Kashmir über ihre Hingabe für visuelle Kunst und das Vermeiden einer Bandtrennung.
Kashmir beschreiben sich selbst als einen 20 Jahre langen und düster-schaurigen Film. Dessen Handlung besteht vorwiegend aus nunmehr sechs Studioalben mit mechanischen Popmelodien und pathetischer Atmosphäre. Hier und da eine Bandauszeit, die den dänischen Musikern eine Verschauf- oder Schaffenspause ermöglicht. Was sie neben der Musik noch machen und wie sie das Bestehen über zwei Dekaden feiern möchten, erzählten uns Frontmann Kasper Eistrup und Bassist Mads Tunebjerg im motor.de-Interview.
motor.de: David Bowie und Leo Reed haben bei eurer Platte “No Balance Palace” mitgewirkt. Das klingt nach einer spannenden Kooperation. Wie habt ihr das geschafft?
Mads: Das lief ziemlich gut. Wir haben mit David Bowies Produzenten Tony Visconti gearbeitet und er hat uns all diese lustigen Geschichten aus den 70ern erzählt und wie er mit Bowie aufgenommen hat. Das interessierte uns ziemlich und irgendwann fragten wir ihn einfach mal, ob er einen unserer Songs mitsingen möchte. Er fand den Titel ziemlich gut und wollte das auch machen, also sind Kasper und ich mit in sein Studio nach New York gegangen. Es war wirklich interessant mit ihm, er hat uns viele Stories über sich und Tony und die Sachen, die er so macht erzählt. David Bowie war so angeregt von unseren Songs, dass er sie remixen wollte. Während wir in New York waren, dachten wir, es wäre toll, einen gesprochenen Teil in einem Instrumentalsong zu haben. Da dachten wir an Lou Reed. Er war zu dieser Zeit viel mehr an Theater und Sprechen interessiert als an Musik.
Kasper: Er meinte, morgen hätte er für eine Stunde Zeit. Er würde kommen, hätte aber keinen Text, den er lesen könnte, also sollten wir ihm einen vorlegen – wir hatten allerdings noch gar keinen. Ich dachte, oh Gott, ich habe ein paar Stunden, um schnell ein paar Zeilen für Lou Reed zu verfassen. Was soll ich bloß für Lou Reed schreiben? Und dann, auf dem Weg vom Studio zu unserem Hotel, gingen wir wie immer an diesem Haus vorbei. Es war groß und schwarz, lag in einem sehr reichen Viertel, aber stand leer. Es war ein seltsames Gebäude. Als ich einen Abend vorbei lief, waren in jedem Fenster rote Vorhänge und eine Kerze in der Mitte jedes Fensters. Ich ging in eine Bar und als ich im Anschluss zurück ging, war davon nichts mehr da. Es sah aus, als wäre es jahrelang nicht betreten worden und ich fragte mich, ob ich das vorhin wirklich gesehen hatte. Anscheinend hatte ein Künstler das Haus geschmückt. Ich habe mich entschieden, darüber zu schreiben und meiner Fantasie in dem Gedicht freien Lauf über die Geschichte des Hauses zu lassen. Das war es dann.
motor.de: Somit habt ihr ja schon zwei ziemlich große Leute in eure Kooperationsliste. Da gibt es doch sicher noch mehr, oder?
Mads: Wenn, dann wären das größtenteils diverse Produzenten.
Kasper: Wir sehen uns nicht als eine Band, die unbedingt mit anderen Künstlern zusammen arbeiten muss. Allerdings stehen wir den Dingen sehr offen gegenüber und wenn uns etwas interessantes in die Hände fällt, warum nicht.
Kashmir – “Bewildered In The City”
motor.de: Was hat es eigentlich mit dem Titel “No Balance Palace” auf sich, was wolltet ihr damit ausdrücken?
Kasper: “No Balance Palace” ist das Ergebnis unserer Kultur. Wir schrieben es in einer Zeit, in der wir viel ausgingen, in Bars waren, Party gemacht haben. Und deine Umgebung ist sozusagen dein Raum, dein Palast. Wir mochten den Titel, da er gut zu dieser Zeit unseres Lebens gepasst hat. Es musste so schnell fertig werden. Ich glaube, wir hatten sechs Monate, um es zu schreiben und sechs Wochen, um es aufzunehmen. Wir wollten dieses Album allerdings auch sehr schnell machen und einfach nicht über alles nachdenken. Den Moment einfangen, es dann nicht mehr überarbeiten, das wollten wir. Im Vergleich zu anderen Alben ist es weniger fett produziert, es ist direkter.
motor.de: Welche Gewichtung haben die Texte bei euch? Was ist dir besonders wichtig?
Kasper: Ich finde es toll, Bilder in Worte zu fassen. Wenn man sich einen Song anhört, muss das eine Vermählung von guten Lyrics und einer tollen Melodie sein. Ich möchte keine einfachen Geschichten erzählen, die jeder verstehen kann. Das ist irgendwie nicht ganz so spannend. Es ist viel interessanter, Bilder zu kreieren, sodass der Zuhörer seine eigene Geschichte dazu schreiben kann.
motor.de: Um beim Thema Bilder zu bleiben: Ihr beschreibt Kashmir selbst ja lieber als einen Film als eine Band.
Kasper: Ein furchterregend schauriger Film. Es ist außerdem ein sehr langer Film (lacht). Ich denke, es ist ein sehr künstlerischer Film, aber es ist noch immer greifbar. Weißt du, wir mögen die Nähe zu den Leuten, wir sind nicht eine dieser Shoegaze-Bands, die sich als unnahbar verstehen. Wir machen keine Musik für die Massen, aber auch nicht nur für uns. Und wenn wir damit uns selbst zufrieden stellen, bin ich sicher, dass es auch andere zufrieden stellt.
motor.de: Das Alkaline Trio bewertete euer aktuelles Album “Trespassers” mit folgendem Zitat: “Es klingt wie die Farbe Beige, aber es klingt gut.” Was sagt ihr dazu?
Mads: Das ist bizarr.
Kasper: Ich mag die Farbe nicht besonders.
Mads: Aber hey, immerhin hat es ihnen trotzdem gefallen! Vielleicht mögen sie Beige.
Kasper: Das ist nicht wirklich eine Punkrock-Farbe.
Mads: Nein, es geht mehr in Richtung Hippie. (lacht)
motor.de: Zwischen euren letzten zwei Platten habt ihr eine recht lange Pause, fünf Jahre waren das. Eine ziemlich lange Zeit.
Mads: Ja, wir brauchten eine Pause von der Band und etwas Zeit, um uns wieder inspirieren zu lassen. Einige von uns haben sich auch um ihre Familien gekümmert. Jeder hat in dieser Zeit sein eigenes Ding gemacht und das war auch gut so. Als wir dann aber wieder zusammen kamen, hatte sich viel angestaut. Diese Pause hilft, eine kreative Atmosphäre zu schaffen. Wir hatten des Öfteren solche Pausen, auch wenn die letzte vor “Trespassers” vermutlich die längste war. Das ist es, was unser Interesse bestehen lässt, etwas Neues zu kreieren. Es ist eine gute Sache.
Kasper: Anstatt uns irgendwann aufzulösen, nehmen wir lieber hin und wieder eine Pause. Wir haben noch immer das Bedürfnis, zusammen Musik zu machen, aber wir haben eben auch noch diverse Nebenprojekte. Manche von uns machen nebenbei andere Musik, produzieren… Ich bin nebenher als Künstler tätig.
motor.de: Kasper hat mal gesagt, man muss Träume haben. Was war dein größter Traum im Kindesalter?
Mads: Zuerst wollte ich ein Cartoon-Zeichner sein, da ich die ganze Zeit gezeichnet habe. Als ich älter wurde, dachte ich, es könnte viel interessanter sein, als Journalist zu arbeiten. Das hat dann irgendwie abgenommen und ich bin auf die Musik gekommen. Mit sechs oder sieben Jahren habe ich damit begonnen, aber es war immer mehr etwas, das ich nebenher gemacht habe. Mit 13 wurde ich mir dann langsam klar darüber, dass Musik genau das ist, was ich machen möchte. Ich dachte jedoch nicht daran, dass man das wirklich hauptberuflich ausüben kann. Ich denke, wir alle waren sehr jung, als wir gemerkt haben, dass wir nur Musik machen wollen. Das ist, wovon wir alle geträumt haben. Kasper wollte eigentlich mal Tischler werden, er hat sich das selbst beigebracht.
motor.de: Hast du von den Comics von früher je etwas veröffentlicht?
Mads: Ich habe es versucht. Ich habe meine Comics an diverse Verlage geschickt, aber ich glaube, ich war einfach noch zu jung und hätte es für einige weitere Jahre probieren sollen. Ich war vielleicht 11 oder 12 Jahre alt.
motor.de: Aber mit der Musik hat es ja offensichtlich gut geklappt. Hoffentlich sind eure Alpträume nicht auch wahr geworden.
Mads: An wirkliche Alpträume kann ich mich gar nicht richtig erinnern. Oder sagen wir, man hat viele Alpträume, aber welcher der schlimmste war, weiß ich nicht mehr. Als Kind hatte ich viele, heute habe ich weniger. Oder ich sorge mich einfach weniger darum als damals. Ich glaube, man lernt mit den Ängsten, die man als junger Mensch kennenlernt, besser umzugehen.
motor.de: Wenn du an die dänische Musikszene denkst, welche deiner Bandkollegen könntest du besonders empfehlen?
Mads: I Got You On Tape. Großartige Band. Außerdem sollte man sich Murder einmal anhören, das ist der gleiche Sänger. Dann Figurines, Mew, Oh No Ono, und vielleicht noch Efterklang. Aber ganz oben stehen wirklich I Got You On Tape.
motor.de: Wie sieht es bei euch demnächst musikalisch so aus?
Kasper: Ja, das wüsste ich auch gern. Wir machen eine Tour in Südamerika, Argentinien, Chile, Mexico. Die Leute dort kennen uns wirklich.
motor.de: Und dann dort das 20-jährige Bestehen feiern?
Kasper: Ich denke, wir bauen eine 20 Meter hohe Skulptur aus alten Treibstoffkästen. (lacht) Nein, im Ernst, ich würde gern etwas besonderes machen. Wir haben über ein instrumentales Album nachgedacht. Einfach etwas improvisieren.
Mads: Was besonderes? Etwas besonderes wäre es, nächstes Jahr fünf Alben aufzunehmen. Einen Versuch ist es wert! (lacht)
Interview: Elli Eberhardt
Fotos: Ulrike Chemnitz
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