine Menge Arbeit ab.
motor.de: Eure Single “Still” hat auf YouTube mittlerweile über sieben Millionen Klicks und war im zum Release im April sogar der meistgespielte Track im deutschen Radio. Dabei ist er ja eigentlich nicht wirklich Jupiter Jones-typisch…
Nicholas: Das stimmt schon, er ist definitiv eine weiche Nummer und auch einer der gefälligsten Songs auf dem ganzen Album. Aber eigentlich hatten wir seit der ersten Platte auch Popmusik und sehr ruhige Nummern dabei, in denen wir natürlich trotzdem noch ein wenig ungestümer geklungen haben als jetzt. Den Hang zum Pop und zu langsamen Geschichten gab es aber schon immer – Balladen darf man heute ja nicht mehr sagen (lacht).
motor.de: Ach Balladen sagt man jetzt auch nicht mehr?
Nicholas: Nein, das ist ein vorbelastetes Wort, bei dem man neuerdings immer komisch guckt, wie ich gelernt habe. Wahrscheinlich geht das so lange, bis irgendwem ein neues Wort dafür einfällt. Dass wir ausgerechnet mit “Still” unseren Durchbruch hatten, fühlt sich vielleicht deshalb ein bisschen seltsam an, weil wir ja früher immer vorwiegend laut waren. Aber eigentlich schon dieses Unplugged-Experiment zum Beispiel, das auch auf DVD erschien [“…leise” – Live-Unplugged-Album von 2008, Anm. d. Red.], war ein Bekenntnis dazu, dass wir eigentlich Weicheier sind (lacht).
motor.de: Bei Wikipedia werdet ihr tatsächlich noch dem Genre “Punk” zugeordnet. Aber das war ja mal, oder wie seht ihr das? Habt ihr überhaupt noch Lust auf Punkrock?
Marco: Na aber klar doch! In unserem Live-Set spielen wir auch Nummern von der ersten Platte und dann natürlich selbstverständlich so, wie sie früher waren. Jedes Album spiegelt die Zeit oder die Emotionen wieder, in der wir uns gerade befunden haben. Wir werden natürlich auch älter und entwickeln uns als Songwriter weiter. Tja, und so reudig wie auf der ersten Platte, werden wir sicherlich nie wieder werden. Selbst wenn wir es wollen würden – wir könnten es nicht. Das war damals eben eine totale Sturm-und-Drang-Zeit, heute sind wir immer noch laut, aber sagen wir mal (überlegt), wir sind organisierter laut.
motor.de: Erzählt mal ein bisschen über euer aktuelles Album. Ich finde, der Sound sticht sehr hervor und besonders das Schlagzeug klingt ziemlich brilliant.
Nicholas: Fangen wir beim Songwriting an. Das läuft bei uns so, dass Sascha [Sascha Eigner, Gitarrist; Anm. d. Red.] die meisten Songs schreibt und ich dann den Rest beisteuere. Danach basteln wir das zu Hause in kleinen Demos zusammen und schicken es an die anderen, damit dann alle zusammen daran arbeiten können. Da wir komplett in der Republik versprengt wohnen, ist das die einzige Möglichkeit, effektiv und effizient daran arbeiten zu können.
Marco: Produziert hat dieses Mal wieder, genau wie auch unser letztes Album, Wolfgang Stach [u.a. Bosse, Moby, Guano Apes; Anm. d. Red.]. Mit dem sind wir mittlerweile ziemlich dicke! Wenn man sich besser kennt, arbeitet man auch einfach viel homogener zusammen. Man weiß dann, wo die Macken des anderen sitzen. Außerdem hatten wir das große Glück, dass Michael Ilbert die Platte gemischt hat, obwohl der teilweise auch so absurde Geschichten wie Christina Aguilera oder Pink gemacht hat (lacht). Aber es sind eben die riesengroßen Namen im Musikbusiness. Eigentlich war er nur für die Single angedacht, weil bei ihm am nächsten Tag wahrscheinlich gleich wieder R.E.M. oder so vor der Tür gestanden hätten. Aber er meinte dann zu uns: „Kommt Jungs ich mische euch die gesamte Platte“.
Nicholas: Beide haben erkannt, dass wir Popmusik machen – und dann brauchst du natürlich Nummern wie “Still”, wo am Ende ein Chor singt und Streicher spielen. Sie haben aber auch erkannt, dass wir im Herzen eine Rockband sind und das hat der Platte echt gut getan.
Jupiter Jones – “Still”
motor.de: Ich könnte mir vorstellen, dass gerade bei einem Song wie “Still”, der im Radio hoch und runter dudelt, die Abnutzungs-Gefahr sehr hoch ist. Wie seht ihr das denn – fängt es schon an zu nerven?
Marco: Wir haben ihn in den letzten Wochen in den verschiedensten Varianten und Versionen spielen müssen.
Nicholas: (unterbricht und hebt die Hand) Spielen dürfen!
Marco: Ja, genau – dürfen!
Nicholas: Siehst du, da geht es nämlich schon los (lacht).
Marco: Es ist tatsächlich so, dass der Kick noch da ist. Er lutscht sich einfach nicht ab. Zumindest bis jetzt nicht. Wer weiß, was vielleicht in einem halben Jahr passiert aber jetzt spielen wir ihn wirklich noch sehr gern.
Nicholas: Es gibt Lieder, die Hitpotential haben, weil sie irgendetwas total penetrantes haben, wie z.B. “Narcotic” von Liquido mit diesem aufdringlichen Kinder-Keyboard am Anfang. Der Song war genau deswegen ein Hit. Der Rest danach war klassisches 4-Akkorde-Geschrammel – was ich auf gar keinen Fall irgendwie herabwerten möchte. “Still” ist einfach nicht penetrant genug, um irgendwann richtig zu nerven. Ich glaube, den spielen wir auch später noch gern. Was uns richtig nerven würde, wäre jedoch, wenn wir in Zukunft nur auf diesen Song reduziert werden. Aber das Risiko haben wir dadurch, dass wir vorher schon so lange unterwegs waren, zumindest bei vielen Leuten minimiert.
motor.de: Wie sieht es mit eurem Publikum aus? Es sind ja sicher viele neue Leute hinzugekommen.
Marco: Man merkt es schon, dass viele der älteren Sachen, die wir auf Konzerten spielen, nicht so zünden, wie das vorher der Fall war. Es ist aber so, dass die Leute, die uns über die neue Platte entdecken und sich vielleicht ein Album zulegen, uns durch die Bank weg super finden. Das ist natürlich klasse, wenn man über eine Pop-Nummer auf uns aufmerksam wird und dann mit den härteren Sachen auch etwas anfangen kann. Damit war nicht unbedingt zu rechnen.
Nicholas: Es sind auf jeden Fall mehr Leute dazugekommen, als abgewandert. Aber wir sehen auch immer noch viele alte Gesichter, die irritiert sind, wenn wir eine Show vor 1600 Leuten spielen und das in einer Stadt, in der vor zwei Jahren noch 160 Leute zum Konzert kamen. Aber ich denke, sie kommen trotzdem relativ gut damit klar und gönnen uns das tatsächlich auch.
motor.de: Also gibt es keine Missgunst?
Nicholas: Natürlich, Missgunst ist immer dabei, aber die hält sich gepflegt in Grenzen. Mittlerweile läuft das ja auch alles über Web 2.0. Da kann man sich am breitesten und muskulösesten in diversen Foren auslassen, im Prinzip ohne etwas zurück zu bekommen. Jeder kann unsere Musik so scheiße finden, wie er möchte – das ist vollkommen in Ordnung. Aber sobald jemand unseren Berufsethos angreift, also einfach die Tatsache, dass wir mit Musik Geld verdienen und das Ganze trotzdem gerne und mit Seele und Verstand machen, da kann ich mich dann nicht beherrschen. In dem Fall muss ich immer höflich aber auch bestimmt darauf antworten und klarstellen, dass ich mir nicht erzählen lasse, dass wir unsere Seele verkauft haben und nur noch für den Rock’n’Roll-Fame arbeiten. Wer das behauptet, kann gerne mal in meiner Wohnung vorbeikommen, da ist nichts vergoldet! (Marco lacht)
motor.de: Keine vergoldete Kloschüssel?
Nicholas: Keine vergoldete Kloschüssel, nein!
Marco: Ach, das ist gelogen!
Nicholas: Jaja, genau. (lacht)
motor.de: Du hast doch zwei Adressen – die Alibi-Punkerbude und dann deine Villa draußen vor der Stadt!
(beide lachen)
Nicholas: Naja, eine Punkerbude ist es nun auch nicht. Es ist sogar erschreckend bürgerlich, würde ich sagen. Aber vor allem ist es nicht luxuriös.
motor.de: Wie hat sich euer Gefühl auf der Bühne verändert? Von 160 zu 1600 Leuten.
Marco: Wir gehen immer mit dem gleichen Enthusiasmus und der gleichen Nervosität auf die Bühne. Klar wirkt das Hurricane zum Beispiel größer, aber vom Bühnenverhalten oder dem Gefühl, auf die Bühne zu gehen, hat sich für mich gar nicht so viel geändert – es ist immer noch genauso schön. Man kann wundervolle Konzerte vor 100 Leuten spielen und man kann wundervolle Konzerte vor 1000 Leuten haben. Weißt du, wir waren schon drei oder vier Mal ein wirtschaftlicher Totalschaden und hätten alles hinschmeißen können. Aber es macht halt einfach so viel Spaß zu spielen. Unabhängig von der Menschenmasse war es immer aufregend und wird hoffentlich auch noch lange so bleiben.
motor.de: Nicholas wie ist das bei dir? Du stehst am Mikro, das ist ja immer noch ein bisschen was anderes.
Nicholas: Ich finde es gerade spannender, wenn es mehr Leute werden, weil dann auch immer ein paar neue Gesichter dazukommen. Auf Tour ist es interessant zu sehen, wie Leute auf ältere Songs reagieren, die erst seit der neuen Platte dabei sind. Wir haben in jedem Set zum Beispiel auch “Auf das Leben” – das ist der erste Song, den wir geschrieben haben und so klingt er auch. Definitiv sind Live-Shows immer noch das Beste. Im Herbst sind wir allerdings gleich drei Wochen unterwegs, da hab ich ein paar Bedenken.
Marco: Ich hab aber richtig Bock drauf!
Nicholas: Ja, ich hab auch Bock drauf, aber das ist so lange und man kann so oft krank werden, oder nen Lagerkoller kriegen.
motor.de: Ach was, mit ein bisschen Disziplin geht das schon. Da müsst ihr halt weniger trinken!
Nicholas: Ich trinke ja gar nicht (lacht).
Marco: Ja, wir sind eh keine klassische Rock’n’Roll-Band, die sich jeden Abend die Kante gibt. Wenn wir auf Tour gehen, sind wir sehr diszipliniert, denn wir haben eine Verantwortung unseren Fans gegenüber, wenn wir am nächsten Tag auf die Bühne müssen.
Nicholas: Das Geile ist, wenn Marco sich mal volllaufen lässt, dann ist er auch komplett am Punkrock vorbei – dann trinkt er nämlich literweise Rosé (lacht).
motor.de: Gut, das erklärt eure Vernunft tatsächlich ein bisschen.
Nicholas: Vor allem aber auch wirklich das Getränk als solches (wendet sich an Marco): schlag mal bei Lemmy Kilmister mit ‘ner Flasche Rosé auf – da kannst du aber was erleben! (beide lachen)
motor.de: Abschließend obligatorisch: was kommt jetzt als nächstes bei euch?
Nicholas: Wir lösen uns im Herbst auf, du bist der Erste, der das jetzt erfährt (lacht).
motor.de: Ein schönes Schlusswort!
Marco: Wir lassen das jetzt einfach mal so stehen, mal sehen, was passiert (lacht).
Interview und Fotos: Alex Beyer
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