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(Foto: Universal Music)
Wenn man so will, haben Keane in den letzten zehn Jahren ihrer Karriere musikalischen Höchstleistungssport betrieben. Vier Studioalben, eine Tour um den Globus nach der nächsten und nun die Krönung mit ihrer ganz eigenen Retrospektive auf ihr Schaffen in Form von „The Best Of Keane“. Eigentlich erstaunlich, dass uns Tom Chaplin und Richard Hughes bei unserem Gespräch in einem Berliner Hotel so frisch und gut aufgelegt gegenübersitzen. Und das, obwohl sie keine 24 Stunden zuvor unter den Augen von 300 Fans und einem Dutzend Kameras ein exklusives Konzert im Berliner Goya gegeben haben, das in 21 Länder gleichzeitig übertragen wurde. Die Stirn längst wieder trocken getupft und die anschließende Feier zum Bandjubiläum ohne größere Nachwirkungen überstanden, berichten uns die beiden wie es ist auf so viele gemeinsame Jahre zurückzublicken und wagen mit uns eine schonungslose Bestandsaufnahme.
Diese bringt zuallererst zum Vorschein, dass die Anstrengungen des 90-minütigen Konzerts eben doch nicht so ganz spurlos wie zunächst vermutet an der Band vorübergegangen sind: „Mir fällt es nach Konzerten immer ein wenig schwer einzuschlafen. Ich war in letzter Zeit viel zu Hause und bin meistens ziemlich früh ins Bett gegangen. Wenn ich dann wieder ein Konzert habe und bis zwei Uhr morgens wach bin, fühle ich mich am nächsten Morgen immer sehr müde. Obwohl ich sagen muss, dass mir das Konzert im Goya unheimlichen Spaß gemacht hat“, sagt Tom Chaplin. Auch sein Bandkollege Richard Hughes kommt nicht umhin sich ein paar Wehwehchen einzugestehen, die er uns jedoch eher stolz als Beweis eines guten Abends verkauft: „Ich habe jetzt noch einen rauen Hals. Ein paar Freunde von uns waren bei der Show im Goya dabei. Also hatten wir alle ein paar Drinks und es wurde viel herumgeschrien, wenn so viele Leute zusammenkommen.“
Dass die Wahl auf diesen besonderen Veranstaltungsort fiel, mag vielleicht daran liegen, dass das Innere des Goyas mit seiner Decke in schwindelerregender Höhe und den geschwungenen Balkons ein wahrlich imposantes Bild abgibt. Auch die Band zeigte sich beeindruckt von der Location. Aller Schönheit zum Trotz lauerte hinter dieser Pracht jedoch auch die ein oder andere für den Zuschauer unsichtbare Tücke: „Wir hatten manchmal etwas Schwierigkeiten uns über unsere In-Ear-Monitore zu hören, weil die Decke des Raumes so hoch war. Das Goya ist kein klassischer Veranstaltungsort für Konzerte oder Musik-Events, aber die Location sieht wirklich cool aus. Unsere Tontechniker sind zum Glück so gut, dass sie dennoch einen guten Klang hinbekommen haben“, bemerkt Tom zufrieden.
Die Herausforderung vor einem großen Publikum auf der Bühne zu stehen, beherrschen Keane mittlerweile mit links. Als seit Jahren eingespieltes Team haben sie sich von den kleinen Clubs bishin zu den großen Festivalbühnen vorgearbeitet und sind es gewohnt bei jedem ihrer Schritte auf der Bühne verfolgt zu werden. Dennoch sorgte der besondere Anlass der Live-Übertragung ihres Berliner Konzerts auf über 1000 Kinoleinwände weltweit für leicht weiche Knie, wie uns Sänger Tom Chaplin verrät: „Man muss natürlich versuchen locker zu bleiben, weil man meistens nur so seine beste Leistung abrufen kann, aber gleichzeitig ist einem bewusst, dass jede einzelne deiner Bewegungen in High-Definition auf einer riesigen Leinwand übertragen wird. Ich habe mir ständig ausgemalt, dass mein Gesicht zuckt und alle das sehen! Das ist schon ein sehr komisches Gefühl. So sehr wir den Auftritt auch genossen haben, so froh waren wir andererseits auch als wir mit dem Set durch waren. Immerhin ist es ein ziemlich großes Unterfangen.“
Vor allem, wenn von einer wichtigen Konstante auf der Bühne weit und breit keine Spur zu sehen ist, räumt Schlagzeuger RIchard Hughes ein: „Wir hatten Jesse, unseren Bassisten, nicht mit dabei. Wir standen also mit einem Mann weniger auf dem Platz. Aber es war trotzdem ein großer Spaß!“
Keane – Best Of Trailer on MUZU.TV.
Im Tour-Alltag oder während des Entstehungsprozesses eines neuen Albums bleibt wohl kaum Zeit für eine angemessene Reflektion und Verarbeitung all dessen, was man gemeinsam als Band erlebt. Auf die Nachfrage, wie es nun ist sich nach so vielen erfolgreichen Jahren im Musikbusiness mit der eigenen Karriere und der damit verknüpften Vergangenheit auseinanderzusetzen, betont Tom nachdenklich: „Dieser ganze Prozess weckt viele gute Emotionen und Erinnerungen in einem. Wenn man ein "Best Of" rausbringt, wird man praktisch dazu gezwungen sich über all das Erlebte Gedanken zu machen. Es ist so einfach durch's Leben zu gehen und sich dabei immer nur mit der Gegenwart zu beschäftigen. Das ist natürlich wichtig, aber mir persönlich fällt es schwer immer nur das Hier und Jetzt zu sehen, weil ich mir ständig Gedanken darum mache, was als Nächstes passiert. Was kann ich nächste Woche oder nächstes Jahr erreichen? Dieses Verlangen, das an die eigenen Wünsche und Ambitionen geknüpft ist, hatte ich schon immer.“
Den Grund für den zielgerichteten Blick nach vorne kennt Tom Chaplin auch und spricht damit etwas aus, was wohl viele Menschen nachempfinden können: „Wenn ich zurückblicke, dann geht das für mich meistens mit einem Gefühl von Bedauern oder einem Schuldgefühl einher. Das lässt sich wohl nicht vermeiden. Trotzdem ist es gerade jetzt in diesem Moment sehr schön uns ebenfalls der Tatsache bewusst zu werden wie erfüllend und aufregend all die Jahre bisher waren. Natürlich gab es auch holprige Phasen und ungewöhnliche Momente, aber die macht wohl jeder mal durch.“
Eine gute Vorbereitung oder die richtige Einstellung im Leben sind oftmals schon die halbe Miete, wenn es darum geht seine Vorstellungen in die Tat umzusetzen oder gesteckte Ziele zu erreichen. Am Ende kommt manchmal aber dann doch alles anders als man denkt. Die Unvorhersehbarkeit des Musikbusiness macht auf der anderen Seite auch den gewissen Reiz aus, dem viele junge Bands gerade zu Beginn ihrer Karriere erlegen sind. Zehn Jahre zwischen Studiotür, Tourbus und zahlreichen Bühnen lassen Tom Chaplin mit Gelassenheit auf die einstigen Vorstellungen des „Living the dream“ Glücks blicken: „Das Merkwürdige daran in einer Band zu sein ist, dass du dir in deinen Träumen noch so sehr Dinge ausmalen kannst. Am Ende werden höchstens ein paar Aspekte davon war, die wie kleine Fähnchen im großen Ganzen stecken und es wird so vieles passieren, dass du dir im Vorfeld gar nicht ausmalen kannst.“
Beim Stichwort Fantasie gerät Chaplin sogleich ins Schwärmen über den irischen Comedian Dylan Moran und gibt dessen Weisheit für Träumer zum Besten, indem er sagt: "Werde dir niemals deines Potenzials bewusst! Dein wahres Potenzial ist wie eine Horde Flamingos, die als Kellner verkleidet sind oder endlose Marmor-Böden." Anders gesagt: „Alles, was in deiner Vorstellung existiert, ist aussergewöhnlich und perfekt. Die Wahrheit bei alldem ist wohl, dass du niemals in der Lage sein wirst Vorstellungen dieser Art in die Tat umzusetzen.“
Die Bodenständigkeit der Band mag vielleicht ein Grund sein, warum sie in diesem Jahr ganze 20 Songs auf ihrem „Best Of“ versammeln und damit den wohl besten Beweis dafür liefern, dass sich manche Träume eben doch erfüllen. Mit „Higher Than The Sun“ und „Won‘t Be Broken“ befinden sich auch zwei brandneue Songs auf dem Album, die vergleichsweise leichtfüßig und optimistisch wirken. Eine Annahme, die Richard Hughes direkt mit der gegenwärtig sehr positiven Haltung und einer damit einhergehenden neuen Entwicklungsstufe gleichsetzt: „Das Motiv in "Higher Than The Sun" ist voller Freude und zelebriert die Musik als solche und diesen bestimmten Moment, was sehr treffend für unsere persönliche Situation als Band ist, in der wir uns gerade befinden. Allein schon deswegen, weil wir uns in einer Phase befinden, in der wir so viel Spaß haben Musik zu hören und Songs zu schreiben. Das war schon immer der Grund, warum wir überhaupt in einer Band sind.“
Keane – Higher Than The Sun on MUZU.TV.
Und wie stellt man es als Band wie Keane nach so langer Zeit immer wieder an über sich hinauszuwachsen und festgefahrene Gegebenbeiten gegen neue Wege einzutauschen? Ein wirkliches Rezept hat Tom Chaplin nicht parat, aber stellt fest: „Ich glaube, wir merken erst wie sehr wir als Band im Laufe der Zeit wachsen sobald wir uns wirklich an die Aufnahmen zu einem neuen Album machen. Ich schreibe andauernd Songs und arbeite zur Zeit an meinem Solo-Projekt, das im nächsten Jahr herauskommen wird. Erst wenn ich neue Songs schreibe, realisiere ich überhaupt, wo ich mich gerade als Künstler befinde und welche Gedanken ich in diesem Moment mit mir herumtrage. Manchmal wird mir erst bewusst, was ich fühle und denke, wenn ich es in einem Song verarbeitet habe. Vorher wirkt alles oftmals etwas schwammig. Ich denke, wir werden in Zukunft noch viele unterschiedliche Dinge tun. Wir wurden schon immer davon getrieben Neues zuzulassen und dabei frisch und interessant zu bleiben.“
Für den Moment verharren Keane jedoch mit ihrem „Best Of“ kurz in den guten alten Zeiten und halten bewusst und verdient inne, um die letzten zehn Jahre ihres musikalischen Schaffens Revue passieren zu lassen.
Annett Bonkowski
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