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“Der Dadaismus war ja auch extrem politisch” – Käptn Peng im motor.de-Interview

Von der einschlägigen Presse wurden sie teils gemieden, teils waren sie jedoch selber etwas Pressescheu. Dieser Tage treten Käptn Peng, Shaban und die anderen Tentakel von Delphi verstärkt bei Presseterminen mindestens zu dritt auf und sind sehr redselig und tiefsinnig. Warum selbst eine der großen deutschen Hip-Hop-Magazine sie trotzdem nicht mit ins Programm nimmt, bleibt ein Rätsel.

(Foto: Kreismusik)

Die »Expedition ins O« ist seit mehr als einem Monat draußen und die zweite Tour in diesem Jahr steht an. Ihre erste Tour 2013 mit der unglaublich stimmgewaltigen und mystischen Ofrin, war nahezu restlos ausverkauft. Der ehemalige YouTube-Act ist längst in den Städten der Bundesrepublik angekommen und füllt sicher in Kürze noch größere Clubs und Hallen. Ihre Auftritte sind legendär gut und die Fanbase solider und verrückter als so manch andere. Wer die Gelegenheit haben sollte, sie live zu sehen, sollte unbedingt schnell zugreifen. Einmalig! Robert, sein Bruder Johannes und Shaban tauchten vor dem Konzert in Erlangen zum Interview-Termin auf. Ab geht es in die Welt der Tentakel.

motor.de: Ihr müsst mir verzeihen, ich habe das Gefühl, nur dumme Fragen dabei zu haben. Gleich die erste: Wieviele Tentakel gibt es in Delphi?

Shaban: Fünf.

Robert: Naja, es gibt fünf Spokesmen von Delphi. Delphi an sich hat eine unbestimmte Anzahl von Tentakeln. Diese können auch nachwachsen, auch doppelt, wenn man einen abschlägt. Es ist eher so ein Organismus, der sich ständig rekreiert. Man kann also sagen, es sind Viele im Hintergrund.

motor.de: Wie ein Symbiont aus Tentakeln und Eidechsenschwanz?

Alle: Genau!

motor.de: Wo befindet sich dann das »O«?

Robert: Das O liegt zwischen den Räumen selbst. Es befindet sich mehr so zwischen den Atomen. So wie der Obstkorb, der gerade zwischen uns steht (da stand tatsächlich einer – Anm. des Autors). Eine Expedition zum O ist also daher relativ kompliziert. Man kann es nur innerlich betreten.

motor.de: Wenn ich euch und eure Musik betrachte, frage ich mich: Wie ernst sollte man sich selber nehmen? Wo liegt die Grenze der Ernsthaftigkeit?

Johannes: Wir nehmen uns, so denke ich, nicht so ernst. Es ist jedoch beides Vorhanden: Ernst und gleichzeitig eine Distanzierung davon. Was von all dem für bare Münze genommen wird, entsteht im Zuhörer selbst. Wir bieten jedem an, sich seinen Sinn zu suchen.

Robert: Wir nehmen DAS schon ernst.

Johannes: Wir nehmen es zwar ernst, vieles ist aber auch lustig. Wichtig ist, dass wir es nicht als die Wahrheit verkaufen. Ernsthaftigkeit ist einfach keine so ernste Angelegenheit.

Robert: Vielleicht kann ich es so ausdrücken: Ernsthaftigkeit macht Spaß!

Shaban: Oder sollte Spaß machen.

motor.de: Dadaismus?

Shaban: Das ist ein schwieriger Vergleich, da der Dadaismus eine Bewegung war, bei der sich sehr Viele sehr wohl Gedanken gemacht haben. Man wollte ja nach dem Krieg nicht mehr als Künstler zur Verfügung stehen. Es ging ja nicht darum, Kunst zu machen, die keine Kunst war. Es ging mehr darum, sich als Künstler zu verweigern, etwas Schönes machen zu müssen. Der Inhalt der Kunst war die Kunst selber.

Robert: Der Dadaismus war ja auch extrem politisch.

Shaban: Extrem und extrem verwurzelt in der damaligen Zeit. Genial allemal. Es ist bei uns natürlich zweigeteilt. Die Musik auf der einen Seite und dann die Texte. Auch wenn ich mit diesen vielen Bildern komme und es auch manchmal diese wahnsinnigen Sprünge gibt, sind die Texte doch extrem sinnvoll.

Robert: Ich glaube, das beste Wort für unsere Texte, ist »absurd«. Die Kraft der Absurdität nutzen wir, um die Kraft der Gedanken nicht zu erschöpfen. Wir sprechen nicht alles aus, verwenden manchmal Gegensätze, oder etwas, was nicht funktioniert. Wie heißt das nochmal?

Shaban + Johannes: Ein Paradoxon.

Robert: Da ist dann nicht mehr der Inhalt wichtig, sondern vielmehr das Bild, welches dabei entsteht.

Johannes:
Um das erneut auf den Dadaismus zu beziehen – es ist keine Verweigerung in dem Sinne, sondern vielmehr ein Spiel damit. Sowohl musikalisch als auch textlich versuchen wir den Sinn nicht zu verdrängen, sondern vermitteln eher, dass Ernstes nicht ernst genommen werden muss. Wobei wir wieder beim vorherigen Thema wären. Schwermut oder auch Ernst kann da sein, aber er will auch gerne schlecht behandelt werden. (lächelt)

motor.de: Es ist also eine bewusste Dekonstruktion, um darauf wieder aufbauen zu können?

Johannes: Ich weiß nicht, wie bewusst das ist.

Shaban: Es ist schon bewusst, aber wir lassen uns auch gerne treiben. Zwischendurch fängt einfach einer an und die anderen stimmen mit ein. Wir jammen also einfach, nehmen es auf mit dem Telefon, wenn wir es gut finden und bauen dann einen Song daraus.

Johannes: Manchmal denken wir auch »Oh, das macht jetzt zuviel Sinn und nach einer musikalischen Stilrichtung« (alle lachen) und dann kommt die nächste Ebene, die Dekonstruktion, in der das Lied auseinandergenommen wird.

Robert: Wir haben dabei auch keine Angst vor Klichees, musikalisch sind wir sehr offen. Die Emotion gibt den Ton an.

motor.de: Werdet ihr überhaupt nach dem Sinn gefragt, oder verstehen Fans eure Musik als eine Reise in eine Welt voller Absurdität und Vorkommnissen, die nicht bewusst gelenkt sind.

Robert: Ich erfahre es sehr unterschiedlich, wenn mich Leute nach den Texten fragen. Je nachdem, ob derjenige, der die Lieder hört, sehr rational denkend ist oder eher alles intuitiv erfährt. Manche deuten dann Sachen rein, die gar nicht da sind und andere sehen nur das, was wir auch vermitteln wollten. Wenige fordern jedoch, dass wir ihnen eine genaue Übersetzung liefern.

Shaban: Ich finde ja, wir machen schon äußerst textorientierte Musik. Weil es dem Hip-Hop entspringt sowieso. Inhaltlich wirkt Käptn Peng ohnehin so, als würde sich alles mehr auf das Innere beziehen – es ist mehr eine Reise ins Ich, zur Auseinandersetzung mit sich selbst. Der Hip-Hop würde da vielleicht sagen, unsere Texte sind immer absurd, ich glaube das aber gar nicht. Wer sich genau mit ihnen beschäftigt, findet da sehr wohl schnell einen Sinn.

Johannes: Mensch, da erfahre ich ja von dir (Shaban) noch Sachen, die ich bisher gar nicht wusste. (lacht)

motor.de: Die letzte Frage muss jetzt einfach sein. Ich habe die erstbeste, dumme Frage genommen, die mir in den Sinn kam: Wenn Käptn Peng, ein dicker Vogel auf einem Ast einer Pappel wäre, was würde er singen?

Robert: »…ihr fahrt Fahrrad, im Winter mit Schlitten…wir kommen auf Säbelzahntigern geritten…« …Ähm, wahrscheinlich würde er einfach ganz laut schreien?

motor.de: Vor Freude, aus Verzweiflung, einfach so, ..aus »Ja«?

Robert: Wahrscheinlich vor Freude, also aus »Ja«.

Johannes: Hast du das neue Album schon gehört?

motor.de: Ja. Läuft schon seit Tagen im Auto. Am liebsten mag ich…jetzt fällt mir der Name nicht mehr ein…irgendwas mit einem Selbstgespräch mit einer Handpuppe, ergo Socke.

Robert: Ah, »Sockosophie«. Du hast das noch nie Live gesehen und wusstest, dass es ein Gespräch mit einer Handsocke ist?

motor.de: Ja, schon.

Robert: Sehr gut. Da hatte ich immer Angst, es würde nicht so recht rüberkommen.

motor.de: Bei dem Lied, hatte ich das Gefühl, es handle sich um einen Monolog, ähnlich einem Schachspieler, der gegen sich selbst spielt und versucht, sich zu schlagen.

Robert: Genau so war es auch gemeint.

Shaban: So, jetzt komm mal ruhig langsam zu den dummen Fragen.

motor.de: Ich habe keine Fragen mehr.

Alle durcheinander: Das waren jetzt echt keine dummen Fragen. Sehr gute Fragen. Beste Fragen: »Wann ging es eigentlich los mit euch?« oder noch besser: »Warum machste eigentlich Musik?«. Was alles toppt: »Ein weiterer Schauspieler, der Musik macht, muss das sein?«

motor.de: Bildzeitung?

Robert: Ne, das sag ich jetzt lieber nicht, woher das kommt.

motor.de: Musst du auch nicht, wir betreiben keinen Sensationsjournalismus. Danke für das Gespräch.

Chris Grimm

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