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„Stress“ – bezeichnender geht es wohl kaum.
Titelten Ende letzten Jahres sämtliche Zeitschriften „Unruhen in den Vororten von Paris“, zeigt nun auch Romain Garvas in seinem Kurzfilm wortwörtlich „Stress“ auf den Straßen Frankreichs. Ausgehend von den Banlieues, den sogenannten „sozialen Brennpunkten“ am Rande der Großstädte Frankreichs, führt es eine Jugengang auf eine gewalttätige Tour in die Pariser Innenstadt, gefolgt von einem gefaketen Kamerateam, welches am Ende selbst die angestaute Wut der jungen Menschen zu spüren bekommt.
An sich würde das Ganze vermutlich nicht so große Aufmerksamkeit auf sich ziehen, würden die Jungen der Gang nicht Lederjacken mit einem bekannten Zeichen auf dem Rücken tragen – das Kreuz, welches schon das gleichnamige Album des französischen Elektro-Duos Justice zierte. Es handelt sich also keineswegs um einen Kurzfilm im eigentlichen Sinne, sondern um das Musikvideo zu Justice-Song „Stress“.
Video zu „Stress”
Ihr erinnert euch – Justice, die mit Videos zu „Never Be Alone“ und „D.A.N.C.E.“ zum einen mit viel Witz, zum anderen mit viel Farbe, bereits zwei MTV-Auszeichnungen für „Video of the Year“ einheimsen konnten.
Nun also „Reality-TV“?? Eine Sache der Vermarktung? Reine Provokation, wenn die meisten Mitglieder der Jugend-Bande ganz offensichtlich Migranten-Hintergrund haben?
Aber wieso so ein lauter Aufschrei? Sind wir etwa durch TV und Internet doch noch nicht so weit abgestumpft, dass wir diese Bilder einfach so hinnehmen?
Insgesamt 789 442 Klicks haben bereits zwei Videos des Justice-Clips auf Youtube.
„Die dürfen das, die sind selbst Franzosen“ oder haben die Jungs im letzten Jahr noch zu wenig PR bekommen? So viel Wut und Aggression in nicht ganz sieben Minuten. Musste das mal gezeigt werden?
Der Regisseur und die Band schweigen sich bisher zur Problematik aus und gerade Gaspard Augé und Xavier de Rosnay, die beiden Köpfe hinter Justice, müssen sich den Stempel „Bürgersöhne“ aufdrücken lassen, da sie selbst nicht in den Banlieues groß geworden sind.
Vielleicht mussten sie aber auch erst zwei Video-Awards gewinnen, um den erlangten Bekanntheits-Grad nutzen zu können und auf die Missstände des Frankreichs aufmerksam zu machen, welches nicht im Reisekatalog propagiert wird.
Denn es lohnt sich ganz unbedingt ein Blick auf den Regisseur zu werfen. Romain Garvas ist Mitglied des 1995 zusammen mit Kim Chapiron und Toumani Sangaré gegründeten, afrikanischen Künstlerkollektivs Kourtrajmé. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Situation der Minderheiten in Frankreich filmisch zu dokumentieren und in die Großstädte zu tragen. Schauplatz sind dabei meist die Banlieues am Rande der französischen Großstädte. Mittlerweile umfasst das Kollektiv 135 Filmschaffende und Musiker, deren Arbeiten als „neue Nouvelle Vague des Dokumentarfilms“ bezeichnet werden.
Die Wichtigste aber lieferten sie 2005/2006 mit ihrem Dokumentarfilm „365 Jours a Clichy-Monferneuil“ über die Aufstände in Paris nach dem Tod zweier afrikanischer Jugendlicher aus dem Pariser Vorort Clichy-Monferneuil ab, bei dem stellenweise kontrastierend im Hintergrund Queens` „Don’t Stop me Now“ zu hören ist.
Video zu „Paris Riots Are Good Times“
Problematisch ist eben, dass die Banlieues nur dann fetzenartig in den Fokus geraten, wenn die Medien über sie berichten. Dass allerdings der Alltag dort dem Tanz auf einem Pulverfass gleicht, wird kaum gesehen.
Und so versucht Garvas vielleicht sogar die Frage einer gewissen Medienethik anzuschneiden, wird schließlich der Tonmann zum Mittäter, wenn er der Jugend-Gang ins gestohlene Auto folgt.
Vor diesem Hintergrund verblasst das Video zu „Stress“ gar ein wenig und macht deutlich, dass es sich nur um einen winzigen und sogar verschönerten Ausschnitt französischer Realität, jenseits von Baguette, Wein und Louvre handelt.
Vivien Mierzkalla
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